Polnische Bands in der DDR
1970 geben die Musiker der Band „Czerwone Gitary“ (Rote Gitarren) ihr erstes Konzert in der DDR. Ein Jahr zuvor, im Januar 1969, wurden sie in Cannes auf der „Midem“, der damals weltweit größten Musikmesse, mit einem Preis für die meistverkaufte LP in Polen ausgezeichnet. (Die Beatles erhielten diesen Preis im gleichen Jahr für ihren Verkaufsrekord in Großbritannien.) Die Auszeichnung macht die Band „Czerwone Gitary“ auch in der DDR bekannt. 1970 gibt das DDR-Label AMIGA die LP „Warszawa“ heraus. Mit dem Cover wird der polnischen Band auch ihre deutsche Geburtsurkunde ausgestellt, denn neben dem Namen „Czerwone Gitary“ steht in großen Lettern die deutsche Übersetzung des Bandnamens: „Rote Gitarren“.
Seitdem agiert die Rock- und Popmusikgruppe im deutschsprachigen Raum unter dem Namen „Rote Gitarren“. Bald werden sie zu Stars in der DDR. Bald singen sie auch auf Deutsch. Als Glücksfall für die Band entpuppt sich die Zusammenarbeit mit der Liedtexterin Ingeburg Branoner, die es glänzend versteht, die deutschen Übersetzungen aus dem Polnischen singbar zu machen. Das Label AMIGA legt größten Wert auf die Aussprache und zwingt die Musiker die deutsche Phonetik zu üben. Leicht ist es nicht, doch die Mühe lohnt sich. Nach dem erfolgreichen Album „Warszawa“ gibt AMIGA nur ein Jahr später, 1971, das nächste Album der „Roten Gitarren“ heraus. Die Platte heißt „Consuela“ und ist auf Deutsch. Die Musiker begeistern ihr deutsches Publikum. Die Konzerte sind bestens besucht und die Band ist ein gern gesehener Gast in den Shows des DDR-Fernsehens. In der Show „Einmal im Jahr“, einer Kultsendung der DDR, gewinnen die „Roten Gitarren” zweimal hintereinander den Hauptpreis - 1972 mit dem Lied „Es brennen die Berge und Wälder“ (Płoną góry, płoną lasy) und 1973 mit „Weißes Boot“ (Trzecia miłość - żagle). Dieses Lied avanciert zu den bekanntesten Liedern der Band und darf ab jetzt auf keinem Konzert mehr fehlen.
Zusammen mit dem Album „Rote Gitarren” (AMIGA 1978) verkauft die Band in der DDR in den 70er und frühen 80er Jahren über eine Million Schallplatten und Kassetten. In den 80er Jahren wird es allerdings etwas ruhiger um die Band, zumindest in der DDR, doch in Polen sind sie aktiv und kreativ wie eh und je. Doch die angebliche Nähe einiger Bandmitglieder zu Lech Wałęsa und der Solidarność veranlasst die Mitarbeiter der DDR-Künstleragentur dazu, die polnische Künstleragentur „Pagart“ anzurufen, um zukünftige Auftritte sowie Aufnahmen der „Roten Gitarren“ in der DDR zu vereiteln. Die staatliche Agentur „Pagart“ managt bereits seit 1957 alle polnischen Künstler, regelt für sie alle Verträge, bestimmt ihre Gagen, entscheidet auch, welche Musiker im Ausland spielen dürfen. Ohne das Wohlwollen von „Pagart“ ist eine internationale Karriere für polnische Musiker unmöglich. Auch in Polen selbst gerät man schnell in die Kritik, wenn man sich bei „Pagart“ unbeliebt macht. Eine ähnliche Agentur gibt es auch in der DDR: „Künstler-Agentur der DDR“. Beide Agenturen arbeiten noch in den 90er Jahren zusammen, bis sie schließlich nach dem Systemzerfall des real existierenden Sozialismus aufgelöst werden.
Doch während die DDR nicht mehr existiert, geht es den „Roten Gitarren“ auch nach der Wende gut. Ihre starke Position in Polen verliert die Band auch nach dem Austritt des Sängers Seweryn Krajewski nicht. Der Grund dafür ist, dass sie einen würdigen Ersatz in Mieczysław Wądołowski findet und sich insgesamt einer Verjüngungskur unterzieht. Auch in Deutschland ist die Band nach wie vor aktiv. Davon zeugen die gut besuchten Konzerte in den östlichen Bundesländern. 1996 erscheint in Deutschland „The best of“ (Wodini / BuschFunk), 2005 „Die größten Erfolge“ (Sechzehnzehn / BuschFunk), 2009 „Weißes Boot - Ihre größten Hits“ (AMIGA) und ebenfalls 2009 das erste Album mit neuen Liedern auf Deutsch mit dem Titel „Herz verschenkt“.