Polenstipendien im „Vormärz“: Julian Szotarski

Johann Jakob Meyer u. a.: Heidelberg, 1820
Johann Jakob Meyer u. a.: Heidelberg, 1820

Im Zuge der Großen Emigration
 

Im November 1830 brach in Warschau der Novemberaufstand mit dem Ziel der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens aus. Nach dessen Niederschlagung 1831 mussten zehntausende Aufständische im Zuge der sogenannten Großen Emigration Polen verlassen, bei Verbleib erwarteten sie harte Strafen. Offiziere, Intellektuelle und ihre Familien, aber auch Studierende verließen das Land, übertraten die Grenzen nach Österreich und Preußen. Insbesondere Studierende traf der Aufstand hart, es wurden alle höheren Bildungseinrichtungen im Königreich Polen geschlossen und ihnen die Möglichkeit, das Studium in Polen abzuschließen, genommen.

Die meisten Emigrant:innen zog es nach Frankreich, oft nach Paris, aber zunehmend wurden die Pol:innen auch in kleineren Städten einquartiert und die Pensionen seitens der französischen Regierung gekürzt. Doch einige führte es an deutsche Universitäten, die zu dieser Zeit international ein hohes Ansehen genossen. Im Klima der sogenannten Polenbegeisterung nahmen sie die polnischen Flüchtlinge gerne auf.

Die durch Deutschland ziehenden Pol:innen wurden vor allem im süddeutschen Raum für ihren Freiheitskampf als Europas Held:innen gefeiert. Die Bereitschaft zu Hilfeleistungen war allgemein sehr hoch. Neugegründete Polenkomitees bzw. Polenhilfsvereine, die sich nach Geschlechtern getrennt während des Aufstands herausgebildet hatten, sammelten Spenden und brachten hohe Sach- und Geldmittel auf, die während des Aufstandes nach Polen gesandt wurden. Nach der Niederschlagung waren die Kassen und Bestände noch gut gefüllt. Die Kontakte mit den Universitäten waren sehr eng, oft engagierten sich auch Hochschullehrer:innen für die Polenhilfen, sodass ab 1832/33 aus diesen Geldern Stipendien an auf den Reiserouten gelegenen Universitäten für die Flüchtlinge eingerichtet wurden.

 

Der Heidelberger Student Julian Szotarski
 

„Ich kann es aber gestehen, daß nichts auf mich die Wirkung machte, wie unsere Aufnahme bei den Deutschen sie bei mir hervorgebracht hat. Es war für mich eine ganz neue, mir bis jetzt unbekannte, beseligende Empfindung, welche ich jetzt in meinem Innern genoß.“ ([Julian Szotarski]: Skizzen aus Polen. Aus der Brieftasche eines polnischen Offiziers, Frankfurt am Main 1832, S. 85)

Einer dieser Stipendiaten, die von diesen Hilfen profitierten, war der aus Schlesien stammende Julian Walenty Szotarski. Der ehemalige Warschauer Medizinstudent und Offizier des Novemberaufstandes immatrikulierte sich am 6. Juni 1832 an der badischen Landesuniversität in Heidelberg, die er 1836 als Doktor verließ. Dort traf er auf vermutlich zwölf weitere polnische Studierende, die ihr Studium aufnahmen, namentlich bekannt sind Bronisław Trentowski, Faustyn Więckowski, Jan Gruszczyński sowie Carl Taege. Die badische Regierung genehmigte den stipendienfinanzierten Pol:innen das Studium an der Landesuniversität. Nebenbei wirkte Szotarski als Schriftsteller: Über den Aufstand und seine Erlebnisse in Deutschland veröffentlichte er 1832 seine „Skizzen aus Polen“, die in zwei Auflagen in Frankfurt und Heidelberg gedruckt wurden. Im folgenden Jahr erschien auch seine „Pulawy: Historische Erzählung aus dem letzten polnischen Freiheitskampfe“, die er dem Fürsten Adam Jerzy Czartoryski widmete. Außerdem übersetzte er Schriften Johann Wolfgang von Goethes ins Polnische, zugleich auch medizinische Schriften aus dem Englischen ins Deutsche und publizierte literaturkritische Texte zu polnischer Literatur in deutschen Zeitschriften.

In seinen Schriften schrieb Szotarski teils autobiographisch über Kampf, Flucht, Ankunft, die deutsche Polenbegeisterung, die alte Feindschaft und die nun anbrechende Freundschaft zwischen Polen und Deutschland; dabei versuchte er sich als Kulturvermittler zwischen Polen und Deutschland.

Nach seinem Studium ging Szotarski nach Paris, war dort in der Emigration als Herausgeber, Literaturkritiker und Schriftsteller tätig. Er war eng mit Adam Mickiewicz befreundet, der bis zuletzt an seinem Sterbebett 1838 gesessen haben soll.

 

Pol:innen in Heidelberg und Baden nach 1832
 

In Heidelberg änderte sich derweil die politische Wetterlage für die Pol:innen. Nach politischen Agitationen in den 1830er Jahren, an denen sich auch Polen beteiligt hatten, schwand ihr Heldenstatus und sie wurden zunehmend als subversive Elemente wahrgenommen; zu nenne wären beispielsweise das Hambacher Fest 1832 oder der Frankfurter Wachensturm 1833, an denen sich Pol:innen beteiligten. Insbesondere der Wachensturm schlug auch in Baden hohe Wellen, sollten doch in dessen Kontext polnische Einheiten aus Besançon in einer koordinierten Aktion mit Studierenden den Umsturz in Baden erzwingen – wozu es zwar letztlich nicht kam, was aber durchaus wahrgenommen wurde. Die Universität Heidelberg spürte die Auswirkungen ganz allgemein im Rückgang der Studierenden, doch auch polnische Studierende waren ganz unmittelbar betroffen:

„Die Beteiligung von Polen an den Frankfurter Unruhen und die Bemühungen der Emigration, einen neuen Aufstand im Land zu entfachen, blieben nicht unbemerkt und brachten uns in den Verdacht, dass jeder Pole ein revolutionärer Agent sei. Überall versuchte man, uns loszuwerden, und obwohl wir nicht ausgewiesen wurden, machte man es uns schwer, am Rhein zu bleiben, damit wir von allein gingen.“ (Wiktor Feliks Szokalski: Wspomnienia z przeszłości, Bd. 1.2: 1830–1837, Wilno 1921, S. 151)

Zu spüren bekam es nur wenige Jahre nach der ersten polnischen Studierendenwelle der polnische Mediziner Wiktor Feliks Szokalski, der 1835 nach Heidelberg kam, um sein im großherzoglich hessischen Gießen begonnenes Studium fortzuführen. Jedoch erhielt er keine Aufenthaltserlaubnis, durfte sich nicht immatrikulieren und verließ nach einem halben Jahr Duldung Heidelberg wieder.

 

Filip Emanuel Schuffert, April 2024

 

Weiterführende Literatur:

  • Brudzyńska-Němec, Gabriela: Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831–1832, Heidelberg 2006.
  • Hackmann, Jörg / Marta Kopij-Weiß: Nationen in Kontakt und Konflikt. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1806–1918, Darmstadt 2014.
  • Hein-Kircher, Heidi: Der Novemberaufstand 1830/31 und seine Folgen, in: Müller, Michael G. u. a. (Hrsg.): Polen in der europäischen Geschichte. Bd. 3: Die polnisch-litauischen Länder unter der Herrschaft der Teilungsmächte (1772/1795–1914), Stuttgart 2020, S. 197–205.
  • Kamela, Małgorzata: Szotarski, Julian Walenty, in: Polski słownik biograficzny, Bd. 48, Warszawa/Kraków 2012–2013, S. 585f.
  • Leiserowitz, Ruth: W poszukiwaniu wiedzy. Polscy studenci na uczelniach niemieckich w XVIII i XIX wieku, in: Mówią Wieki 704 (2018), S. 34–27.
  • Molik, Witold: Polscy studenci na uniwersytetach niemieckich od końca XVIII do początku XX wieku, Poznań 2016.
  • Strobel, Georg W.: Die deutsche Polenfreundschaft 1830–1834. Vorläuferin des organisierten politischen Liberalismus und Wetterzeichen des Vormärz, in: Rainer Riemenschneider (Hrsg.): Die deutsch-polnischen Beziehungen 1830–1848. Vormärz und Völkerfrühling, Braunschweig 1979, S. 126–147.

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