Marta Smolińska – Kunsthistorikerin, Kuratorin, Netzwerkerin
Auf der Suche nach einem beruflichen und persönlichen Neuanfang ist die Kunsthistorikerin Marta Smolińska 2019 nach Berlin gekommen. Sie ist in Rypin aufgewachsen und war schon als Studentin von der dynamischen Berliner Kunstszene fasziniert, in der sie sich schon bald einen Namen als Kuratorin internationaler Ausstellungsprojekte machen sollte. Nach einem Studium der Kunstgeschichte an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznań arbeitete sie über zehn Jahre an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń. 2014 kehrte sie wieder nach Poznań zurück. Neben ihrer Arbeit als Kuratorin ist Marta Smolińska als Professorin für Kunstgeschichte an der Magdalena-Abakanowicz-Universität der Künste in Poznań tätig, wo sie zeitgenössische Kunstgeschichte und kuratorische Strategien unterrichtet und wissenschaftliche Arbeiten unter anderem zu Kunst an der deutsch-polnischen Grenze veröffentlicht hat. In Polen hat sie schon über hundert Ausstellungen kuratiert, u.a. in der Galeria Sztuki Wozownia und im Centrum Sztuki Współczesnej in Toruń, oder im Centrum Kultury Zamek und im Muzeum Narodowe in Poznań.
Ihre erste kuratierte Gruppenausstellung „MITbeSTIMMEn“ in Berlin wurde im Frühjahr 2022 in der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten in Berlin gezeigt und beschäftigte sich mit der Frage der politischen Partizipation von Menschen mit Migrationsbiografie. Anschließend kuratierte sie in der Kommunalen Galerie in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Der Wald wird Chor“, in der Werke von Künstler:innen gegenübergestellt wurden, die sich mit den multisensorischen, ökologischen und politischen Dimensionen des Waldes befassten. Zurzeit arbeitet Marta Smolińska zusammen mit Prof. Dr. Burcu Dogramaci (München) an einer weiteren großen Gruppenausstellung, die sich mit dem Thema Kunst an der deutsch-polnischen Grenze befasst.
„Die Ausstellung ‚Vom Teilen. Kunst an der (polnisch-deutschen) Grenze‘ im Nationalmuseum in Poznań (2023) und im Zentrum für Aktuelle Kunst in Berlin (ab dem 20.09.2024) hat zum Ziel, Werke der Gegenwart zu präsentieren, die der Strömung der Grenzkunst (border art) zuzurechnen sind. Die Auswahl der Werke ergibt sich aus zwei Annahmen der kuratorischen Strategie: Erstens zeigen die beiden Kuratorinnen Kunst, die zentrale Herausforderungen der Gegenwart adressiert und nationale Grenzen in einer Zeit großer Migrationsbewegungen reflektiert. Zweitens steht ein eher geopolitisch definierter Kontext im Fokus, das heißt wir konzentrieren uns auf Kunst, die sich mit der polnisch-deutschen Grenze in den letzten 30 Jahren beschäftigt, seit der Wende von 1989 und der Unterzeichnung des Grenzvertrages zwischen Polen und Deutschland im Jahr 1990. Die Kunst, die sich auf die spezifische polnisch-deutsche Grenze und ihre komplizierte Geschichte bezieht, wird zusammen mit Werken präsentiert, die den Status und den Zustand von Grenzen im Allgemeinen analysieren. Grenzen werden in der Ausstellung auch als Zielpunkt von Erinnerungen gezeigt, die auf kollektive und individuelle Erinnerungen, auf Traumata und Träume verweisen“, so erklärt Marta Smolińska.
Darüber hinaus hat sie zusammen mit Burcu Dogramaci und Dr. Martina Padberg eine große Ausstellung über zeitgenössische türkische Kunst geplant, die Ende 2025 im Kunstmuseum Ahlen eröffnet wird.
Ihr bisher größter Erfolg in Deutschland ist die gemeinsam mit Dr. Maike Steinkamp und Dr. Joachim Jäger kuratierte Sammlungspräsentation der Neuen Nationalgalerie in Berlin mit dem Titel „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft 1945–2000“. Für sie war es eine großartige Erfahrung, für die es sich aus Ihrer Sicht gelohnt hat nach Deutschland zu ziehen:
„Die Ausstellung zeigt zentrale Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie von 1945 bis zur Jahrtausendwende. Titelgebend für die Präsentation ist die radikale Performance des Wiener Aktionisten Günter Brus aus dem Jahr 1970. Dieser ging darin nicht nur bis an seine körperlichen Grenzen, sondern wies gleichzeitig auf die starken Spannungen zwischen Gesellschaft, Politik und Kunst hin. Es ist das Zeitalter des Kalten Krieges mit seinen ideologischen Konfrontationen zwischen Ost und West, Abstraktion und Figuration, zwischen traditionellen Kunstgattungen und neuen künstlerischen Techniken und Medien. In der Ausstellung steht der Begriff ‚Zerreißprobe‘ übergreifend für die radikalen Auf- und Umbrüche in der Kunst nach 1945“, erläutert M. Smolińska.
Der Kontakt zur polnischen Community in Deutschland ist Marta Smolińska sehr wichtig. Sie ist gerne Gast im Club der Polnischen Versager und nimmt dort an Diskussionen teil. Mit ihren Ausstellungen versucht Marta Smolińska auch ein politisches Zeichen zu setzen. So gab es beispielsweise im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „MITbeSTIMMEn“ eine Veranstaltung mit dem Projekt „PolMotion – Bewegung der polnischen Frauen“, die den politischen Aktivismus von Frauen mit Migrationsbiografie fördert. Dabei ist es ihr besonderes wichtig, mit ihrer Arbeit auch zu mehr Sichtbarkeit von Künstlerinnen beitragen zu können.
„Mein Vorbild ist jede Migrantin, die ihren Platz in einem Land gefunden hat, in das sie ziehen wollte oder musste. Ganz gleich, ob ihr Erfolg spektakulär und sichtbar ist oder sich in der Behaglichkeit ihres Zuhauses abspielt. Ich bewundere Migrantinnen, die in Harmonie mit sich selbst leben und sich weiterentwickeln, auf ihre jeweils eigene Art und Weise“, sagt Marta Smolińska, die seit vielen Jahren in Poznań und Berlin zuhause ist. Dass sie eines Tages Kunsthistorikerin und Kuratorin werden würde, stand für Marta Smolińska nie außer Zweifel. „Ich liebe einfach, was ich tue, weil meine Tätigkeit inspirierende Kontakte mit spannenden Kunstwerken und Künstler:innen ermöglicht“, sagt sie, die ihre Kraft für neue Ideen vor allem aus einer glücklichen Beziehung und dem Freundeskreis gewinnt.
Anna Stahl-Czechowska, Juni 2024
(Der Text basiert auf einem mündlichen und schriftlichen Interview mit Marta Smolińska.)
Publikationen:
Burcu Dogramaci (Hg.), Marta Smolińska (Hg.): Re-Orientierung. Kulturverlag Kadmos Berlin, Dezember 2017.
Burcu Dogramaci, Marta Smolińska: Grenze/Granica. Art on the German-Polish Border after 1990, Böhlau Verlag Köln, 2024. (Open Access E-Book)