Jurek Skrobala
Skrobala schreibt vor allem über das, womit er sich immer schon gern befasst hat: Musik. Sein bevorzugtes Format sind Reportagen und Porträts. So schrieb er unter anderem über den US-Rap-Star Kendrick Lamar, den er in Paris traf, über die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla, die er in London und Birmingham begleiten durfte, oder den Pianisten Igor Levit, dem er in Deutschland, England und Frankreich über die Schulter schauen konnte. Mit seinem Bericht über den Skandal um den Deutschrapper Kollegah kam Jurek Skrobala 2018 auf die Shortlist des Deutschen Reporterpreises.
Neben Musik und Popkultur widmet sich Skrobala immer wieder auch anderen gesellschaftlichen Themen. So schrieb er beispielsweise über einen Überlebenden des Massakers auf der norwegischen Insel Utøya, einen nordkoreanischen Flüchtling in Seoul oder eine Betrachtung über das Nichtstun.
Immer wieder befasst sich Jurek Skrobala auch mit Polen. Allerdings nicht in erster Linie, weil er polnischer Herkunft ist und seinen journalistischen „Polenbonus“ ausspielen will, wie es ein deutscher Redakteur einmal etwas despektierlich formulierte. Er sagt: „Mit Themen, die um Polen kreisen, befasse ich mich gern, sofern ich sie als relevant einschätze und sie mich interessieren. Wie bei popkulturellen Themen.“
2014 machte Skrobala eine Reise durch das Land seiner Geburt und interviewte verschiedene Schriftsteller*innen. Unter anderem sprach er in Breslau mit Olga Tokarczuk, in Schlesien mit Szczepan Twardoch und nahe der slowakischen Grenze mit Andrzej Stasiuk. Eine Frage, um die es in den Gesprächen ging, war die nach Putins Vorrücken am Donezk im Spiegel der Geschichte Polens . Für die „Zeit“ fuhr Skrobala 2019 nach Warschau, um dem Mythos des polnischen Wodkas nachzuspüren. Als besondere Ehre empfand es Skrobala bei „Die letzten Zeugen“ mitwirken zu dürfen, einem Titelthema des „Spiegel“ über Überlebende des KZ Auschwitz. Er traf dafür in Warschau Zofia Posmysz und Kazimierz Albin zu langen Interviews. Aus dem Projekt ging schließlich auch ein von Susanne Beyer und Martin Doerry herausgegebenes Buch hervor.
Jurek Skrobala kann sich bis heute flüssig auf Polnisch unterhalten. Manchmal muss er jedoch nach einem Begriff suchen und greift dann auch schon einmal zum deutschen Ausdruck, etwa wenn er mit seiner Mutter telefoniert. Vor Jahren attestierte ihm während eines Praktikums bei der „Deutschen Welle“ in Bonn ein polnischer Redakteur scherzhaft, er spräche Polnisch wie Mickiewicz, ein polnischer Nationaldichter des 19. Jahrhunderts. „Das war natürlich Quatsch“, sagt Skrobala, „aber schöner Quatsch, weil das Polnisch, das ich von meinen Eltern in den späten 80ern gelernt habe, tatsächlich schon ein wenig Staub angesetzt hat.“
Auch Skrobalas Blick auf Polen ist bis heute von den Beschreibungen und Idealen seiner Eltern geprägt, die für die Solidarność-Bewegung auf die Straße gegangen sind. Die nationalkonservative Politik der PiS sieht er kritisch. Aus seiner Sicht steht sie der Weltoffenheit vieler Polinnen und Polen entgegen, unterhöhlt die Demokratie und wirft das Land zurück. „Ich betrachte das mit Sorge“, sagt er. „Die Zensurversuche, das Abtreibungsgesetz, die sogenannten LGBT-freien Zonen, all das passt nicht mehr ins Weltbild vor allem junger Menschen. All das sollte nirgends Platz haben, meiner Meinung nach.“
Zur Frage, wo Jurek Skrobala seine Heimat hat, in Deutschland oder in Polen, schrieb er mit 29 Jahren einen Text für die „Neon“, zu dem er heute noch steht. Darin heißt es:
„Mit zwölf schrieb ich einen Text, der ›Heimat‹ hieß. Er fängt an mit einem kleinen Fiat, Hundegebell und Kohlegeruch. Das sind die Dinge, die mich sofort an Polen erinnern. Mit zwölf dachte ich, dass das Heimat sein muss: diese nostalgischen Details. So ist es aber nicht. Heimat ist kein Ort. Sie steht in keinem Pass, setzt sich nicht aus schöngedachten Erinnerungen zusammen. Heimat ist ein Gefühl. Sich geborgen zu fühlen – vielleicht ist das Heimat? So fühle ich mich in Hamburg, wo ich lebe, in Wrocław, wo meine Omas leben, und im geschrumpften Polen, der Wohnung meiner Eltern. Heimat – das Wort sollte man öfter im Plural verwenden.“
Anselm Neft, Februar 2021
Die Homepage des Journalisten Jurek Skrobala: www.skrobala.de