Jacek Głaszcz: „Ich wollte keinen Kafka spielen“

Jacek Głaszcz während der Proben für „Becketts Beine“ im ACUD-Theater Berlin, 2024.
Jacek Głaszcz während der Proben für „Becketts Beine“ im ACUD-Theater Berlin, 2024.

Jopek, „Rote Tomaten“ und Bigos mit Kantor…
 

Bereits als Mitarbeiter des Polnischen Instituts (2002–2015) veranstaltete Jacek für deutsche Jazzkritiker:innen eine Studienreise zum Jazz Jamboree-Festival in Warschau. Es gab Gespräche mit polnischen Musiker:innen, einen Besuch bei Tomasz Stańko zu Hause, ein Treffen mit Anna Maria Jopek. Das Album, das die Sängerin zusammen mit Pat Metheny aufgenommen hatte (Upojenie, 2002), war für Jacek der Schlüssel zur Vermarktung ihrer Musik in Deutschland. Er glaubte an den Erfolg. Doch reicht Glaube allein? Das entscheidende Argument für Jopek sollte gerade das sein, was die Deutschen an ihr liebten – und er selbst überhaupt nicht mochte. „Diese zur Schau getragene Volkstümlichkeit, all dieses Masowien, all diese Lerchen, dieses ganze oy, oy, oy…“ Darauf folgte ein Artikel im „Tagesspiegel“ mit einem Foto, das die halbe Seite einnahm. Und ein rappelvoller Tränenpalast[3]. Auf der Welle dieses Erfolgs folgten Kayah, Myslovitz, Justyna Steczkowska und natürlich auch Michał Bajor. Die polnische gesungene Poesie traf auf Chansons. Das war das Konzept. Eine mutige Entscheidung. Und sie trug Früchte: Anna Prucnal wurde in den Spiegelsaal in Clärchens Ballhaus in Berlin eingeladen. Weitere Locations gesellten sich dazu: das Kesselhaus/die Kulturbrauerei (Zakopower); der Club der polnischen Versager (Jacek Kulesza Trio) sowie der legendäre Club Quasimodo (Adam Bałdych).

„Und was war mit deiner Agentur ‚Rote Tomaten‘?“

„Sie war lediglich eine Ergänzung meiner Arbeit am Polnischen Institut. Ich habe sie gegründet, um polnische Musiker:innen auf deutschen Festivals präsentieren zu können. Anfangs waren es ausschließlich Jazz-Musiker:innen. Natürlich dachte ich auch über polnische Rock- und Popmusik nach. Davon hätte ich leben können. Aber ohne Startkapital hätte das langfristig keine Chance gehabt. Durch die Arbeit am Institut habe ich definitiv Gefallen am Jazz gefunden, diese Musik ist mir ans Herz gewachsen. Mehr noch: Keins dieser musikalischen Projekte wäre möglich gewesen ohne die finanzielle Unterstützung des Instytut Mickiewicza (Adam-Mickiewicz-Institut) in Warschau und des Instytut Książki (Buch-Institut). Das Polnische Institut förderte aber bei Weitem nicht nur polnische Musik, sondern auch Literatur und Theater. Ich wollte eine Hommage an Tadeusz Kantor veranstalten. Das war 2015… Mein Projekt wurde abgelehnt. Nachdem ich vom Institut weggegangen war, sah ich plötzlich einen Flyer. Darin stand nahezu das gleiche Programm wie das, das ich geschrieben hatte, und dazu gab’s noch ein polnisches Bigos-Rezept.“ 

Zusammen mit Bożena Baranowska[4] veranstaltete Jacek am Maxim-Gorki-Theater regelmäßig inszenierte Bühnenlesungen von Werken junger polnischer Dramaturg:innen. An der Berliner Akademie der Künste initiierte er im Rahmen des „Blickwechsel“-Programms einen polnischen Themenblock im Bereich Drama unter dem Namen „TheaterSlam“.

 

Litera-Tour
 

„Den Leser:innen entgegenkommen, dort sein, wo sich das literarische Berlin trifft. Das sollte mein Erfolgsrezept sein. Ich habe ausschließlich Autor:innen vorgestellt, deren Werke in deutscher Übersetzung vorlagen. Die Empfänger:innen sollten immerhin deutsche oder deutschsprachige Leser:innen sein“, wirft Jacek ein. Dank der Unterstützung des Buch-Instituts und des Adam-Mickiewicz-Instituts in Warschau war es möglich, die Werke polnischer Schriftsteller:innen regelmäßig vorzustellen. „Den Leser:innen entgegenkommen“ bedeutete, bereits vorhandene oder im Entstehen begriffene literarische Treffpunkte zu nutzen, angefangen bei der alternativen „LiteraturWerkstatt“ in der Kulturbrauerei (Paweł Huelle: „Weiser Dawidek“, 2013) über das Literaturhaus Berlin bis hin zum Internationalen Literaturfestival, wo Jacek im Jahre 2010 die Werke von Andrzej Stasiuk vorstellte. In der altehrwürdigen Schwartzschen Villa war Andrzej Bart mit der deutschen Übersetzung seines Romans „Die Fliegenfängerfabrik“ zu Gast (2011). Im Mai 2012 reiste Olga Tokarczuk aus Polen zu „Europa literarisch“ an. Es war nicht ihr erster Besuch in Berlin. Diesmal wurde sie vom Berliner EUNIC, den Nationalen Kulturinstituten der Europäischen Union, eingeladen.

 

Finale Grande... ?
 

„Und Beckett?“

„Tja, da wurde mir meine Eitelkeit zum Verhängnis. Ich habe Beckett gespielt. Oder genauer gesagt seine Beine.“[5] (lacht)

„Wie geht es jetzt weiter?“

„Ich möchte Łódź öfter besuchen. Mein nicht-gelobtes Land…“

 

Wojciech Drozdek, Februar 2024

 

[3] Tränenpalast: Ehemaliger Grenzübergang zwischen Ost- und Westberlin am Bahnhof Friedrichstraße. In den Jahren 1991–2006 wurde das Gebäude als Musikclub benutzt. Heute beherbergt es ein Museum.

[4] Theater-, Film- und Fernsehschauspielerin, Theaterregisseurin und PädagoginDekanin des Fachbereichs Schauspiel am Europäischen Theaterinstitut (ETI) der Schauspielschule Berlin (1997–2000).

[5] ACUD-Theater, STUDIO 2, „Becketts Beine“, Premiere: März 2024. Regie: Katarzyna Makowska-Schumacher. In den Hauptrollen: Bożena Baranowska, Justyna Pawlicka, Jacek Głaszcz.

Mediathek
  • Jacek Głaszcz

    Während der Proben für „Becketts Beine“ im ACUD-Theater Berlin
  • Polnische Puppen- und Maskentheater in Berlin

    Vorbereitung der Masken für die Aufführung. Halina Tramba-Kowalik und Jacek Głaszcz
  • Darsteller:innen mit Masken und Puppen

    Von links: Andrzej Kowalik, Halina Tramba-Kowalik, Krzysztof Zastawny, Jacek Głaszcz
  • Puppen und Masken in der Ausstellung „Zuzug nicht gestattet“

    Polnische Kultur in Berlin Kreuzberg, 1991
  • Aus der Sammlung von Jacek Głaszcz

    Eine sizilianische Marionette
  • Aus der Sammlung von Jacek Głaszcz

    Schild mit der Zimmernummer 232 des Orbis Grand Hotel in Łódź, wo Marlene Dietrich übernachtet hat
  • Jacek Głaszcz während des Gesprächs

    2024
  • Jacek Głaszcz

    Mit Agios
  • Aus der Sammlung von Jacek Głaszcz

    Auf dem Foto von links: Tadeusz Łomnicki und Krzysztof Zastawny
  • Aus der Sammlung von Jacek Głaszcz

    Familienalbum (Farbfoto): Die Mutter und Tante, 1933
  • Jacek Głaszcz

    Vor dem Eingang des ACUD-Theaters in Berlin, 2024
  • Erinnerungen von Jacek Głaszcz

    Textilarbeiterin aus Łódź, 1970