Ewa Maria Slaska und „Wyspa“
Das Leben in den 1980er Jahren, im letzten Jahrzehnt der Volksrepublik Polen, war nicht gerade ideal für kulturell und sozial aktive Bürger. Auch Ewa Maria Slaska gehörte zu jenen Personen, die mit der politischen, wirtschaftlichen, aber vor allem mit der gesellschaftlichen Lage in Polen nicht einverstanden war. Die Schriftstellerin und Journalistin engagierte sich früh für die demokratische Opposition noch vor „Solidarność“ und auch in der „Solidarność“ selbst. Kurz vor, während und nach dem Kriegsrecht in Polen (1981 - 1983) verschärfte sich die Situation der Oppositionellen dramatisch. Das bekam auch Ewa Maria Slaska zu spüren. Wieder einmal war ihre Wohnung durchsucht worden, mal wieder musste ihr kleiner Sohn bewaffneten Männern bei ihrer Arbeit zusehen. Da fasste sie den Entschluss, in den Westen auszuwandern.
Das Ziel waren eigentlich die USA. Die erste Station auf der langen Reise war West-Berlin. Doch kurz vor dem Abflug nach Amerika entschied sie sich, in West-Berlin zu bleiben. Hier traf sie auf Freunde, die ihr halfen, hier traf sie auf Menschen, die es mit ihr gut meinten. Da Ewa Maria Slaska sich nach wie vor für das soziale und kulturelle Leben interessierte und einsetzte, besuchte sie mal ein Fernsehteam, um sie zur Lage der polnischen Migrantinnen in West-Berlin zu befragen. Nach den Antworten begann Slaska selbst zu fragen und auf diese Weise erfuhr sie, dass es in Berlin den Offenen Kanal (OKB) gab. Der vom Land Berlin finanzierte Offene Kanal Berlin wurde 1985 ins Berliner Leben gerufen. Beim OKB konnte jeder mitmachen. So wurde das Fernsehprojekt schnell zum wichtigen Medium für all diejenigen, die zu den öffentlich-rechtlichen oder privaten Medien keinen Zugang hatten. Nach einem praktischen Kurs und einer praktischen Prüfung wurde auch das Duo Ewa Maria Slaska und ihr damaliger Partner Grzegorz Ziętkiewicz zur Produktion beim OKB zugelassen. Sie durften senden, was und wie sie wollten. Die gemeinsame Idee des TV Magazins „Wyspa“, von Polen für Polen, wurde geboren und Ewa Maria Slaska konnte und wollte nicht mehr abwarten, dieses Magazin zu produzieren und zu senden.
Die erste Folge des Magazins „Wyspa“ flimmerte bereits im Herbst 1985 über die Fernsehgeräte West-Berlins. Die Magazine hatten eine Länge von einer Stunde und beinhalteten meistens drei bis vier Elemente, Interviews und Beiträge. Die Autoren gingen mit der Kamera meistens an Orte des Geschehens, an Orte des polnischen Lebens. Dabei ging es um aktuelle Themen, die die Polen in West-Berlin bewegten, aber auch um Personen, die wichtig für das polnische Leben in West-Berlin waren. Man konnte die Themen grob in drei Bereiche unterteilen: Soziales, Kulturelles und Politisches. Zu den ersten Interviewpartnern gehörten Witold Kamiński, Teresa Nawrot, Janina Szarek, Helena Bohle-Szacka, Leszek Szaruga, Tomasz Jastrun, Lech Dymarski. Ein Mal gab es eine Ausnahme von der Form des TV-Stadtmagazins, denn ein polnisches Puppentheater füllte eine ganze Sendung. „Das Polnische Puppen- und Maskentheater“ (Polski Teatr Lalki i Maski) mit Helena Tramba-Kowalik und Andrzej Kowalik, Jacek Głaszcz und Krzysztof Zastawny spielte seit 1985 regelmäßig und noch bis Mitte der 1990er Jahre in dem Theatercafe in der Paulstrasse 22 in Berlin. Dort besuchten sie Ewa Maria Slaska und Grzegorz Ziętkiweicz mit der Kamera. Auf diese Weise zeigte das Ensemble dem im Cafe und vor den Bildschirmen versammelten Publikum über „Wyspa“ das polnische Märchen „Szewczyk Dratewka“ (Der kleine Schuster Dratewka) in voller Länge.
Die Magazine wurden monatlich produziert. Jede neue Folge wurde am ersten Freitag des Monats ausgestrahlt. Danach wurde das Magazin noch dreifach wiederholt. Insgesamt entstanden 16 Folgen des TV-Magazins, 15 davon mit der aktiven Beteiligung von Ewa Maria Slaska. Das Nonprofit-Projekt „Wyspa“ lebte hauptsächlich von der Selbstaufopferung der Autoren. Persönliche Gründe und finanzielle Unsicherheit zwangen das TV-Magazin in die Knie. Nach dem Einstellen von „Wyspa“ Anfang 1988 war kein anderes polnisch-sprachiges Magazin im OKB präsent. Natürlich bedeutete das Ende von „Wyspa“ nicht das Ende der kreativen Arbeit von Ewa Maria Slaska. Bis heute engagiert sie sich in verschiedenen soziokulturellen Projekten. Aktuell arbeitet sie als Administratorin und Chefredakteurin eines Blogs mit dem Schwerpunkt Kultur und Soziales auf Deutsch, Polnisch und Englisch (ewamaria2013) und schreibt parallel an ihrem Buch „Meine Familie – aus dem Leben der acht Generationen der assimilierten Juden in Polen und woanders“ .
„Das bittere Wort Exil - Ewa Maria, 38, aus Polen“: Ein Dokumentarfilm des West-Berliner Senders SFB aus dem Jahre 1987 von Helga Reidemeister. Er ist ein einzigartiges Dokument über das polnische Migrantenleben in West-Berlin, vor allem aber zeigt er die Probleme und die Selbstorganisation der polnischen Frauen in der geteilten Stadt Ende der 1980er Jahre. Die Narration des Films übernimmt Ewa Maria Slaska selbst und erlaubt damit ein intimes Porträt einer Polin in West-Berlin. Dem Pressetext zu diesem Film von 1987 kann man durchaus entnehmen, dass der Sender SFB schon damals die schier unglaubliche dokumentarische Dimension des Films geahnt hatte: „Der Film ist ein subjektiver Bericht der Erfahrungen einer polnischen Schriftstellerin und Journalistin, die seit fast drei Jahren in West-Berlin lebt und durch ihr journalistisch-soziales Engagement bemüht ist, sich nicht nur als Einzelkämpferin durchzuschlagen, sondern auch das „Polnische Milieu“ West-Berlins auszuleuchten. Der Film zeigt die persönlichen Schwierigkeiten einer mutigen Frau, ihren harten Existenzkampf, ihre Probleme in der Ehe und Kindererziehung – aber auch Wege, die man im Exil gehen kann, um eigene Träume und Ziele zu verwirklichen.“
Adam Gusowski, Mai 2015