Er lebt für Hip-Hop: Die Legende DJ Tomekk

DJ Tomekk beim 90er Olymp 2018 im Freizeit- und Erholungspark Lübars. Berlin, 10.08.2018
DJ Tomekk beim 90er Olymp 2018 im Freizeit- und Erholungspark Lübars. Berlin, 10.08.2018

Tomasz Kuklicz wird am 11. Oktober 1975 in Krakau geboren. Das kreative Talent und seine Wissbegierde scheinen ihm dabei offenbar in die Wiege gelegt: Der eine Großvater ist erfolgreicher Maler, Bildhauer und Weltenbummler und hinterlässt der Familie eine reiche Sammlung an Gemälden und Skulpturen. Der andere Großvater ist Architekt. Tomaszs Eltern Dorota und Stanisław Kuklicz sind ihres Zeichens studierte Geolog:innen und liberale Intellektuelle, die ihre Kinder schon früh in deren Entwicklung fördern. In ihrer Kindheit wachsen Tomasz und seine jüngere Schwester Joanna daher vergleichsweise wohlhabend und in liebevoll familiärer Obhut auf – allerdings mit einem zum Alkoholismus neigenden und beruflich bedingt häufig abwesenden Vater, zu dem der kleine Tomasz dennoch eine stärkere emotionale Bindung aufbaut als zu seiner Mutter. In der Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und ihre Kinder planen die Eltern Kuklicz das sozialistische Polen zu verlassen und nach Chicago in die USA auszuwandern. Dieses Vorhaben wird in der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 mit dem Verhängen des Kriegsrechts in Polen harsch zerschlagen: Militär und Polizei übernehmen die Macht, mehrere tausend Oppositionelle werden interniert, keine Ausreise aus Polen mehr möglich, Panzer rollen durch die winterlichen Straßen, die Sperrstunde wird eingeführt. Mit der Mangelwirtschaft und der Rationierung der Lebensmittel holt auch Tomaszs Familie der Alltag in Hunger und Armut ein. Als Vater Stanisław 1985 schließlich doch einen Weg findet, nach West-Deutschland zu emigrieren, lässt er Frau und Kinder zunächst hinter sich zurück. Der junge Tomasz pendelt fortan zwischen zwei Welten: zwischen Vater und Mutter, zwischen West-Deutschland und Polen.

Seine erste Faszination für das DJ-ing beginnt als Tomasz in dem west-deutschen Jugendmagazin Bravo von einem britischen Diskjockey liest, der Songs aus dem Radio mitschnitt und aus den Samples neue Musik mischte. Inspiriert von dieser musikalischen Ausdrucksform macht Tomasz schließlich seine eigenen ersten und vielversprechenden Versuche mit dem Kassettenrecorder seiner Mutter und diversen Tonträgern. Als er dann 1986 in einem Krakauer Jazzclub zum ersten Mal persönlich einem echten DJ begegnet, lässt sich der wissbegierige Junge ausführlich von „DJ Witek“ in die Grundlagen des Auflegens an den Plattentellern einweihen. Der Wunsch, später einmal selbst DJ zu werden, hat sich damit endgültig für den 11-Jährigen gefestigt. Noch im selben Jahr folgt Tomasz seinem Vater nach West-Berlin und verbringt nur noch die Sommerferien bei seiner Mutter in Polen. Vater und Sohn beziehen eine Wohnung in der Bastianstraße 7 in Berlin-Wedding in bescheidenen Verhältnissen. Durch die Sprachbarrieren und die wenigen soziale Kontakte ist Tomasz in Deutschland zunächst ein Außenseiter. Aller Ausgrenzung zum Trotz lernt der selbstbewusste und ehrgeizige Junge fleißig Deutsch. Er besucht erst die Gesundbrunnen-Grundschule, später das Diesterweg-Gymnasium – nicht gänzlich ohne Konflikte zwischen den schulischen Autoritäten und dem mit Vorurteilen behafteten polnischen Jungen aus dem Problembezirk. Seine Freizeit verbringt er mit seinem kreativen und künstlerischen Schaffen: Zeichnen, Graffiti und Rap. Die Hip-Hop-Szene in Deutschland ist zu dieser Zeit sehr klein und die Entwicklung des Deutschen Rap steckt noch in den Kinderschuhen – aber seit Beginn der Achtzigerjahre hat die US-amerikanische Hip-Hop-Bewegung zumindest soweit in Deutschland Widerhall gefunden, dass vielbeachtete Songs wie „(You Gotta) Fight for Your Right (to Party!)“ von den Beastie Boys sowie „Walk This Way“ von Run-D.M.C. 1986 auch hierzulande Charts-Erfolge feiern. Es ist der junge neue Sound Berlins, dessen Subkultur sich über die Jugendzentren organisiert. Im nahgelegenen Jugendclub in der Badstraße in Berlin-Wedding findet auch Tomasz Gleichgesinnte, nimmt über den Club erfolgreich an kreativen Graffiti- und Integrationsbewerben teil und finanziert sich seinen ersten Plattenspieler mit Graffiti- und Design-Jobs.

Zuhause dagegen sieht sich der vernachlässigte Junge für den Haushalt und die Pflege seines alkoholkranken Vaters zuständig: Während Vater Stanisław mit seiner kleinen Baufirma zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten gerät, verfällt er immer stärker der Sucht und der Gewalttätigkeit, die sich auch gegen seinen Sohn richtet. Immer häufiger wird Tomasz Opfer der väterlichen Prügelattacken, meidet daher soweit es geht die heimische Wohnung und lernt damit schon früh auf eigenen Beinen zu stehen. Als der Vater 1991 an den Folgen des Alkoholismus verstirbt, ist der damals gerade einmal 15-jährige Halbwaise plötzlich tatsächlich auf sich allein gestellt: Eine Rückkehr nach Polen ist für den Teenager aber ausgeschlossen und seine Mutter gewährt ihm auf seinen eigenen Wunsch in Deutschland zu bleiben. Im Kinderheim Frohsinn in Berlin-Wedding verbringt Tomasz letztlich die nächsten Jahre bis zu seiner Volljährigkeit, die er ausgiebig dem DJ-ing widmet. Scratching, Sampling, Remixe: Bis zu acht Stunden am Tag übt der Halbstarke seine Fähigkeiten an den Plattentellern, nutzt seine Kontakte in der überschaubaren Berliner Hip-Hop-Szene, legt auf privaten Partys und Schulfesten auf, entwickelt seinen eigenen Stil in einer Mischung aus harten Beats und weichen Gesängen. Der große Durchbruch sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Mit 15 Jahren erhält Tomasz bei dem Label Stuff Records seinen ersten Plattenvertrag als Rapper und veröffentlicht unter seinem Rap-Namen „MC Mis One“ seine erste Single mit den Songs „Wait In Love For You“ und „Art Gangster Rap“. Seine ersten Tour-Erfahrung als DJ macht er mit dem Berliner Musiker:innen-Kollektiv „Reality Brothers“ und ab 1992 legt er jeden Freitagabend in dem Berliner Club Acud auf. Mit jedem Freitagabend wird die Tanzfläche voller und allmählich wird er in der Berliner Szene bekannt unter seinem neuen Künstlernamen „DJ Tomekk“ („Tomek“ als Koseform von Tomasz und das zusätzliche „k“ für seinen Nachnamen Kuklicz). 1993 beginnt er sein Arbeit als DJ bei dem neu gegründeten Berliner Radiosender Kiss FM und moderiert dort seine eigene Hip-Hop-Show auf Deutsch, Polnisch und Englisch unter dem Titel „Boogie Down Berlin“. Für eine stetig wachsende Hörerschaft mixt er hier jeden Freitag- und Samstagabend seine Musik, interviewt prominente Musiker:innen und Gäste, rappt sogar selbst mehrsprachig in seiner Sendung. Sein überragendes Talent und eine glückliche Fügung öffnen ihm dann Tür und Tor in das große Musikgeschäft: 1993 kommt die US-amerikanische Hip-Hop-Legende Kurtis Blow für ein Interview in die Radiosendung des mittlerweile 17-jährigen Tomekk und lässt sich ad hoc von seinen Fähigkeiten begeistern. Noch am selben Abend nimmt Kurtis Blow den aufstrebenden Tomekk als Opening-DJ mit zu seinem Berliner Konzert – und schließlich unter Vertrag für seine Tour durch die Vereinigten Staaten. Ein Jahr lang tourt Tomekk als DJ mit Kurtis Blow durch die USA, spielt land auf land ab auf Konzerten vor mehreren hunderttausend Menschen, findet sich auf einmal mit Stars des amerikanischen Hip-Hop, wie Run-D.M.C. und LL Cool J, auf der Bühne wieder. Kurtis Blow fungiert dabei als Mentor für den noch jungen Tomekk und ebnet ihm ein gutes Ansehen in der Szene: Unabhängig des gewaltsamen „East Coast vs. West Coast“-Konflikts, der die US-amerikanische Hip-Hop-Szene Mitte der 1990er Jahre in zwei verfeindete Lager teilt, lernt Tomekk durch den erhabenen Kurtis Blow alle bekannten Hip Hop-Künstler:innen an der Ostküste sowie an der Westküste kennen. Zu dieser Zeit ist ein weißer Nicht-Amerikaner im amerikanischen Hip-Hop noch äußerst ungewöhnlich. Umso mehr sorgt Tomekk für Furore, als er 1994 sogar für den 1st Annual Rap Music Award nominiert wird.

Zurück in Deutschland geht Tomekk zwar erstmal wieder zum Gymnasium, aber sein Abitur wird er nicht mehr machen: Während er tagsüber die Schulbank drückt, legt er nachts in diversen Berliner Clubs auf, beteiligt sich an kleineren und größeren Clubs als Teilhaber und arbeitet ehrgeizig an seiner Karriere als DJ. Seine Mixtapes, auf denen er häufig US-amerikanische und deutsche Künstler:innen gemeinsam in einen Song integriert, verkauft er quasi aus dem Kofferraum und polstert damit seine noch sehr überschaubaren Finanzen auf. Die Volljährigkeit nun erreicht, verlässt er das Weddinger Kinderheim und bezieht seine erste eigene Wohnung, später dann eine Zimmer in einer Wohngemeinschaft mit Freunden. Nachdem er 1997 bei dem Musikverleger Guido Schulz unter Vertrag kommt, ist der steile Weg seines Erfolgs geebnet: Er verlässt die Schule und arbeitet in großen Musikstudios an Produktionen, lernt richtige Musikproduzenten kennen, nimmt Remix-Aufträge befreundeter Künstler:innen an. Zusammen mit Guido Schulz sowie seinem damaligen Mitbewohner und heute erfolgreichem Musikmanager Ronny „Ernie“ Boldt gründet er 1998 die Agentur „Hip-Hop-Büro Berlin“ zur DJ-Promotion. Und als der Sportartikelhersteller Fila 1999 das Label F-Records gründet, wird Tomekk als einer der ersten Künstler unter Vertrag genommen. Der Song „1, 2, 3 Rhymes Galore“, als internationale Kooperation unter DJ Tomekk und Grandmaster Flash, wird zu einem riesigen kommerziellen Erfolg und hält sich mehrere Wochen in den Deutschen Charts. Seine zweite Single „Ich lebe für Hip Hop“ erreicht Platz 11 der Charts. Mit dieser Hip-Hop-Hymne kreiert er schon früh sein Markenzeichen – auch über die eigene musikalische Szene hinaus:  Es folgen Fernsehauftritte, Musikauszeichnungen wie der Comet und der Bravo-Otto, Autogrammstunden und Booking-Anfragen aus dem europäischen Ausland. 2001 veröffentlicht er sein erstes Album „Return of Hip Hop“ und zieht noch im selben Jahr nach New York. Seither produziert er mit großen internationalen Stars, erreicht hohe Platzierungen auch in den ausländischen Charts. Um die Jahrtausendwende zählt Tomekk zu den bekanntesten Hip-Hop-DJs und Top-Produzenten in Deutschland. Er verhilft vielen deutschen Rappern zu Charterfolgen und holt amerikanische Hip-Hop-Künstler:innen nach Deutschland – wie zum Beispiel LL Cool J, Coolio, Grandmaster Flash, Public Enemy, KRS One und Wu-Tang Clan. Mit „Beat of Life, Vol. 1“ folgt  2002 bereits sein zweites Studioalbum und 2003 sogar eine Grammy-Nominierung. Im Jahr 2005 veröffentlichte er sein drittes Album „Numma Eyns“, dessen Singleauskopplung „Jump, Jump (DJ Tomekk kommt)“ es sogar auf Platz 3 der deutschen Charts schafft. Für diesen Song lässt DJ Tomekk das bis dahin aufwendigste deutsche Hip-Hop-Video drehen.

Sein Händchen für Hits mit Superstars verschiedenster Genre heimsen ihm mehrere Goldene Schallplatten und Awards sowie ein beachtliches Vermögen ein. In den Zweitausenderjahren, in denen Hip-Hop auch in Deutschland zu einem Millionenbusiness heranreift, verdient er sich eine goldene Nase. Aber auch Kritik muss sich der Ausnahmekünstler stellen: Da er auch Musik für Werbe-Kampagnen produziert, wird er zu einem der ersten Gesichter der Kommerzialisierung des deutschen Hip-Hop und erntet dafür viele Seitenhiebe der Hip-Hop-Gemeinde, die ihm einen „Sell out“ (künstlerischer Ausverkauf) vorwirft. Auch mit seinen zunehmenden Alkohol- und Drogenexzessen bekommt Tomekk zudem unrühmliche mediale Aufmerksamkeit. 2008 kommt dann der Absturz, als ein privates Video, in dem Tomekk offenbar den Hitlergruß zeigt, von der Boulevardpresse ausgeschlachtet wird. Tomekk erklärt glaubhaft, das Video sei aus dem Zusammenhang gerissen, er selbst mit seiner eigenen Migrationsbiografie und seinem diversen privaten Umfeld hege keinerlei rassistisches oder rechtes Gedankengut. Gerichtlich geht er gegen die diffamierende Berichterstatter vor. Es endet mit einem Vergleich – und damit, dass Tomekks Ruf dennoch für einige Jahre einen Image-Schaden nimmt. 2010 veröffentlich er zwar noch sein viertes Album „Ehrenkodex“ bei einem polnischen Label mit vielen Features deutscher und polnischer Künstler:innen. Es dauert aber einige Jahre mit weiteren Alkoholexzessen, diversen privaten Rückschlägen sowie der Überwindung der eigenen Alkoholprobleme bis sich die DJ-Legende wieder gestärkt ins Leben zurückkämpft. Zwar ist es um den mittlerweile über 40-Jährigen etwas ruhiger geworden, aber bis heute legt er weiterhin erfolgreich und regelmäßig im Radio, in Clubs und bei Festivals auf der ganzen Welt auf –  und damit macht DJ Tomekk immer noch genau das, was er immer schon gemacht hat: Hip-Hop.

 

Katarzyna Salski, Mai 2022

 

Die Autobiografie „Ich lebe für Hip Hop“ von DJ Tomekk erschien 2020 im Heyne-Verlag.

Mediathek
  • "1,2,3 RHYMES GALORE" (1999)

    DJ Tomekk feat. Grandmaster Flash
  • "Ich Lebe Für Hip Hop" (2000)

    DJ Tomekk feat. GZA & Curse & Prodigal Sunn & Stieber Twins
  • "JUMP JUMP" (2005)

    DJ Tomekk feat. FLER & G-HOT