Eine verbotene Liebe – Prinzessin Elisa Radziwiłł und Wilhelm von Preußen
Überstürzt reiste Wilhelm in die Rheinprovinzen und in die Niederlande, um vor seinen Problemen zu fliehen. Längst nahm ganz Berlin, durch die Zeitungen von der Abreise des Prinzen informiert, am Verlauf des Dramas teil. Unterdessen warb Prinz Oskar von Schweden, für den der Standesunterschied offenbar kein Problem darstellte, um Elisas Hand. Wilhelm verlebte den fünfundzwanzigsten Geburtstag, an dem er Elisa eigentlich hatte heiraten wollen, in Holland. Elisa durfte ihm nur Unverfängliches schreiben, und wenn Wilhelm ihr eine Nachricht zukommen lassen wollte, so schrieb er an ihre Mutter. Von seiner Schwester Charlotte erhielt er aus Russland Elisas Bildnisminiatur als Geschenk, die bis zu seinem Tod 1888 auf seinem Schreibtisch stehen sollte.
Zurück in Berlin gab Wilhelm bei zwei Berliner Rechtsgelehrten ein Gegengutachten in Auftrag. Eine Unterredung mit dem König, die kühl und unpersönlich verlaufen war, hatte seinen Widerstand bewirkt. Treffen von Elisa und Wilhelm im Theater, auf Empfängen im Hause Radziwiłł und lange Gespräche im Garten des Palais an der Wilhelmstraße, deren Inhalt der Prinz in Dialogform niederschrieb, folgten. „Auf der ganzen Welt nur sie!“, bekannte er. Sie sei die „Glückseligkeit“ seines Lebens. Die Gegengutachten ergriffen selbstverständlich für ihn Partei und wurden ebenso prompt von den Ministern und von Polizeidirektor Kamptz zurückgewiesen. Am 28. Juli 1822 reiste die gesamte Familie Radziwiłł nach Schlesien, nach Schloss Ruhberg bei Schmiedeberg im Hirschberger Tal. Bekannt für seine liebliche Landschaft zu Füßen des Riesengebirges und umgeben von Teilgebirgen der Sudeten, ließ sich der preußische Adel, darunter zahlreiche Freunde der Radziwiłłs, im 19. Jahrhundert an die dreißig Schlösser, Herrensitze und Parks im Hirschberger Tal errichten. Schloss Ruhberg, unter Beteiligung des Architekten Carl Gotthard Langhans, des Erbauers des Brandenburger Tors, errichtet und von einem weitläufigen Landschaftspark umgeben, hatte Fürst Radziwiłł als Sommersitz zunächst für fünf Monate gemietet, doch die Familie sollte auch für die folgenden acht Jahre nicht nach Berlin zurückkehren.
Unterdessen präsentierte Geheimrat Raumer drei weitere Dossiers, in denen eine Verbindung der beiden Liebenden als „Missheirat“ bezeichnet wurde, welche die hierarchische Struktur des Hauses Hohenzollern untergraben würde. Der preußische Außenminister Christian Günther Graf von Bernstorff wurde um eine Beurteilung des Falls gebeten, sah sich jedoch außerstande, die Ebenbürtigkeit zu beurteilen, da die Radziwiłłs dem polnischen und nicht dem deutschen Adel angehörten, und schlug eine Ebenbürtigkeitserklärung durch den König vor. Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem das Lebensglück seines Bruders am Herzen lag, verurteilte mit Vehemenz die Gutachten und Intrigen der „Hofschranzen“ und stritt sich leidenschaftlich mit seinem Onkel Großherzog Georg, der ebenfalls weitere identische Gutachten anfertigen ließ. Während Wilhelm seinen Vater und die Brüder auf einen Monarchenkongress nach Verona begleitete, wurde Elisa neunzehn Jahre alt. „Elisa ist für mein Lebensglück unentbehrlich geworden“, schrieb Wilhelm an ihre Eltern.
Die Familie Radziwiłł beschloss, nicht nach Berlin zurückzukehren, um Elisa nicht dem Gerede auszusetzen. Die Weigerung des Königs, der Heirat zuzustimmen, empfand sie inzwischen als ungeheure Beleidigung, zumal Fürstin Luise mit dem König verwandt war. Nicht nur sie, auch Wilhelm vermutete, dass politische Gründe ausschlaggebend waren, denn Fürst Radziwiłł hatte sich nicht nur auf dem Wiener Kongress, sondern auch gegenüber dem König für die Wiederherstellung der polnischen Nation, möglicherweise unter der Führung Preußens, eingesetzt, eine Ansicht, die Reichsfreiherr Heinrich vom und zum Stein, ein Freund der Fürstin, ebenso vertrat wie Elisas beste Freundin Luise von Kleist, deren Verlobter zu den aufrührerischen polnischen Studenten gehörte. Im Mai 1823 siedelte die Familie nach Posen ins Statthalterpalais über. Elisa begann, sich einen Kreis polnischer Freundinnen zu schaffen und sich für die Kultur und Geschiche Polens zu interessieren.
Während Wilhelm und Elisa zwischen Berlin und Posen über Familienmitglieder winzige Nachrichten, gepresste Blumen und Blätter, Schmuckstücke und Haarsträhnen austauschten, stellte der Kronprinz, wütend über Raumers Anmaßungen, eigene Nachforschungen über die Geschichte der Hohenzollern an, verfertigte selbst eine Stellungnahme, in der er über die Gutachten des Fürsten Wittgenstein herzog, und ließ dem König ausrichten, dieser möge endlich eine Entscheidung treffen. In zweierlei Hinsicht ließ sich der König erweichen: Er erlaubte dem Kronprinzen, die katholische Prinzessin Elisabeth von Bayern zu heiraten, und Wilhelm durfte – über Posen! – nach St. Petersburg reisen, um Schwester Charlotte zu besuchen. Wilhelm revanchierte sich mit einem Affront gegen den König: Er hatte herausgefunden, dass Elisabeth, die neue Schwiegertochter, über Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz in direkter Linie von Fürst Boguslaw Radziwiłł abstammte. Wittgenstein legte das zweiundzwanzigste Gutachten über eine bevorstehende „Missheirat“ mit einer Prinzessin Radziwiłł vor, da diese nicht aus einer souveränen Dynastie stammen würde.
Aber auch der Druck auf den König wuchs. Der Kronprinz beschwerte sich bei seinem Onkel Georg über die Kälte und die Herzlosigkeit des Monarchen. Wilhelm schrieb einen Brief, in dem er um eine Entscheidung bat und darum ersuchte, auf eine Kommission zu verzichten, die die befreundete Familie Radziwiłł in Bedrängnis bringen würde, unterwarf sich aber jeder Entscheidung des Königs. Die Fürstin Radziwiłł beschwerte sich ebenfalls brieflich über die öffentliche Herabsetzung ihrer Familie und bat, ihr die sicherlich kränkende Beurteilung einer Kommission zu ersparen. Der Bericht der dann im Juni 1824 tatsächlich einberufenen