Eine Spurensuche – NS-Verbrechen an Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen in einem Dorf im Sauerland
Zwangsarbeiter:innen in Garbeck
Die Landbevölkerung verhält sich im Umgang mit Zwangsarbeiter:innen höchst ambivalent. Manche Bauern behandeln sie wie andere Landarbeiter:innen, beurteilen sie nach Leistung und Unterordnung, teilen die Mahlzeiten und verbringen zum Teil auch die Freizeit mit ihnen. Andere wahren Abstand und verhalten sich ganz vorbildlich, wie „deutsche Bauern“ eben. Auch die Kolleg:innen in den Metallbetrieben verhalten sich widersprüchlich. Im Fabrikalltag wird geredet, gescherzt und geschimpft, doch zusätzliche Lebensmittel bringen nur wenige Deutsche für sie mit, den meisten ist das Los der Ausländer:innen gleichgültig. Dies lässt sich an einigen Beispielen nachzeichnen, auf die ich bei meinen Nachforschungen in der Gegend gestoßen bin.
Bauer J. Fischer
1940 vermittelt das Arbeitsamt den polnischen Zwangsarbeiter Ceslaus Rinzat an den Hof von Bauer J. Fischer, erzählt der Sohn des Bauern (Jahrgang 1930) bei unserem Gespräch im Herbst 2005 in Garbeck. Anfangs habe dieser nichts Dreckiges anfassen wollen. Rinzat ist Frisör aus Krakau. Nachdem ihn der Dorfgendarm Gerwiener „zurechtgestaucht hatte, machte der alles“, meint Fischer, nur melken habe er nicht gekonnt. Im Winter, wenn es auf dem Hof wenig zu tun gab, habe Rinzat bei Böhmer, dem Friseur im Dorf, ausgeholfen. Der Mann freundet sich mit einer „Russin“ vom Nachbarhof an. Als sie schwanger wird, habe sie „weggemusst“. „Wohin, da haben wir nicht nachgefragt. Es war schließlich Krieg. Schauen Sie, was die Amerikaner heute im Irak machen. Unsere Enkelkinder werden den Krieg mit den Muslimen noch erleben“, erklärt Fischer. Im Herbst 1944 sei „Ceslaus“ dann zu einem Holzhändler in Linnepe gekommen. Ceslaus Rinzat sei nach dem Krieg in Dortmund nach einer Magenoperation gestorben.[18]
Bauer H. Rademacher
Der Bauer Heinrich Rademacher in Levringhausen gerät wegen seines „familiären“ Umgangs mit dem polnischen Landarbeiter Theophil Rozycki (Teofil Różycki) in Konflikt mit der Obrigkeit, lese ich in der Polizeiakte. Der Bauer muss Hausdurchsuchungen erleben, bekommt Anzeigen, Drohungen und eine „staatspolizeiliche“ Verwarnung durch den Dorfpolizisten. In seiner „Anzeige gegen einen Polen und zwei deutsche Staatsangehörige“ vom 16. Mai 1944 schreibt Polizeimeister Wallmann über Rademacher: „Die Einstellung des Bauern zu seinem Polen ist durchaus familiär. Sie leben in völliger Gemeinschaft.“ Er macht den Vorschlag, „dass der Pole umvermittelt wird“. Er halte den „gebotenen Abstand“ nicht, wozu er „als deutscher Bauer“ verpflichtet sei. Rademacher sei zudem „notorischer Trinker“ und „typischer Hamsterer und Hehler“. In der “Staatspolizeilichen Warnung“ heißt es: „Mir ist eröffnet worden, dass ich staatspolizeiliche Maßnahmen, insbesondere Schutzhaft und Einweisung in ein Konzentrationslager zu gewärtigen habe, falls ich gegenüber polnischen Staatsangehörigen den nötigen Abstand nicht halte und sonst verbotenen Umgang pflege.“ Am 19. August 1944 meldet Polizeimeister Wallmann der Gestapo Vollzug: „Rademacher hat zurzeit keine ausl. Arbeiter. (...) Rozycki ist jetzt bei der Witwe Schulte-Heller in Garbeck.“[19] Theophil Rozycki stirbt am 25. Februar 1945 an einer „Gehirnblutung“, die genauen Todesumstände teilt der Amtsdirektor Balve der britischen Militärverwaltung am 8. Januar 1950 nicht mit.[20]
Martin Rapp, Juni 2021
Die ungekürzte Fassung des Artikels von Martin Rapp finden Sie in der Mediathek als pdf.