Eine Spurensuche – NS-Verbrechen an Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangenen in einem Dorf im Sauerland

Frühstück bei der Ernte bei Bauer Paul Lohmann, links und rechts zwangsverpflichtete polnische Landarbeiter, 1940. Es war den Bauern bei Strafe verboten, mit den Polen gemeinsam zu essen.
Frühstück bei der Ernte bei Bauer Paul Lohmann, links und rechts zwangsverpflichtete polnische Landarbeiter, 1940. Es war den Bauern bei Strafe verboten, mit den Polen gemeinsam zu essen.

„Fremdarbeiter“ auf dem Land: 1940 bis 1945
 

Unmittelbar nach dem Überfall auf Polen im September 1939 deportieren die Deutschen die ersten polnischen Kriegsgefangenen. Zwischen 1939 und 1945 arbeiten insgesamt rund 13 Millionen Zwangsarbeiter:innen aus den besetzten Ländern Europas – zivile Arbeitskräfte, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge – in der deutschen Kriegswirtschaft. Als Angehörige besiegter „Feindstaaten“ haben sie nicht den Status von „Gastarbeiter:innen“, sondern gelten als Kriegsbeute. Die Methoden, denen sich die deutsche Militärverwaltung bei der Rekrutierung von Arbeitskräften in den besetzten Ländern bedient, reichen „vom Einsatzbefehl mit Geiselnahme bis zur Werbung für die freiwillige Arbeitsaufnahme“, so lautet das Resümee des Historikers Ullrich Herbert.[9] In der Sowjetunion verpflichten die deutschen Besatzungsbehörden die von ihnen eingesetzten Verwaltungen und Dorfältesten auf dem Land, bis zu bestimmten Daten eine festgelegte Anzahl von Arbeitskräften für die Transporte ins Reich „zu beschaffen“.

Während so genannte „Westarbeiter:innen“, die überwiegend aus Frankreich deportiert wurden, den gleichen Lohn wie deutsche „Gefolgschaftsmitglieder“ bekommen, sind „Ostarbeiter:innen“ aus Polen oder der damaligen Sowjetunion erheblich schlechter gestellt. Aber sie alle leiden unter schlechter Ernährung und willkürlichen Strafen. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der „Ostarbeiter:innen“ sind durch überlange Arbeitszeiten, schlechte Ernährung, geringe Bezahlung, miserable Unterkünfte abgerissene Kleidung, mangelnde ärztliche Behandlung, Diffamierung und Misshandlungen gekennzeichnet.[10] Der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen ist zunächst umstritten. Während Landwirtschaft und verarbeitendes Gewerbe wegen des großen Arbeitskräftemangels stets auf eine Ausweitung drängen, wollen Teile der NSDAP die Ausländerbeschäftigung aus ideologischen Gründen beschränken. In der Metallindustrie lernen viele Unternehmen Zwangsarbeiter:innen an, manche geben sogar Zusatzverpflegung aus, schließlich sind die Betriebe an einem möglichst effektiven Arbeitskräfteeinsatz und der Steigerung der Produktion interessiert. Für die Unternehmen ist der Einsatz von „Fremdarbeiter:innen“ ein sehr lohnendes Geschäft. Ende 1944 ist jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland mit Zwangsarbeiter:innen besetzt, überwiegend aus Polen und der Sowjetunion. In der Land- und Forstwirtschaft stellen Ausländer:innen 46 Prozent der Beschäftigten.[11]

Auch in Garbeck schuften seit 1939 Zwangsarbeiter:innen. „Das ganze Dorf war voll“, meint Rita Prior: „Bei den Bauern, in den Betrieben, überall waren Fremdarbeiter. In der Gransauer Mühle waren Franzosen, im Kalkwerk sowjetische Kriegsgefangene.“ Auch in Privathaushalten arbeiteten Zwangsarbeiter:innen. Als Unterkunft dient zunächst der Saal einer im Zentrum des Dorfs gelegenen Gaststätte. Die meisten Pol:innen nehmen anfangs an der Sonntagsmesse in der Kirche teil. „Die ersten Zwangsarbeiter kamen schon Anfang des Krieges nach Garbeck, zuerst aus Polen, seit dem Russlandfeldzug auch aus der Ukraine, Russland, Weißrussland, Litauen, Lettland, Estland“, erzählt mir der pensionierte Bauunternehmer Liborius Hemeier (Jahrgang 1931): „Allgemein nannte man sie Russen. Es waren auch Frauen und Mädchen als Zwangsarbeiter hier, auch in den Fabriken, bei Heinrich Honert, Hubert Waltermann und Josef Keggenhoff. Die waren erst alle in der Gransauer Mühle untergebracht und wurden dort auch verpflegt. Nachher hatte Honert seine Zwangsarbeiter bei Levermanns. In den alten Büroräumen wurden Schlafstätten eingerichtet. Hubert Waltermann baute später an der Fabrik eine Baracke.“

 

[9] Ulrich Herbert, Fremdarbeiter, Bonn 1985, S. 157

[10] Ulrich Herbert, Fremdarbeiter, Bonn 1985, S. 286

[11] Ulrich Herbert, Fremdarbeiter, Bonn 1985

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