Dynastische Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern Piasten: 1018 Bolesław I. Chrobry

Bericht über die Hochzeit von Bolesław I. Chrobry und Oda von Meißen, 1018. Chronik des Thietmar von Merseburg (Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon), 1012-1018, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Msc. R 147, Blatt 176 b
Bericht über die Hochzeit von Bolesław I. Chrobry und Oda von Meißen, 1018. Chronik des Thietmar von Merseburg (Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon), 1012-1018, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Msc. R 147,

1018 Bolesław I. Chrobry (967-1025), erster König von Polen, heiratet Oda von Meißen/Oda Miśnieńska (†1018), Tochter von Ekkehard I. (†1002), Markgraf von Meißen

Seit langem sind die Piasten und die Markgrafen von Meißen aufeinander angewiesen. Eine erste, 984 geschlossene und bald wieder aufgelöste Ehe von Bolesław I. Chrobry mit einer Tochter des Meißener Markgrafen Rikdag II. und ein dauerhaftes Bündnis mit dessen Nachfolger Ekkehard I. dienen aus der Perspektive der Piasten dazu, Polen stärker an das Römisch-Deutsche Reich zu binden. Die Ekkehardiner wiederum suchen einen Verbündeten gegen König Heinrich II., den Nachfolger des 1002 verstorbenen Kaisers Otto III., um ihre Stellung als Markgrafen von Meißen zu wahren. Unter diesem Aspekt ist auch die 1002 geschlossene Ehe zwischen Ekkehards Sohn Hermann und Bolesławs zweiter Tochter Reglindis zu sehen.

Bolesław, der im Jahre 1000 von Otto III. im Akt von Gnesen/Zjazd gnieźnieński mit königlichen Würden ausgestattet worden ist,[1] befindet sich unter der Herrschaft von Heinrich II. in einem mehr als fünfzehn Jahre anhaltenden Konflikt um die Marken Lausitz und Meißen und um die Herzogswürde in Böhmen, eine „Periode der Konfrontation“, so der Mittelalterhistoriker Knut Görich (*1959), die üblicherweise als „Polenkriege Heinrichs II.“ zusammengefasst und durch die Friedensschlüsse von Posen 1005, Merseburg 1013 und Bautzen 1018 gegliedert wird.[2] Die etwa gleichzeitige Rangerhöhung der beiden Rivalen – Bolesławs I. vom polnischen Herzog in die Riege der europäischen Könige und Heinrichs vom bayerischen Herzog zum König des Ostfrankenreichs – nährt ein „unüberwindliches Misstrauen“ und eine offenbar „prinzipielle, immer erneut gepflegte Feindschaft“, die zu mehr als einem Dutzend Verwüstungszügen in eineinhalb Jahrzehnten führt.[3] „Einmal in besonderer Weise über die übrigen Herzöge und Fürsten erhöht“, sieht sich Bolesław I. „nicht in der Lage, sich […] wieder in die Rolle eines abhängigen, tributpflichtigen Vasallen zu fügen“.[4] Heinrich hat ihm auf dem Hoftag in Merseburg 1002 nicht nur die Mark Meißen vorenthalten, „auf die Bolesław aufgrund seines Verwandtschaftsbündnisses mit den Ekkehardinern Anspruch“ erhebt. Auch ein auf ihn verübter Mordanschlag bleibt von Heinrich unbeachtet und damit ungesühnt. 1003 zwingt Heinrich ihn, in einem Nachfolgestreit die Herrschaft über Böhmen als königliches Lehen entgegenzunehmen. Dies und mehr empfindet Bolesław „als mit seinem honor, seiner dignitas schwer vereinbar. Zu eng war er in sächsische und bayerische Verwandtschaftsnetze und Freundschaftsbündnisse eingespannt, als dass er dem Ehren- und Verhaltenskodex dieser Gesellschaft hätte entkommen und seine Autorität aufs Spiel setzen können, indem er Heinrichs Forderungen nachgab.“[5]

 

[1] Während des Akts von Gnesen setzt Otto III. Bolesław ein Diadem auf und überreicht ihm einen Nagel vom Kreuz Christi zusammen mit einer Nachbildung der heiligen Lanze. Eine reguläre Königskrönung hat aufgrund fehlender kirchlicher Weihen aber offenbar nicht stattgefunden. Gleichwohl sehen zeitgenössische Chroniken Bolesław I. seitdem im Rang eines Königs von Polen. Zur den Vorgängen rund um den Akt von Gnesen vergleiche auf diesem Portal den Bericht über die Heirat Bolesławs I. im Jahre 984.

[2] Görich 2000 (siehe Literatur), Seite 95

[3] Ebenda, Seite 96

[4] Mühle 2011 (siehe Literatur), Seite 27

[5] Ebenda

Schon 1003 kommt es zu ersten Kämpfen in den südlichen Elbmarken, um Meißen und in den Territorien der heidnischen Lutizen, mit denen sich Heinrich verbündet hat. In Böhmen muss sich Bolesław gegen den mit Heinrich verbündeten Herzog Jaromír, den Adel und die dortige Stadtbevölkerung zur Wehr setzen. Ein Feldzug von Heinrich gemeinsam mit den Böhmen und den Lutizen gegen Polen bleibt ohne Erfolg und wird 1007 durch einen in Posen vereinbarten Frieden beendet. Auf dem Fürstentag in Merseburg im Jahre 1009 werden Hermann I. und Reglindis als Markgraf und Markgräfin von Meißen eingesetzt, nachdem Ekkehard I. 1002 ermordet worden ist und in der Zwischenzeit dessen Bruder Gunzelin die Herrschaft übernommen hat. Bald zieht Bolesław gegen Magdeburg und erobert Bautzen und die Lausitz zurück. Auf dem Merseburger Hoftag zu Pfingsten 1013 schließen Heinrich und Bolesław einen Frieden, in dem sie den seit zehn Jahren andauernden Konflikt vorübergehend beilegen. Die Piasten erhalten die Mark Lausitz und das Milzener Land auf dem Gebiet der heutigen Oberlausitz als Reichslehen. Im selben Jahr 1013 setzt Bolesław die Ehe seines Sohnes Mieszko II. Lambert mit Richeza von Lothringen durch, welche dreizehn Jahre zuvor mit Richezas Onkel, Kaiser Otto III., während des Akts von Gnesen verabredet worden ist. Über diese „unmittelbare Verbindung mit der Kaiserfamilie“ befördert Bolesław die Piasten „in die vorderste Reihe der europäischen Herrscher“.[6]

Nach Auseinandersetzungen um Kiew zieht Heinrich wieder gegen Polen, während Bolesław in die Gebiete zwischen Elbe und Mulde einfällt. Als 1017 Bolesławs dritte Ehefrau Emnilda, Tochter des sorbischen Fürsten Dobromir und Mutter von Reglindis und Mieszko II., stirbt, wendet sich Bolesław wieder Meißen zu und wirbt um Oda, die jüngere Schwester von Hermann I. 1016 ist auch Hermans Ehefrau Reglindis gestorben, sodass ein erneutes Bündnis mit Meißen opportun erscheint. Friedensverhandlungen mit Heinrich, in denen Hermann als Vermittler auftritt, kann Bolesław 1018 für sich entscheiden, indem er im Frieden von Bautzen die Lausitz lehensfrei erhält. Jetzt wird auch seine vierte Eheschließung mit Oda von Meißen möglich, der Hermann als Familienoberhaupt zustimmt.

Beiden, Bolesław und Hermann, dürften, so Görich, die Vorteile dieses erneuten Ehebündnisses deutlich gewesen sein. Der friedliche Ausgleich zwischen beiden Familien hatte schon die Freundschaft zwischen Ekkehard I., Gunzelin und Bolesław sowie die Ehe zwischen Hermann und Reglindis bestimmt. Dagegen hatten die kriegerischen Auseinandersetzungen der folgenden fünfzehn Jahre weite Landstriche der Mark Meißen und damit Hermanns Amtsbezirk vollständig verwüstet. Die Bemerkungen des Chronisten Thietmar von Merseburg (975/76-1018)[7] über „Plünderungen, Brandschatzungen und Verschleppung der Bevölkerung lassen unschwer erkennen, in welchem Ausmaß die Lebensgrundlagen zerstört“ worden sind.[8] Die Hochzeitsfeierlichkeiten, über die Thietmar berichtet (Titelbild), finden im Februar 1018 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und in Anwesenheit von Hermann und Bolesławs Sohn Otto auf der Piasten-Burg Cziczani (vermutlich Zinnitz in der Niederlausitz) statt.[9] Bolesław bringt mit diesem neuen Ehebündnis außerdem zum Ausdruck, dass nach den langen Auseinandersetzungen mit Heinrich II. nun auch seinem honor, also seiner Ehre und seinem Ansehen, „Genüge getan“ ist.[10]

[6] Ebenda, Seite 29. Vergleiche auch Görich 2000 (siehe Literatur), Seite 159

[7] Chronik oder Geschichte der Sachsen des Thietmar von Merseburg (Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon sive Gesta Saxonum), 1012-1018, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Msc. R 147. Die Berichtszeit erstreckt sich von 901 bis 1018. Vergleiche Bayerische Akademie der Wissenschaften, Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters, https://www.geschichtsquellen.de/werk/4529

[8] Görich 2000 (siehe Literatur), Seite 134

[9] Vergleiche Ludat 1971 (siehe Literatur), Seite 19

[10] Mühle 2011 (siehe Literatur), Seite 27

Über das weitere Schicksal von Oda ist nichts bekannt. Aus der Ehe geht jedoch eine Tochter, Mathilde, hervor. Zehn Jahre nach Bolesławs Tod und ein Jahr, nachdem auch sein Sohn und Nachfolger, Mieszko II., gestorben ist, wird Mathilde 1035 mit Otto von Schweinfurt, dem ehemaligen Markgrafen des Nordgaus und späteren Herzog von Schwaben,[11] verlobt. Das Eheversprechen, das zu Pfingsten 1035 auf dem Hoftag zu Bamberg erfolgt, geht vermutlich auf die Initiative von Kasimir I. Karl/Kazimierz I. Karol, dem Sohn von Mieszko II. und Richeza, zurück, der nun seine Tante ins Römisch-Deutsche Reich verheiraten will.[12] Bei diesem Anlass wird auch der Sohn Kaiser Konrads II., Heinrich III. (1016/17-1056), mit Gunhild verlobt, der Tochter König Knuts des Großen von Dänemark (um 995-1035) und damit Enkelin von Świentosława/Sigrid der Stolzen, der Tochter des Gründers der Piastendynastie, Mieszko I. (um 930/45-992). Mit beiden Verlobungen soll erneut „die verwandtschaftliche Bindung der Piasten zum Reich gestärkt werden“.[13] Mathildes Verlobung wird jedoch schon im Folgejahr im Mai 1036 auf der Synode in Trebur gelöst. Vermutlich steht für Konrad II. die Italienpolitik im Vordergrund, weshalb er Otto von Schweinfurt mit einer Tochter des Markgrafen von Turin verheiratet. Die Piasten scheinen zu diesem Zeitpunkt, als sich ihr Herrschaftsverband zunehmend auflöst,[14] nicht mehr für eine Heirat geeignet.

Axel Feuß, Juli 2021

 

Literatur:

Norbert Kersken / Przemysław Wiszewski: Neue Nachbarn in der Mitte Europas: Polen und das Reich im Mittelalter (WBG Deutsch-polnische Geschichte, 1: Mittelalter), Darmstadt 2020

Robert F. Barkowski: Die Piasten und die Anfänge des polnischen Staates, Berlin 2018

Norbert Kersken: Heiratsbeziehungen der Piasten zum römisch-deutschen Reich, in: Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert, herausgegeben von Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken, Wiesbaden 2015, Seite 81 f., 89 f., 97, 102 f.

Norbert Kersken: Gescheiterte politische Eheverbindungen im östlichen Europa, in: „Köztes-Európa“ vonzásában. Ünnepi tanulmányok Font Márta tiszteletére, herausgegeben von Dániel Bagi, Pécs 2012, Seite 245-258

Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter, München 2011, Seite 20-30

Knut Görich: Die deutsch-polnischen Beziehungen im 10. Jahrhundert aus der Sicht sächsischer Quellen, in: Frühmittelalterliche Studien, Band 43, Berlin und andere 2009, Seite 315–325

Owald Balzer: Genealogia Piastów, 2. Auflage, Krakau 2005

Kazimierz Jasiński: Rodowód pierwszych Piastów, 2. Auflage, Poznań 2004, Seite 80-94

Hedwig Röckelein: Heiraten, ein Instrument hochmittelalterlicher Politik, in: Der Hoftag in Quedlinburg 973. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa, herausgegeben von Andreas Ranft, Berlin 2006, Seite 99-136

Stefan Weinfurter: Heinrich II. (1002–1024). Herrscher am Ende der Zeiten, 3. Auflage, Regensburg 2002

Knut Görich: Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry, in: Otto III. – Heinrich II.: eine Wende?, herausgegeben von Bernd Schneidmüller und Stefan Weinfurter, 2. Auflage, Stuttgart 2000, Seite 95-167

Kazimierz Jasiński: Powiązania genealogiczne Piastów (małżenstwa piastowskie), in: Piastowie w dziejach Polski, herausgegeben von Roman Heck, Wrocław 1975, Seite 135-148

Herbert Ludat: An Elbe und Oder. Skizzen zur Politik des Ottonenreiches und der slavischen Mächte in Mitteleuropa, Köln 1971

(alle Links in den Anmerkungen wurden zuletzt im Juli 2021 aufgerufen)

 

[11] Paul Friedrich von Stälin: Otto III., Herzog von Schwaben, in: Allgemeine Deutsche Biographie 24 (1887), Seite 726 f. [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/sfz74192.html#adbcontent

[12] Vergleiche auch Kersken 2015 (siehe Literatur), Seite 90

[13] Kersken 2012 (siehe Literatur), Seite 248

[14] Ebenda

Weitere Einträge zu den dynastischen Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern

Piasten

Um 978 Mieszko I.

984 Bolesław I. Chrobry

1002 Regelinda/Reglindis

1013 Mieszko II. Lambert

1088 Władysław I. Herman

1115 Bolesław III. Schiefmund/Bolesław III Krzywousty

vor 1118 Adelajda/Adelheid

um 1142 Dobroniega Ludgarda/Luitgard, Lukardis

1148 Judith/Judyta Bolesławówna