Die „Herner Polenrevolte“ im Jahr 1899

Militärpatrouille vor der Castroper Zeche Erin anlässlich der „Herner Polenrevolte“ 1899.
Militärpatrouille vor der Castroper Zeche Erin anlässlich der „Herner Polenrevolte“ 1899.

Die Ursachen für den aus dem Ruder gelaufenen Streik waren jedoch komplexer, als dass sie allein auf die Erhöhung des Mitgliedsbeitrages für die Knappschaftskassen und die agitatorische Tätigkeit einer unter den Ruhrpolen kaum Einfluss besitzenden sozialistischen Gruppe zurückgeführt werden könnten. Der Streik warf auch ein neues Schlaglicht auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der polnischen Zuwanderer, deren Zahl seit dem Ende der 1880er Jahre drastisch angestiegen war, und machte deutlich, dass ihnen eine gewerkschaftliche Vertretung fehlte. Mit Ausnahme eines Teils der oberschlesischen, polnischsprachigen Erwerbsmigranten, die als erfahrene oder ausgebildete Bergleute in das rheinisch-westfälische Industrierevier gekommen waren, standen die zumeist jungen Zuwanderer aus den preußischen Ostprovinzen in der Arbeiterhierarchie an unterster Stelle. Die Beziehungen zu den deutschsprachigen Arbeitern waren durch die fehlenden Sprachkenntnisse und mentalen Barrieren erschwert, ihre Interessen waren nicht deckungsgleich. Die bestehenden Gewerkschaften, wie etwa der Alte Verband und der Gewerkverein christlicher Arbeiter, behandelten die polnischen Zuwanderer allenfalls stiefmütterlich. Letzterer veröffentlichte während des Streikes einen Aufruf an seine Mitglieder, in dem davon die Rede war, dass die polnischen Arbeiter kaum zu den eigentlichen Bergleuten gerechnet werden könnten. Weder fand vonseiten der bestehenden Gewerkschaften eine Aufklärung der eingetretenen Veränderungen hinsichtlich der Verdienstabgaben unter der polnischen Arbeiterschaft statt, noch setzten sie sich für die preußischen Polen ein, als 1899 im Oberbergamtsbezirk in Dortmund der sogenannte Sprachparagraph in Kraft trat. Dieser regelte, dass unter anderen die Sicherheitsvorschriften in den Betrieben und Bergwerken künftig nur noch in deutscher Sprache ausgehängt werden sollten – und bedeutete für die meist des Deutschen nicht mächtigen Arbeiter statt Sicherheit, nur neue Gefahren. Zudem wurde in dieser Zeit im Reichstag über das sogenannte „Zuchthausgesetz“ debattiert, mit welchem das Versammlungs- und Streikrecht eingeschränkt werden sollte, was die Arbeiterschaft im preußischen Staat generell auf die Barrikaden trieb.

Die Ereignisse des Jahres 1899, und dabei ganz zentral die „Herner Polenrevolte“, lösten innerhalb der polnischen Arbeiterschaft und des Kreises der polnischen Intellektuellen um den „Wiarus Polski“ Diskussionen darüber aus, inwiefern die polnischen Arbeiter an Rhein und Ruhr von den bestehenden Gewerkschaften überhaupt vertreten wurden und ob nicht der Aufbau einer eigenen gewerkschaftlichen Vertretung notwendig war. Diese Idee wurde vor allem von Jan Brejski – Politiker und Verleger unter anderem des „Wiarus Polski“ – entscheidend forciert und schließlich 1902 mit der Entstehung der Polnischen Berufsvereinigung (Zjednoczenie Zawodowe Polskie, ZZP) in die Realität umgesetzt. Die ZZP stieg innerhalb von nur zehn Jahren zum drittgrößten Gewerkschaftsbund in ganz Deutschland auf. Im Jahr 1912 zählte die in Bochum beheimatete Bergarbeiterzentrale 30.000 der landesweit insgesamt 70.000 Mitglieder.

 

David Skrabania, November 2018

 

Literatur:

Tenfelde, Klaus: Die „Krawalle von Herne“ im Jahre 1899 (Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 15. Jg. 1979, Heft 1), S. 71–104.

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