Der NS-Strafvollzug an polnischen Häftlingen: Das „Polenlager“ in Eich

Liste der verstorbenen Polen
Liste der verstorbenen Polen

Ein Forschungsdesiderat: das „Polenlager“ in Eich
 

Das „Polenlager“ im rheinhessischen Eich bei Worms, das auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz verortet war und das bis 1945 im Volksstaat Hessen lag, gehört zu den bedeutendsten Orten polnischer Geschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges in der Region. Heidi Fogels Forschungsarbeit „Das Lager Rollwald. Strafvollzug und Zwangsarbeit 1938 bis 1945“ aus dem Jahr 2004 enthält wertvolle Informationen zum Lager, das während des Zweiten Weltkrieges für den Strafvollzug an polnischen Häftlingen genutzt wurde. Doch gilt noch heute weitgehend, was Fogel bereits in ihrer Publikation feststellte, nämlich dass die „Geschichte des Lagers in Eich […] bisher nicht erforscht“[1] ist. Zwischenzeitlich wurden zwar von Seiten der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) Rheinland-Pfalz Recherchen zum „Polenlager“ durchgeführt und im Jahr 2015 regten die Landeszentralen für politische Bildung in Hessen und in Rheinland-Pfalz, wie auch das Museum der Verbandsgemeinde Eich, in Verbindung mit einem Vortrag Fogels und einem anschließenden „Werkstattbericht über den Stand bisheriger Recherchen zum sog. ‚Polenlager‘ Eich“[2] von Uwe Bader von der LpB Rheinland-Pfalz zu einer Auseinandersetzung mit der Frage an, „ob und wie diese Lager und ihre Opfer auch in Rheinhessen und Südhessen dem Vergessen entrissen werden sollen“[3]. Doch fehlt es bis heute an einer umfassenden Publikation zum Lager. Weder am Ort des Stammlagers noch an den Orten der Außenlager gibt es zudem sichtbare Zeichen, die ausdrücklich an deren Bestehen erinnern.[4] Das „Polenlager“ Eich bedeutet also eine Forschungslücke. Sie zu schließen, wäre nicht nur ein Gewinn für die Forschung zu NS-Verbrechen in Rheinland-Pfalz und Hessen, sondern würde auch lokale Initiativen zur Sichtbarmachung des Lagers vor Ort und zur Erinnerung daran maßgeblich dienlich sein.[5]

 

Ein Stammlager für den Strafvollzug an polnischen Häftlingen
 

Beim „Polenlager“ in Eich handelte es sich um eines von drei Stammlagern, von denen sich die anderen beiden in Dieburg und in Nieder-Roden, letzteres auch bekannt als Lager Rollwald, befanden. Die drei Stammlager waren Teil des hessischen Gefangenenlagerkomplexes Rodgau,[6] der von der NS-Justiz betrieben wurde – das heißt, das Reichsjustizministerium hatte die Oberaufsicht über sämtliche Gefangenenanstalten sowie den Strafvollzug. Im Weiteren zeichnete sich für das Lager die Generalstaatsanwaltschaft Darmstadt verantwortlich und in den Stammlagern selbst war der jeweilige Lagerleiter ranghöchster Beamter.[7] Zunächst hatte es sich bei dem Lager in Eich um ein Außenlager des Lagers Rollwald gehandelt, es wurde aber zum 1. Juni 1942 zum Stammlager III erweitert, und diente von da an dem „Polenstrafvollzug“:

„Ihm wurden zunächst fünf Außenlager zugeordnet: Abenheim [heute Stadtteil von Worms], Groß-Rohrheim [bei Biblis in Hessen] und Viernheim [nordöstlich von Mannheim, aber in Hessen] sowie die beiden neuen Lager in Monsheim [westlich von Worms] und Biblis. […] Die bis dahin in Eich, Abenheim, Groß-Rohrheim und Viernheim inhaftierten deutschen und österreichischen Gefangenen wurden abgezogen und durch 409 polnischen Häftlinge ersetzt.“[8]

 

[1] Fogel, Heidi: Das Lager Rollwald. Strafvollzug und Zwangsarbeit 1938 bis 1945. Rodgau/Nieder-Roden 2004, S. 298.

[2] Aus der Einladung von der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung und der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz zu dem Vortragsabend „Die Justizgefangenenlager Rodgau. Strafvollzug und Zwangsarbeit 1938 bis 1945“ am 16. April 2015 im Museum der Verbandsgemeinde Eich in Gimbsheim.

[3] Ebd.

[4] Anmerkung: Auch konnten bisher keine Fotos ausfindig gemacht werden, die das Lager in Eich in der Zeit von 1942 bis 1945 zeigen.Ebd.

[5] Für die Erforschung des Lagers Eich sind insbesondere die Bestände im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt „G 24 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Darmstadt“, „G 30 Gefangenenlager Rodgau“(, „G 28 Gießen“) unerlässlich.

[6] Fogel 2004, S. 15.

[7] Fogel 2004, S. 52f.

[8] Fogel 2004, S. 298.

Ermöglicht wurde die Einrichtung eines eigenen Stammlagers in Eich für polnische Häftlinge im Frühjahr 1942 durch die Polenvollzugsordnung vom Januar 1942, mit der das Justizministerium die Einrichtung von Stammlagern und Außenstellen für den Strafvollzug an polnischen Häftlingen festlegte.[9] Damit wurde ein Vorhaben aus dem Reichjustizministerium von 1941 präzisiert, in dem die Einrichtung von Straflagern für Menschen jüdischen Glaubens und Pol:innen vorgesehen war: „Die Polenstrafrechtsverordnung ersetzte Gefängnis und Zuchthaus durch ein einfaches und verschärftes Straflager.“[10]

Ganz im Sinne der NS-Rassenideologie, die die Polinnen und Polen etwa gegenüber Westeuropäerinnen und Westeuropäern in ihrem Menschsein herabstufte, erfuhren die Strafgefangenen polnischer Herkunft besondere Formen der Diskriminierung:

„Der Vollzug in den sog. „Polenlagern“ sollte noch härter sein als in anderen Lagern der Justizgefangenen. Unbedingte Disziplin und harte Arbeit ohne Arbeitslohn kennzeichneten den Alltag. Die Arbeitszeit dauerte regelmäßig eine Stunde länger als in Zuchthäusern. Die physische Leistungsfähigkeit der polnischen Gefangenen sollte tagtäglich bis zur Erschöpfung ausgenutzt werden.“[11]

Zwar handelte es sich bei den Strafgefangenenlagern nicht um Konzentrationslager, mit all ihren perfiden Formen der Demütigung, exzessiver Gewalt oder einem aktiv betriebenen Plan zur Vernichtung durch Arbeit, allerdings gilt für die von der Justiz betriebenen Gefangenenlager Rodgau, dass die Arbeitskraft der Inhaftierten umfassend ausgebeutet wurde, bei gleichzeitiger mangelnder Lebensmittelversorgung und unzureichenden hygienischen Bedingungen. Todesfälle als Folge der Lebens-und Arbeitsbedingungen wurden auf diese Weise in Kauf genommen[12] und erinnern damit auch an die Zustände in Konzentrationslagern. Zwischen den Lagern selbst bestanden allerdings auch wiederum Unterschiede, so erfolgte die Unterbringung im Stammlager Dieburg in massiv gebauten Gebäuden, in den Stammlagern Eich und Nieder-Roden mussten die Häftlinge in Baracken unterkommen, es ist daher davon auszugehen, dass dies auch einen Einfluss auf die Sterberate hatte: „Nach Erkenntnissen der Gemeinde Eich liegen auf dem Lagerfriedhof des Stammlagers Eich mindestens 61 Zwangsarbeiter.“[13] Damit weist das „Polenlager“ in Eich zusammen mit seinen Außenlagern, nicht in absoluten Zahlen, aber im Verhältnis zur Anzahl der Inhaftierten, die höchste Sterberate auf.[14]

Zu den Besonderheiten des Stammlagers III gehörte, dass in seinen Außenlagern auch Polinnen inhaftiert waren; sie waren damit die einzigen Frauen unter den Strafgefangenen innerhalb des Lagerkomplexes Rodgau, und so mussten 100 polnische Zwangsarbeiterinnen im Außenlager Groß-Rohrheim ab dem Frühjahr 1942 für die Agerzellulose GmbH arbeiten. Das Außenlager wechselte allerdings im Frühjahr 1943 die Zuständigkeit und wurde dann vom Lager Dieburg verwaltet.[15]

 

[9] Becker, Maximilian: Mitstreiter im Volkstumskampf. Die deutsche Justiz in den eingegliederten Ostgebieten 1939-1945. Oldenbourg 2014,  S. 221.

[10] Ebd., S. 220.

[11] Fogel 2004, S. 298.

[12] Ebd., S. 348.

[13] Ebd., S. 221.

[14] Ebd.

[15] Ebd., S. 298f.

Die polnischen Häftlinge im Eicher Stammlager III
 

Über das Schicksal der polnischen Häftlinge im Eicher Stammlager III, dem „Polenlager“, ist bisher öffentlich kaum etwas bekannt, Informationen lassen sich zunächst über die Einsichtnahme in die Sterbeurkunden der in Eich inhaftierten Häftlinge gewinnen.[16] Auch findet sich eine Liste von 23 in Eich während der NS-Zeit verstorbenen Polen in den Beständen der Arolsen Archives,[17] deren Namen auch zuvor in den Sterbeurkunden verzeichnet worden waren. Bei einem, der in Eich verstorbenen polnischen Häftlingen, handelt es sich um Stanislaus Kropidlowski, geboren am 19. April 1908 Bród (dt. Brod) im Kreis Koło (von 1941–1945 dt. Warthbrücken) in der Wojewodschaft Großpolen. Zu seinen Todesumständen heißt es: „Der Arbeiter Stanislaus Kropidlowski, katholisch, wohnhaft in Buschen Polen, ist am 23. Mai 1942 um 14 Uhr 10 Minuten in Eich im Lager Goethestrasse verstorben. […] der Verstorbene war verheiratet mit Margarete Gruchot.“[18] Als Todesursache wurde Lungentuberkulose angegeben und man beerdigte ihn anschließend auf dem Gemeindefriedhof von Eich im Grab Nr. 6, Reihe 1.[19] Mehr über Kropidlowskis Schicksal lässt sich aus diesen Quellen nicht in Erfahrung bringen, sein Leidensweg bleibt im Dunkeln, es gibt dabei auch kein Foto seiner Person und es ist nicht bekannt, ob Kropidlowskis Angehörigen von seinem Tod in Kenntnis gesetzt wurden. Auch ist der Anlass seiner Inhaftierung bisher unbekannt.

Ein Beispiel für einen polnischen Häftling, bei dem wiederum dieser Anlass bereits aufgeklärt wurde, gibt Wladislaw Sch.[20], geboren 1923 in Boruschin (pl. Boruszyn), Kreis Obornik, in der Wojewodschaft Posen der Zweiten Polnischen Republik (heute Oborniki Wielkopolskie). Während des Krieges musste Sch. Zwangsarbeit im hessischen Löhrbach leisten:

„Am 4. Mai 1943 verurteilte den 19-Jährigen ein Gericht in Mannheim wegen „Unzucht § 175“ zu sechs Monaten Straflager. Zur Strafverbüßung transportierte man ihn in das Gefängnis Lörrach und von dort am 20. März 1944 in das Lager Eich in Rheinhessen, Polenlager, das zur Gruppe der Lager Rodgau gehörte. Dort beschrieb man ihn beim Zugang wie folgt: 1,78 m groß, blaugraue Augen und dunkelblondes Haar. Seine Haftentlassung war für den 19. September 1944 vorgesehen; ob sie tatsächlich geschah, ist nicht vermerkt.“[21]

Abschließend sei noch ein weiterer Häftling des „Polenlagers“ zu nennen: Mordka Fischauf, von Beruf „Fleischer“, geboren am 16. Oktober 1892, verstorben am 1. April 1942 in Eich angeblich an „Darmkatarrh“. Bemerkenswert ist hierbei umso mehr die Frage, warum Fischauf, als jüdischer Pole geführt, nach Eich verbracht worden war. Als früherer Wohnort ist bei Fischauf Chocin (dt. eigentl. Chocen, pl. Choceń) im Kreis Leslau (pl. Włocławek, damals im besetzten Polen im Reichsgau Wartheland) angegeben, als Geburtsort allerdings wird „Posedgön [?] im General-Gouvernement“ genannt, was eine genaue Verortung erschwert.[22]

Diese drei Beispiele machten abschließend deutlich, wie wenig bisher über die Geschichte der Insassen des „Polenlagers“ Eich bekannt ist, und wie wertvoll ihre Erforschung in Zusammenhang mit der Erforschung der Geschichte des Lagers wäre, um die Opfer dem Vergessen zu entreißen.

 

Christof Schimsheimer, November 2021

 

[16] Im Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen sind diese in Kopie einsehbar.

[17] „Informationen über Ausländer, die während des Kriegs im Kreis Worms verstorben sind“, Signatur: DE ITS 2.1.3.1 RP 048 3. https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02010301/0021/134854373/001.jpg (zuletzt aufgerufen am 15.10.2021).

[18] „Personenstandsurkunden Westzone allgemein“, Signatur: 02020202 oS: https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02020202/0109/140604662/001.jpg (zuletzt aufgerufen am 15.10.2021).

[19] „Kartei der verstorbenen Verfolgten (überwiegend französische Zone, auch Franzosen in anderen Zonen)“, Signatur: DE ITS 2.3.3.3: https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02030303/0037/54841200/001.jpg (zuletzt aufgerufen am 15.10.2021).

[20] Nachname wird unter Berufung auf personenschutzrechtliche Gründe von Verfasser des Eintrags, Rainer Hoffschildt, nicht genannt.

[21] Hoffschildt, Rainer: Wladislaw Sch. https://www.der-liebe-wegen.org/?profil=wladislaw-sch (zuletzt aufgerufen am 20.11.2021).

[22] Sterbeurkunde (in Kopie) im Archiv der Gedenkstätte KZ Osthofen, Nr. 10 c Blatt 58, in: Dokumentation zur Geschichte des ehemaligen Reicharbeitsdienstlagers als Gefangenenlager 1939-1945.