Der Mauersammler Ludwik Wasecki
Ludwik Wasecki sieht die Berliner Mauer 1965 zum ersten Mal. Er ist auf der Durchreise in Ost-Berlin und trifft sich dort mit einer Bekannten aus dem Westen der geteilten Stadt. Er ist ein wenig neidisch auf die Menschen, die auf der anderen Seite der Mauer leben, denn er stellt sich das Leben dort viel einfacher als im grauen kommunistischen Polen vor, das mit Wirtschaftskrisen kämpft. Einige Jahre später, 1973, gelingt es Wasecki nach Schweden auszureisen, wo er seine eigene Familie gründet. Seine Eltern sind in Polen geblieben. Da die kommunistische Regierung der Volksrepublik Polen ihm die Einreise und den Eltern Reisen nach Schweden verweigert, kann er seine Nächsten in Polen nicht besuchen. Die einzige Option besteht darin, sich in Ost-Berlin zu sehen, wohin die Eltern fahren dürfen. Wasecki kommt also nach West-Berlin und wechselt für ein paar Stunden auf die andere Seite der Mauer.
1979 entscheidet sich Ludwik Wasecki, nach West-Berlin umzuziehen. Die Mauer, erinnert er sich, stellte für viele Einwohner dort kein großes Problem dar, solange sie die Stadt nicht verlassen wollten. Die ihr feindlich gesonnene Deutsche Demokratische Republik (DDR) riegelte die ganze Metropole mit dem über 150 Kilometer langen Bauwerk hermetisch ab. Die Ressentiments gegenüber Angehörigen des anderen Systems wirkten sich vor allem in den akribischen, langwierigen Grenzkontrollen aus. Beim Verlassen West-Berlins, einer Stadt, die damals der Inbegriff der Freihat war, stieß Wasecki daher ständig auf eine weitere Mauer mentale Natur.
Schon am frühen Morgen des 10. Novembers 1989 steht Ludwik Wasecki vor dem Brandenburger Tor. In der Hand hält er einen Bohrer, den er eilig aus seiner zahnärztlichen Praxis mitgenommen hat, nachdem er im Radio von der Öffnung der Grenzübergänge zu Ost-Berlin hörte. Nur ein paar Stunden zuvor haben die Berliner auf beiden Seiten der Mauer damit begonnen, das Bollwerk zu stürmen und zu demontieren. Wasecki schließt sich ihnen an und nimmt ein kleines Mauerstück als Andenken an die Ereignisse mit, die kurz darauf das Schicksal dieses Teils der Welt verändern und zur Wiedervereinigung Deutschlands beitragen werden. Bei dieser Gelegenheit kommt Wasecki die Idee, seine eigene Geschichte durch Kunst zu erzählen. In kurzer Zeit entstehen zwei Installationen, die noch keine Elemente der Originalmauer verwenden, sondern Imitationen aus Styroporbeton. Eine dieser Arbeiten trägt den Titel „Złota przyszłość“ (Goldene Zukunft). Sie zeigt einen Trabant, der die Mauer durchbricht. Die vordere Hälfte des Autos ist in Gold lackiert. Die Farbe symbolisiert die strahlende Zukunft und das Luxusleben, das die Einwohner der DDR im Westen verbanden. Der hintere Teil des Fahrzeugs ist laut Aussagen des Autors grau wie die damalige Wirklichkeit in Osteuropa. Eine ähnliche Deutung trifft auf die zweite Installation unter dem Titel „Wilczy apetyt“ (Wolfshunger) zu. Dabei handelt es sich um eine überdimensionale Gabel, die in westliche Richtung durch die Mauer sticht. Auch dieses Kunstwerk symbolisiert unmissverständlich die Sehnsucht der Ostdeutschen nach einem besseren Leben.
Viel hätte nicht gefehlt und das Kunstabenteuer mit den Fragmenten der Berliner Mauer wäre damit bereits beendet gewesen. Doch es kam anders: Wasecki fotografierte die beiden Installationen für sich und legte die Fotos im Wartezimmer seiner Praxis aus. Dort sah sie einer seiner Patienten, der auf den Gedanken kam, dass sich der Gründer und Direktor des Mauermuseums am berühmten Grenzübergang „Checkpoint Charlie“, Dr. Rainer Hildebrandt, diese kreativen Arbeiten unbedingt anschauen sollte. Ein Jahr später kamen Wasecki und Hildebrandt zusammen und der von der Idee begeisterte Museumsdirektor legte dem polnischen Zahnarzt nahe, die Werke erneut zu schaffen, und zwar diesmal aus Originalfragmenten der Mauer.