Club der Polnischen Versager

Club der Polnischen Versager, Ackerstrasse 169, Berlin-Mitte
Club der Polnischen Versager, Ackerstrasse 169, Berlin-Mitte

Bei der Eröffnung des Clubs konnten die Mitglieder bereits auf eine mehrjährige Geschichte des Bundes der Polnischen Versager zurückblicken. 1994 erschien die „0“-Ausgabe der Zeitschrift „Kolano“, dem Organ des Bundes und das „Kleine Manifest der Polnischen Versager“ - die Geburtsurkunde der Bewegung. Der anfängliche Kern bestand aus Piotr Mordel und Leszek Oświęcimski. Später kamen noch u.a. Wojciech Stamm, Joanna Bednarska, Tomasz Sosiński und Adam Gusowski dazu. Sie hatten viel gemeinsam. Sie alle kamen Ende der 80er Jahre aus Polen und wollten auch in der Fremde aktiv und kreativ sein. Die Zeitschrift „Kolano“ (das Knie), das Theater Ensemble „Babcia Zosia“ (Oma Sophia), die Satiresendung „Gaulojzes Golana“ sind nur ein paar Beispiele für ihre Aktivität und Kreativität, die auch regelmäßig während der so genannten „Festivals der Polnischen Versager“ an vielen Orten in Berlin und Deutschland der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Das größte Festival der Polnischen Versager fand in Berlin-Steglitz in der Schwartz´schen Villa auf Einladung von Doris Fürstenberg statt, das insgesamt drei Tage dauerte.

2000 entschlossen sich die losen Mitglieder der Gruppe, den Bund der Polnischen Versager als einen Verein in das Deutsche Vereinsregister eintragen zu lassen. Bereits ein Jahr später konnten in der Torstrasse die Räume des Clubs der Polnischen Versager bezogen werden, die nun der offizielle Sitz des Vereins waren. Mehr noch! Der Club wurde zu einem Aushängeschild und einer Anlaufstelle für viele, die sich mit der Idee des Versagens auseinander setzen wollten. Sehr schnell wurde der Club der Polnischen Versager zu einer Plattform für eine neue, unbelastete deutsch-polnische Kommunikation, die in Kunstaktionen und Kulturveranstaltungen ihren nötigen Rahmen fand. Sehr schnell wuchs auch die Zahl der Mitglieder. Von der Existenz des Clubs erfuhren viele aus dem Fernsehen. In der Talk-Show von Alfred Biolek „Boulevard Bio“ saßen die polnischen Versager neben einer der erfolgreichsten Sängerinnen der damaligen Zeit – Britney Spears. Allein in den ersten Jahren des Clubs waren es Hunderte Berliner, die einen „vorläufigen Mitgliedsausweis des Bundes der Polnischen Versager“ mit sich trugen. Sehr schnell wurde der Club der Polnischen Versager auch von der hiesigen und internationalen Presse wahrgenommen. In den ersten sechs Monaten nach der Eröffnung erschienen deutschlandweit über sechzig Artikel über den Club und seine Mitglieder. Radio- und Fernsehbeiträge folgten. Anfang der 2000er Jahre war das polnische Leben in Berlin eben nicht sehr präsent und mit dieser Form von Präsenz rechnete keiner. 2007 musste der Club aus Gründen der Gentrifizierung umziehen und fand ein neues Domizil in dem alternativen Wohn- und Kulturprojekt „Schokoladen“ in der Ackerstraße 169, Berlin-Mitte. Hier wurde die Arbeit des Clubs nahtlos fortgesetzt.

Seit der Eröffnung des „Clubs der Polnischen Versager“ fanden in den Räumen über Zweitausend Kulturveranstaltungen aus den Bereichen bildende Kunst, Theater, Performance, Literatur, Film und Kleinkunst statt. Doch nicht nur mit Kunst und Kultur, auch mit Vorträgen, Diskussionen und Talkshows beanspruchten die Macher des Clubs das Sprachrohr ihrer Generation auf deutschem Boden zu sein. Sie hörten zu und kommentierten, sie steckten ein und holten aus. Als Polen im Zuge der EU-Osterweiterung ein Teil der Europäischen Gemeinschaft werden sollte, kommentierten die Betreiber des Clubs den Zustand auf ihre Art und Weise. So entstand der Film „Die Ostseeerweiterung“ (Regie Paweł Podlejski), in dem die polnischen Versager Polen überfluten wollen. Ein Unterwasserland mit neuen Perspektiven sollte es sein. Der Plan misslingt.

Seit 1998 gibt es im Radio (Radio multikulti / RBB und aktuell im Funkhaus Europa / wdr/rbb) die Satiresendung „Gaulojzes Golana“, in der die polnischen Versager satirisch das deutsch-polnische Leben bearbeiten. Die „Große Gala“ im Haus des Rundfunks in Berlin anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der Sendung zog über 1200 Gäste an. Der Club war jahrelang ein Bestandteil der Fernsehsendung „Kowalski trifft Schmidt“ (RBB) und dort ebenfalls für den satirischen Teil verantwortlich. Auch auf der Bühne sind die Betreiber des Clubs aktiv. „Leutnant-Show“ und „Die Schizonationale“ sind zwei Bühnenformate. So waren die Polnischen Versager auch nie an einen Ort gebunden. Unzählige Auftritte in Deutschland und Österreich gehen auf das Konto der „Leutnant-Show“, die es sogar nach Tokio schaffte. Die Offenheit des Clubs war von Anfang an ein Grundsatz der Clubpolitik. Der Club ist nicht nur ein Domizil für die polnische und deutsche Kultur, sondern auch für die Berliner multinationale Kultur. Intensive Zusammenarbeit mit dem „Club Real“ (Exil-Österreicher) mit „Eesty Film“ (estnische Community in Berlin), oder „Ankoi“ (japanische Gemeinde) sind ein Beweis dafür.

Natürlich ist der Club der Polnischen Versager im Netz präsent. Derzeit gibt es auf Youtube über hundert Folgen des „Gesprächs mit einem interessanten Menschen“, über dreißig Folgen von „Umgefragt in Beranu“ und mehrere Folgen der Seifenoper „Frau Selke und der Hass“. Alle diese Formate bearbeiten auf eine leichte, satirische Art und Weise die deutsch-polnische und europäische Geschichte und den alltäglichen Wahnsinn in Deutschland.

2012 erschien im Rowohlt-Verlag das Buch „Club der Polnischen Versager“, in dem die Autoren Piotr Mordel und Adam Gusowski das Leben in Deutschland aus der Sicht der polnischen Versager beschreiben.

Trotz des lockeren Namens hat der Club der Polnischen Versager ein ernstes Anliegen. Es widmet sich dem Scheitern, dem Misserfolg, dem Versagen eben. Die Mitglieder sind davon überzeugt, dass das Versagen fest zum Leben gehört. Da wo es Erfolg gibt, muss es auch ein Scheitern geben, besonders in einer Gesellschaft, die sich über Erfolg definiert. Das Versagen ist aber nichts Schlimmes. Es gehört zu jedem Lernprozess, zu jedem Erfolgsergebnis. Das Scheiten ist lebensnotwendig und es gibt keinen Grund für die polnischen Versager das Versagen zu leugnen, zu verdrängen oder zu verschweigen. Im Gegenteil! Sich zum Versagen zu bekennen, kann unter Umständen auch therapeutische Wirkung haben.

Der Club der Polnischen Versager ist kein kommerzieller Club. Alle Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig. Der Club der Polnischen Versager finanziert sich selbst über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Und wie es so oft auf den Plakaten und Flayern stand: „Gefördert von niemand!“

 

Das kleine Manifest der polnischen Versager
 

Unseresgleichen gibt es nicht viele in der Stadt. Ein paar nur, vielleicht einige zehn. Der Rest, das sind Menschen des Erfolgs, kühle und kaltblütige Spezialisten – was immer sie auch tun, das tun sie bestens.

Wir – die Schwachen, weniger Begabten, können kaum etwas erwirken; die Milch versuchen wir in der Apotheke zu kaufen und beim Friseur ein halbes Kilo Käse. Autos hupen uns an, wir stolpern auf dem geraden Wege, immer wieder treten wir in die Hundescheiße, bloß es will und will uns kein Glück bringen.

Wir lassen den Terror der Vollkommenheit jener Anderen übįer uns ergehen. Ihre Gegenwart schüchtert uns ein. Denen ist es nur recht so, denn sie leben in der Angst, das Schaffensmonopol, das sie für sich reklamieren, zu verlieren.

Wir sind geneigt ihren Vorrang anzuerkennen, dennoch wollen wir Schöpfer bleiben und zwar nach unseren Möglichkeiten, auf einem niedrigeren Niveau.

„Demiurg verehrte die ausgesuchte, vollkommene und komplizierte Materie, wir bevorzugen den Schund“.

 

Adam Gusowski, Juni 2014

 

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  • Innenansicht

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  • Buchumschlag

  • „Kolano“

    Organ des „Clubs der Polnischen Versager“, Ausschnitt der ersten Seite
  • Club der Polnischen Versager - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.