Andrej Woron und sein Teatr Kreatur
Andrej Woron, eigentlich Andrzej Woroniec, geboren 1952 in Stare Juchy in Ostpolen, kam als 30-Jähriger nach West-Berlin. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein faszinierender Maler und Absolvent der Warschauer Hochschule der Künste (1978), an der er auch gleich nach dem Studium als Dozent arbeitete. Eine Auftragsarbeit als Bühnenbildner lockte ihn 1982 in den Westen. Der Freiheit der eingemauerten Stadt konnte er sich nicht mehr entziehen und blieb. Mit Malkursen und kleineren künstlerischen Auftragsarbeiten hielt er sich die erste Zeit über Wasser. Andrej Woron, der mit großem Talent und mit schier grenzenloser Energie ausgestattet war, erarbeitete sich schon bald Gruppen- und Einzelausstellungen in Berliner Galerien. 1987 bekam er schließlich einen Lehrauftrag für Malerei an der Hochschule der Künste in West-Berlin.
Woron war endlich in der Stadt seiner Wahl angekommen, doch seine künstlerische Reise war noch lange nicht zu Ende. Eine glückliche Fügung brachte ihn mit Allard Stupperich zusammen. Allard Stupperich entstammte einer wohlhabenden Familie und vertrat die Meinung, dass man von der Kunst nicht nur nehmen darf, sondern ihr auch etwas geben muss. Allard Stupperich wurde zum Mäzen von Andrej Woron und seines im Jahre 1987 gegründeten “Teatr Kreatur” (Kreaturentheater). Es entstand für beide eine optimale Zusammenarbeit. Während Allard Stupperich die Kunst finanzierte, ohne sich in die Arbeit des Künstlers einzumischen, konnte Andrej Woron unabhängig arbeiten und sein wahres Potential zeigen. Die Synergie hauchte auch neues Leben in das in einer Kreuzberger Fabriketage residierenden „Theater am Ufer“ ein, dem offiziellen Domizil des “Teatr Kreatur”.
In diesem Kreuzberger Hinterhof gelangen Andrej Woron und seinem internationalen Star-Ensemble (die meisten Mitglieder stammten aus Polen und Deutschland) Meisterwerke des Off-Theaters. Das Publikum und die Presse waren sich einig:
"Andrej Woron ist der wahrscheinlich aufregendste Theatermacher Großberlins und sein Teatr Kreatur eine ständig ausverkaufte Wallfahrtsstätte für Maniaks, die dem leerlaufenden Subventionstheater angeödet den Rücken gekehrt haben. Ein Theaterwunder."
(DER SPIEGEL 28/1991)
“Er will nicht für einen westlich geprägten Kulturgeschmack intellektualisieren, abflachen, übersetzen. Er läßt auf polnisch fluchen und auf polnisch assoziieren. Läßt sich die Musik vom polnischen Komponisten Janusz Stokłosa schreiben, das Plakat vom Litauer Stasys malen, und das einfühlsame Drehbuch übernimmt er vom polnischen Schriftsteller Tadeusz Słobodzianek. Teatr Kreatur ist eine Insel mit slawischem Geist im gesamtdeutschen Berlin.” (Die Zeit 48/1995)
Hinter diesen Erfolgen steckte harte Arbeit. Andrej Woron schuftete in den heißen Produktionsphasen bis zu 16 Stunden täglich. Auch seinen Schauspielern verlangte er einiges ab. Sie mussten wohl sehr an ihn glauben, denn gerade in den Anfängen konnten sie kaum von den Off-Produktionen leben. Doch der Erfolg gab Woron recht und intensivierte seinen Tatendrang. Auf diese entstanden unter seiner Regie in dem kleinen Theater für 99 Gäste (vor dem Umbau):
1990 “Die Zimtläden” nach Bruno Schulz
1991 “Das Ende des Armenhauses” nach Isaak Babel
1993 “Ein Stück vom Paradies” nach Itzik Manger (Das Buch vom Paradies)
1993 “K” nach Franz Kafka
1994 “Zug des Lazarus”
1995 “Der Prophet Ilja” von Tadeusz Słobodzianek
(Umbaupause)
1997 “Merlin” nach Tadeusz Słobodzianek
1998 “Menschen Löwen Adler & Rebhühner” von Wieniamin Smiechow frei nach Anton Tschechow (Die Möwe)
1999 “Frankenstein - Genus Avium” nach Wolfgang Deichsel
2000 “Wir gehen” nach Jerzy Andrzejewski (Die Pforten des Paradieses)
2001 “Hahnenkämme” nach Christoph Klimke
2003 “Sanatorium zur Todesanzeige” nach Bruno Schulz
In der letzten Szene des Stückes “Sanatorium zur Todesanzeige” stiegen die Schauspieler auf das Dach eines Flugzeuges und hoben ab. Andrej Woron ahnte wohl schon damals, dass das Flugzeug nie landen würde. “Sanatorium zur Todesanzeige” war die letzte Produktion des Teatr Kreatur. Nachdem das Erbe von Allard Stupperich aufgebraucht war und der Senat die Förderung nicht übernehmen wollte oder konnte, musste das Teatr Kreatur schließen.
Nun ging Andrej Woron, der jahrelang sehr lukrative Angebote stets im Sinne der Unabhängigkeit und gegen das institutionelle Theater ablehnte, doch noch in die weite Welt. Am Stadttheater Bremen inszenierte er “Die Dreigroschenoper“ (Brecht/Weill), “Mahagonny“ (Brecht/Weill), “Baal“ (Brecht), “Kasimir und Karoline“ (Horvath), “Das schlaue Füchslein“ (Janaceck), “Macbeth” (Shakespeare), “Otello” (Verdi). Am Stadttheater Bielefeld brachte Andrej Woron “Urfaust“ (Goethe), “Die Perser“ (Frederic Rzewski), “Amerika“ (Franz Kafka /Roman Haubenstock-Ramatis) und “Ahasver“ (Volker David Kirchner) heraus. Er inszenierte am Berliner Ensemble “Purgatorium” (George Tabori) und an der Volksbühne Berlin “Die Toten Seelen“ (Gogol), am Nationaltheater Mannheim “Die Zauberflöte“ (Mozart) und am Staatstheater Darmstadt “Dr. Faustus“ (Marlowe), in Bremerhaven “Herzog Blaubarts Burg“ (Bela Bartók), “Love and other demons” (Péter Eötvös), “Der Freischütz” (Carl Maria von Weber), aber auch “Woyzek” (Georg Büchner) in Konstanz und in Osnabrück “Johannes-Passion” (Johann Sebastian Bach).
Adam Gusowski, Juni 2015
Zusatzinformation:
Das ehemalige “Theater am Ufer” mit “Teatr Kreatur” gehört heute zum Theater “Hebbel am Ufer”. Die Bühne des “Teatr Kreatur” am Tempelhofer Ufer 10 heißt seit der Zusammenführung der Theaterhäuser HAU3. “Hebbel am Ufer” besteht seit der Spielzeit 2003/2004 aus HAU1: “Hebbeltheater”, HAU2: “Theater am Halleschen Ufer” und eben HAU3: “Theater am Ufer”.