Studnicki-Gizbert, Władysław
Im Jahr 1935 erschien Studnickis Buch Sprawa polsko-żydowska (Die polnische-jüdische Angelegenheit), in dem er – wie die Historikerin Joanna Michlic aufgezeigt hat – die Juden als „Parasiten auf dem gesunden polnischen Baum“ bezeichnete, die Schaffung eines polnischen Protektorats in Palästina und die schrittweise Ausweisung der polnischen Juden (pro Jahr 100.000) forderte.
Im September 1936 nahm Studnicki (auf Einladung von Rudolf Heß) am „Reichsparteitag“ der NSDAP in Nürnberg teil, traf mit Adolf Hitler zusammen und führte ein langes Gespräch mit Außenminister von Ribbentrop.
Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht im März 1939 kritisierte Studnicki das deutsche Vorgehen, forderte jedoch zugleich, dass die polnische Regierung, anstatt Hitlers Forderungen abzulehnen und auf England und Frankreich zu setzen, sich an der Seite des Deutschen Reiches gegen Sowjetrussland stellen solle, andernfalls drohe die Gefahr, dass Polen in den Machtbereich Moskaus gelangen werde.
Im Blick auf diese „Vorhersage“ wird Studnicki seit einigen Jahren in Polen von rechtslastigen Politiker:innen und Publizist:innen in die „Rolle eines vermeintlichen Retters des Vaterlandes“ geschoben, so der Historiker Marek Kornat. „Sie versuchen, einen historischen Revisionismus zu kreieren und ihn zum Instrument für eine Neubewertung der polnischen Gesellschaft in der Vergangenheit zu machen. Das aber ist ein Weg ins Nirgendwo.“
Studnicki habe nicht wahrhaben wollen, dass Hitler nicht für das „Europa“ in den Krieg ziehen wollte, das Studnicki vorschwebte, sondern um „Lebensraum“ im Osten zu erobern. In diesem „Europa“ Hitlers aber sollte es für Polen keinen Platz mehr geben, so Marek Kornat. „Studnicki verstand das Wesen des deutschen Totalitarismus nicht. Hitlers Deutschland schien ihm dasselbe zu sein wie das Wilhelminische Reich.“
Die Rolle, die Studnicki schließlich während des 2. Weltkrieges zu spielen versuchte, hatte denn auch tragische Züge. In vollkommener Verkennung der weltanschaulichen und politischen Ziele des NS-Regimes versuchte Studnicki, Hitler zu einer Veränderung seiner Politik im besetzten Polen zu bewegen. Weder die Inhaftierung in Deutschland noch die Internierungen im berüchtigten „Pawiak“-Gefängnis in Warschau konnten Studnicki von seinem Vorhaben abbringen, zu dem auch das aberwitzige Angebot an Hitler gehörte, polnische Kampfeinheiten aufzustellen, die an der Seite des Deutschen Reiches gegen Sowjetrussland kämpfen würden. Dass Studnicki schließlich den Warschauer Aufstand als grundlegenden Fehler bezeichnete, kann nicht verwundern.
Fazit: Im kommunistischen Polen galt Studnicki als „Kollaborateur“; seine Bücher waren verboten. Das hat das Interesse an ihm (wie an anderen Akteur:innen der Zwischenkriegszeit) in den vergangenen Jahrzehnten zweifellos befördert, vor allem in rechtsnationalen Kreisen in Polen. Studnicki zu einem vergessenen Wegbereiter der deutsch-polnischen Annäherung zu stilisieren, würde seiner tatsächlichen Bedeutung und der fragwürdigen Rolle, die er in Polen vor und nach 1939 gespielt hat, nicht gerecht werden.
Bernd Krebs, Mai 2024
Literatur
Grzegorz Kucharczyk (Hrsg.): Pierwsza niemiecka okupacja. Królestwo i kresy wschodnie pod okupacją mocarstw centralnych 1914-1918, Warszawa 2019.
Mikołaj Kunicki: Unwanted Collaborators. Leon Kozłowski, Władysław Studnicki and the Problem of Collaboration among Polish Conservative Politicians during World War II, in: European Review of History - Revue européenne d’histoire 8 (2001) 2, S. 203–220.
Joanna Beata Michlic: Poland’s Threatening Others: The Image of the Jew from 1880 to the Present, Lincoln 2006.
Gotthold Rhode: Geschichte Polens. Ein Überblick, Darmstadt 1980.
Wojciech Szczęsny: Interview mit Professor Marek Kornat: Rewizjonizm historyczny to droga donikąd, in: Portal i.PL. Nasza Historia, 25.11.2020, URL: https://i.pl/profesor-marek-kornat-rewizjonizm-historyczny-to-droga-donikad/ar/c1-15311693 (zuletzt abgerufen: 3.6.2024).
Hans-Erich Volkmann: Die Polenpolitik des Kaiserreichs. Prolog zum Zeitalter der Weltkriege, Paderborn 2016.
Marian Zgórniak: Nieudana misja Władysława Gisberta-Studnickiego w Berlinie w początku 1940 roku Studnicki, in: Państwo i Społeczeństwo III (2003) 2, S.103–122.
Piotr Zychowicz: Germanofil. Władysław Studnicki – Polak, który chciał sojuszu z III Rzeszą, Poznań 2020.