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Der Lyriker Martin Piekar – Das Innere mit dem Äußeren verbinden

Martin Piekar 2022
Martin Piekar 2022

Martin Piekar kam 1990 in Deutschland zur Welt und wuchs in Hessen auf. Die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt er allerdings erst seit 2017, vorher hatte er nur die polnische. Letztere verdankt er seinen Eltern, die in den 1980ern aus politischen Gründen aus dem sozialistischen Polen flüchteten. Sein Vater kehrte kurz nach der Wende in die alte Heimat zurück. Martin Piekar war damals noch ein Säugling, der noch nicht wissen konnte, dass er später für die Lyrik leben würde. Mit seiner Mutter wohnte er zunächst in Bad Soden am Taunus, dann in Frankfurt am Main. Nach Polen kam er lange nicht. Das lag an der Ablehnung seiner Mutter. Piekar nennt es ihren privaten Eisernen Vorhang. Denn sie hatte in ihrer alten Heimat viel Schlimmes erlebt. Geboren wurde Piekars Mutter in einem Gulag, wuchs dann in Białystok auf, wurde Lehrerin und entschied sich schließlich, aus dem verhassten politischen System zu fliehen. In Deutschland wurde ihr polnisches Lehramtsstudium allerdings nicht anerkannt, so dass sie als Altenpflegerin arbeitete. Ein für polnische Einwander:innen typisches Problem.

Martin Piekar war schon als Kind nachdenklich, beobachtete genau, hängte sich an Widersprüchen und Ungerechtigkeiten auf und träumte sich in andere Welten. In der Pubertät begann er zu schreiben, um ein Ventil zu haben, ein „Hygiene-Mittel“ wie er sagt. Er begann, Gedichte zu lesen. Vor allem die Romantiker:innen hatten es ihm angetan, und so sind seine frühen Versuche geprägt von festen Reimschemata und sehnsüchtigem Pathos. Er liebte das Geheimnisvolle und Dunkle an der Romantik und fand in der Jugendsubkultur der Goths die für ihn passenden Ausdrucksformen. Bald kleidete er sich fast ausschließlich in Schwarz, färbte sich die Haare in der gleichen Farbe, hörte Bands wie „The Sisters of Mercy“ oder „Marilyn Manson“ und gab seinen Gedichten einen düsteren Anstrich. Im Rückblick sieht er die Romantik als eine Fluchtbewegung an. Anfangs ahnte er mehr, als es klar benennen zu können: Er würde stagnieren, wenn er bei Ausdrucksformen blieb, die im 19. Jahrhundert populär gewesen waren. Und so versuchte er, sich die zeitgenössische Lyrik zu erschließen, auch wenn er sich anfangs von den auf den ersten Blick sperrigen Ausdrucksformen irritiert fühlte und sein ästhetisches Empfinden erst mit der Zeit erweitern und verändern konnte. Er löste sich von seinen romantischen Vorbildern, wollte ein zeitgenössischer Dichter sein. Er sagt von sich: „Ich schrieb und wollte mich in die Sprache und zwischen die Menschen schreiben. Ich wollte meine Sprache, meine Zeit, meine Gedanken dem widmen: der Sprache, der Zeit, dem Denken – in der Form von poetischen Texten.“

Die Gedichte, die dabei entstehen, findet sein Umfeld oft sperrig, seltsam, teilweise unlesbar. Doch Piekar verfolgt den Weg des Denkenden und Schreibenden konsequent weiter. Er studiert in Frankfurt Philosophie und Geschichte und geht zu den Treffen von „sexyunderground“, die vom Literaturhaus Frankfurt als Förderung des literarischen Nachwuchses bis heute angeboten werden. Vor allem feilt er weiter an seinem Stil und reicht manche seiner Texte auch ein. Veröffentlichungen in den Literaturzeitschriften etcetera und Federwelt beflügeln ihn dazu, sich auch an Wettbewerben zu beteiligen. 

2012 wird ein besonderes Jahr für Martin Piekar. Sähe man das Dichten als Karriereweg, könnte man vom Durchbruch sprechen. Zum einen wird Piekar für eine Teilnahme am Literaturlabor Wolfenbüttel ausgewählt, wo er mit anderen Autor:innen in professioneller Atmosphäre an Texten arbeiten und darüber diskutieren kann. Besser noch: Er gehört zu den Finalisten des open mike Literaturwettbewerbs, der einmal jährlich von der Literaturwerkstatt Berlin ausgerichtet wird. Wer hier zu den 21 Teilnehmenden gehört, deren Texte unter hunderten von Einreichungen die Jury überzeugen konnten, hat sich damit bereits Sichtbarkeit im Literaturbetrieb erarbeitet. Zum open mike kommen Agent:innen, Verleger:innen, Literaturkritiker:innen und erfolgreiche Autor:innen, für die der Wettbewerb in früheren Jahren ein Sprungbrett gewesen ist. Martin Piekar trägt aus seinen Gedichtzyklen „Bastard“ und „Bedürfnis nach dir und Kirschblüte“ vor. Zum Beispiel Zeilen wie diese:

„Ich fühle mich so Bastard, wenn ich träume.
Nur Tunnelschachttage. Und nachts sind
meine Fantasien ans Hirninterieur genagelt.“

Jury und Publikum sind begeistert. Martin Piekar gewinnt den Preis in der Sparte Lyrik und wird gleich nach seinem Auftritt von Verleger:innen und Agent:innen angesprochen. Es dauert jedoch noch zwei Jahre, bis sein erster Gedichtband mit dem Titel „Bastard Echo“ im Verlagshaus Berlin erscheint. Piekars Stimme findet Gehör. Er gewinnt weitere Preise wie den Irseer Pegasus oder den Alfred-Gruber-Preis in Meran und veröffentlicht 2018 einen weiteren Gedichtband: „AmokPerVers“. Seine Stoffe bleiben weiterhin so vielfältig wie persönlich. Nach seinen Themen gefragt, antwortet Piekar: „Alles, was mich verwirrt, fasziniert, zweifeln lässt: Menschen. Der Mensch und sein ewiger Kampf mit den eigenen Emotionen, Gefühlen und dem Verstand.“ In seinen Augen sind Gefühle längst ein wichtiges Politikum in unserer Gesellschaft und es wert, poetisch untersucht zu werden. Er sagt: „Diese Befindlichkeitspolitik lässt sich mit der Sprache sehr gut herausarbeiten und hinterfragen. Mein Stoff ist also das gesprochene Wort der Menschen, die sich äußern, offenbaren, in Kommunikation treten, versuchen, sie selbst zu sein.“ 

Die Bedeutung seines polnischen Hintergrundes für sein Schreiben wurde Piekar im Lauf der Jahre immer klarer. „Die polnische Sprache hat mich sehr geprägt“, sagt er heute. „Sie ist wie ein Fluss, der elegant mäandert. Die deutsche Sprache sehe ich als soliden Weg aus Pflastersteinen. Beim Dichten ist es wichtig beide Wege zu beherrschen, den selbstgelegten und den, sich einfach treiben zu lassen.“ 

Auch die Erfahrung, ein weißer Ausländer zu sein, wertet Piekar als wichtigen Teil seiner Inspiration. Er sei von seinen weißen Freunden einer der wenigen, die wüssten, wie es sei, in einem Ausländeramt zu schwitzen. Seine Familiengeschichte mit den Traumata aus Krieg, Gefangenschaft und Flucht hat Piekar ebenfalls geprägt. Ihm ist klar, dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind, sondern mühsam erkämpft wurden. Und in unseren Tagen womöglich ebenso mühsam verteidigt werden müssen.

Für Piekar ist die dauerhafte Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft faszinierend und zutiefst politisch. Ihn interessiert, wie wir im Inneren und Äußeren unsere Emotionen verhandeln, und wie wir tagtäglich politische Entscheidungen treffen, oft wie nebenbei und ohne volles Bewusstsein. Im Dichten sieht er eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem eigenen Ausdruck, der immer aus einem Innen kommt und in ein Außen strebt. Sprache ist so für Piekar gleichzeitig der Weg nach innen und nach außen. Und ein Überwinden des Schweigens, der Resignation. Er sagt: „Ich habe das Gefühl, das größte Unverständnis erzeugt das größte Schweigen – Menschen hören dann auf miteinander zu reden, und reden nur noch übereinander. Übereinander hinweg ganz oft.“

Seinen Stil bezeichnet Piekar lyrisch als:

„Dunkel, dreckig, digital-affin. 
Oral, offen, oczywisty.
Philosophisch, po prostu, Pathos.
Autentyczny, Ausbruch, ahnend.
Młody, merklich, mündlich.
Inny, Internet, introspektiv.
Nadziana, neugierig, nachfragend.”

Nach Vorbildern gefragt, antwortet er: „Ich will irgendwann mein eigenes Vorbild sein.“

Mittlerweile reist Martin Piekar gerne nach Polen. Die Ängste seiner Mutter hat er nicht zu seinen eigenen gemacht. Er liebt die polnische Sprache und Poesie, das polnische Essen und die Fähigkeit vieler Menschen in Polen, ausgelassen und offen zu sein. In Deutschland vermisst er manchmal diese fröhliche, lebensbejahende Atmosphäre und beklagt auch einen Mangel an polnischen Restaurants. Gleichzeitig lebt er gerne in Deutschland, liebt auch die deutsche Sprache und Poesie und schätzt die Strukturen, die er schon so lange kennt. Und natürlich sind in Deutschland seine Freunde, seine Wahlheimat Frankfurt am Main, sein Leben als Dichter und Lehrer. Nach Polen reist er etwa zweimal im Jahr. Einmal, um Verwandte zu besuchen, und dann noch einmal nur für sich selbst. „Ich kenne das Land“, sagt er, „und doch kenne ich so wenig davon“. Für die polnisch-deutschen Beziehungen wünscht sich Piekar mehr Miteinander, mehr Austausch und ein Anerkennen der Gemeinsamkeiten. Er sagt: „Wir sind Nachbarn und wir werden es bleiben.“

Letztes Jahr ist Martin Piekar in der literarischen Welt noch ein bisschen bekannter geworden. Mit seinem Text „Mit Wänden sprechen/Pole sind schwierige Volk“ gewann er bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur (Bachmann-Preis) in Klagenfurt sowohl den KELAG-Preis als auch den mit einem Stipendium in Klagenfurt verbundenen Publikumspreis. In dem Text setzt er seiner Mutter und ihrer dramatischen Lebensgeschichte ein Denkmal. Mittlerweile hat Piekar seinen dritten Gedichtband unter dem Titel „livestream & leichen“ veröffentlicht. Darin verbindet er das Polnische mit dem Deutschen, gibt beiden Hintergründen und Sprachen Raum und erzeugt in Kombination mit den Illustrationen von Nina Kaun eine komplett eigenständige Atmosphäre. Wie der Titel des Gedichtbandes schon nahelegt, verbindet Piekar aktuelle Themen und heutigen Sprachgebrauch mit seiner schwarzromantischen Ader und bricht so beides zugunsten einer komplexeren Sicht auf das Innere eines Ichs, das sich immer wieder mit dem Außen verbinden und sich immer wieder vor ihm schützen will. 

Aktuell arbeitet Martin Piekar an seinem ersten Roman, über dessen Inhalt er noch nichts verraten will. In Bezug auf Gedichte sagt er: „Ich werde mein ganzes Leben lang an ihnen arbeiten.“

 

Anselm Neft, März 2024

 

Der Künstler im Netz: https://martin-piekar.net/

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