Wywiórski, Michał Gorstkin
Wywiórski, Michał Paweł Gorstkin (Gorstkin-Wywiórski, Wywiórski-Gorstkin), polnischer Maler, Mitglied der „Münchner Schule“. 1883-87 Studium in München, zunächst in den privaten Malateliers von Józef Brandt und Alfred Wierusz-Kowalski, ab 1884 ständig an der Akademie der Bildenden Künste. Bis 1895 freischaffend in München tätig. 1895-1901 Mitarbeit an Panoramen in Berlin unter der Leitung von Wojciech Kossak. Vermutlich bis 1904 in Berlin tätig. *14.3.1861 Warschau, †30.5.1926 Berlin. Sohn des russischen Offiziers (laut den Münchner Matrikelbüchern 2 und 3: Gutsbesitzers) Paweł Gorstkin und der Polin Józefina Wywiórska. 1881/82 studiert er zunächst Chemie am deutschsprachigen Polytechnikum in Riga. Wegen einer Erkrankung kehrt er nach Polen zurück. Nach einer Übergangszeit in Zürich nimmt er 1883 ein Kunststudium in München auf. Am 26.10.1883 schreibt er sich dort in die Antikenklasse der Königlichen Akademie der Bildenden Künste ein und nimmt gleichzeitig privaten Malunterricht in den Ateliers der führenden polnischen Maler in München, Józef Brandt (1841-1915) und Alfred Wierusz-Kowalski (1849-1915, beide Mitglieder der „Münchner Schule“). Am 15.10.1884 immatrikuliert er sich erneut an der Münchner Kunstakademie, diesmal für die Naturklasse. Bis 1887 studiert er dort bei dem Landschaftsmaler Karl Raupp (1837-1918) und bei dem Genre- und Figurenmaler Nikolaus Gysis (1849-1901). Anschließend bleibt er in München und ist dort in der polnischen Künstlergruppe aktiv. 1890 gestaltet er gemeinsam mit Brandt, Wierusz-Kowalski und den in München ansässigen polnischen Malern Rosen, Streitt, Kozakiewicz, Czachórski, Buchbinder, Ejsmond, Szerner, Aleksander Gierymski, Szymanowski und Wodziński (alle Mitglieder der „Münchner Schule“) eine mit typischen Motiven der Künstler bemalte Malerpalette zum vierzigjährigen Jubiläum der künstlerischen Tätigkeit des in Krakau lebenden Malers Juliusz Kossak (1824-1899), die auch in der Warschauer Zeitschrift Tygodnik Ilustrowany publiziert wird. Ansässig ist W. in München in der Theresienstraße 148 (Adressbuch München 1893). 1894 wird er Mitglied des Kunstvereins München, ist mit zwei Gemälden („Aus Litauen - nach dem Trieb“, „Nach der Elchjagd“) an der Jahresausstellung im Münchner Glaspalast beteiligt und wird mit einer Medaille ausgezeichnet. In der Kunstsammlung des Prinzregenten Luitpold von Bayern (1821-1912), der regelmäßig die Münchner Künstlerateliers besucht, befindet sich auch ein Gemälde von W. neben Werken von Brandt, Wierusz-Kowalski, Czachórski, Chełmiński und Grocholski. 1895 geht er, vermutlich auf Einladung des Malers Wojciech Kossak (1856-1942, Mitglied der „Münchner Schule“), nach Berlin um dort unter der Leitung von Kossak und Julian Fałat (1853-1929, Mitglied der „Münchner Schule“) und gemeinsam mit den Malern Kazimierz Pułaski (1861-1947, ein Vetter von Kossak und Mitglied der „Münchner Schule“) und Jan Stanisławski (1860-1907) an der Ausführung eines Panoramas „Napoleons Überfahrt über die Beresina 1812“ (zerstört, Fragmente im Schlossmuseum Liw/Muzeum Zbrojownia na Zamku w Liwie) zu arbeiten. Kossak, Wywiórski und Pułaski reisen gemeinsam nach Litauen um die Landschaft an der Beresina zu studieren. Zurück in Berlin malt W. nach Kompositionsskizzen von Fałat für das Panorama die Schneelandschaften. Während der Entstehung empfangen die vier Maler Kaiser Wilhelm II. und die höfische Gesellschaft Berlins im neu errichteten Panorama-Gebäude in der Herwarthstraße.
1896 arbeitet W. unter der Leitung des Panorama-Malers Jan Styka (1858-1925) für fünf Monate am „Panorama von Siebenbürgen/Panorama Siedmiogrodzka“ (auch: „General Bem in Siebenbürgen/Bem w Siedmiogrodzie“, Fragmente im Bezirksmuseum Tarnów/Muzeum Okregowe w Tarnowie, in den USA und Großbritannien), das ab 1897 in Lemberg, Budapest und Warschau gezeigt wird. 1898/99 ist W. an Kossaks Planungen für ein von einem Warschauer Konsortium beauftragtes Panorama der „Schlacht von Somosierra“ beteiligt. Kossak und W. reisen gemeinsam über Paris, Bordeaux und Madrid zum gleichnamigen Bergpass in Kastilien um dort die Landschaft zu studieren. Nach der Ausführung von vier großformatigen Ölskizzen (heute im Nationalmuseum Przemyśl/Muzeum Narodowe Ziemi Przemyskiej w Przemyślu), für die W. die Landschaften malt, wird das Projekt jedoch vom russischen General-Gouverneur von Warschau aus politischen Gründen untersagt. Für das anschließend aus Warschau als Kompensation vorgeschlagene Folgeprojekt eines Panoramas über Napoleons „Schlacht bei den Pyramiden“ lädt Kossak W. ebenfalls zur Mitarbeit ein und reist mit ihm 1900 über Triest, Brindisi und Alexandria nach Kairo, von wo aus die beiden Maler von Prinz Muhammad Ali (1875-1955) zu den historischen Schlachtfeldern von Embabeh und nach Gizeh begleitet werden. An dem 1901 fertiggestellten Panorama malt W. wiederum die Landschaften, während Kossak zusammen mit Pułaski die Schlachtenformationen ausführt. Das Panorama wird anschließend in Warschau ausgestellt. Zwischen den verschiedenen Aufträgen reist W. in Polen und Litauen, 1898 auf die Insel Sylt und nach Italien, 1903/04 an die Ostsee, nach Norwegen und Schweden. 1904 lässt er sich in Posen nieder. Das Frühjahr 1907 verbringt er auf den Besitzungen des Kunstsammlers und Mäzens Edward Aleksander Raczyński (1847-1926), wo er sich der Freilichtmalerei widmet. 1909 ist er Mitbegründer der dortigen Künstlervereinigung/Stowarzyszenia Artystów Plastików w Poznaniu und wird Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwa Przyjaciół Sztuk Pięknych w Poznaniu. In den folgenden Jahren reist er in die Karpaten, in die Niederlande, auf die Krim und in den Kaukasus. Die letzten Lebensjahre verbringt er wieder in Berlin. – Unter dem Einfluss seiner bedeutenden Vorbilder unter den polnischen Malern in München, Brandt und Wierusz-Kowalski, malt W. dort in den 1880er- und 90er-Jahren vor allem Genremotive mit Reitern, Pferdefuhrwerken („Im Kaukasus/W górach kaukazu“, um 1885; „Auf dem Bergpass/Na przełęczy“, 1886; „Zurück vom Markt/Powrót z jarmarku“, 1883-90), Pferdeschlitten („Durch den tiefen Schnee/Przez głębokie śniegi“, um 1888), Jagdszenen („Morgengrauen vor der Jagd/Świt przed polowaniem“, um 1890; „Zurück von der Jagd. Am Ende des Tages/Powrót z polowania. U schyłku dnia“, um 1895), reitenden und Abschied nehmenden Kosaken („Reiter im Osten/Jeźdźcy wschodni“, um 1885; „Des Kosaken Abschied von einem Mädchen/Pożegnanie kozaka z dziewczyną“, 1886), die sich nach Polen, Litauen und in die Ukraine verorten lassen und sich häufig in Schneelandschaften abspielen. Populär in der Münchner Kunstwelt machen ihn Darstellungen aus dem Leben der Tscherkessen und Tataren, die nach einer Reise 1888 nach Tiflis und in den Kaukasus entstehen (Micke-Broniarek 2022). Hinzu kommen Gemälde mit orientalischen Figurengruppen in freier Landschaft („Rast an der Straße/Odpoczynek w drodze“, 1887; „Falknerei/Polowanie z sokołem“, um 1890) sowie Szenen mit volkstümlich gekleideten Menschen an nördlichen Meeresküsten (Titelbild; „Seetang-Sammler am Meeresufer/Zbieracze morszczyny nad brzegiem morza“, um 1890, Nationalmuseum Poznań/Muzeum Narodowe w Poznaniu) und Seen („Eisbrechen/Kruszenie lodu“, 1907, alle wenn nicht anders bezeichnet: Auktionshaus AgraArt), sämtlich in gedeckten, brauntonigen Farben mit wenigen leuchtenden Akzenten, deren Sujets und Szenerien in der Regel nicht auf eigenem Erleben beruhen.
Erst in späteren Jahren absolviert W. Reisen in die entsprechenden Weltgegenden. Gegen Ende des Jahrhunderts und in dem Jahrzehnt danach konzentriert er sich auf die reine Landschaft und auf Meeresküsten, wobei sich seine Palette merklich aufhellt. Seine Malweise bleibt jedoch dem Realismus verpflichtet. Besondere Stimmungen der Jahres- oder der Tageszeiten stehen im Vordergrund („Sonnenuntergang am Meer/Zachód słońca nad morzem“, um 1901, Nationalmuseum Stettin/Muzeum Narodowe w Szczecinie; „Morgenlandschaft mit Hirsch/Krajobraz poranny z jeleniem“, Nationalmuseum Poznań/Muzeum Narodowe w Poznaniu; „Vor dem Sturm/Przed burzą“, 1903, Nationalmuseum Danzig/Muzeum Narodowe w Gdańsku). Schneelandschaften bleiben sein Spezialgebiet („Winterlandschaft mit Kreuz in der Nacht/Nocny krajobraz zimowy z krzyżem“, 1907; „Weg zum Dorf/Droga da wsi“, 1913, beide Nationalmuseum Poznań). Erst im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert realisiert er vor allem bei Hafenansichten eine lichtdurchflutete, im Sinne des Impressionismus aus kleinteiligen Farbflecken gestaltete Malweise („Aus den Niederlanden. Hafen mit Fischerboot an der Mole/Z Holandii. Przystań z łodzią rybacką przy pomoście“, 1914; „Fischerboot/Łódź rybacka“, 1916, beide Nationales Meeresmuseum/Narodowe Muzeum Morskie, Danzig). Werke befinden sich in den Nationalmuseen von Warschau, Krakau, Danzig, Szczecin und Poznań, im Nationalen Meeresmuseum/Narodowe Muzeum Morskie in Danzig, in den Bezirksmuseen/Muzeum Okręgowe in Bydgoszcz und Leszno, im Muzeum Śląska Opolskiego in Opole, im Masowischen Museum Płock/Muzeum Mazowieckie w Płocku sowie in der Nationalgalerie in Lviv.
Einzelausstellungen: 1899, 1901, 1903, 1904, 1906 Warschau, Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste/Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych / 1904 Krakau, Akademie der Schönen Künste/Akademia Sztuk Pięknych (zusammen mit Fałat)
Gruppenausstellungen: 1884-1914 Krakau, Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwo Przyjaciół Sztuk Pięknych / 1885-1926 Warschau, Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste/Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych / Wien, Künstlerhaus: 1885 XV. Jahres-Ausstellung; 1891 Kunst-Ausstellung / 1889, 1890, 1892-94, 1902 München, Glaspalast: Internationale Kunst-Ausstellung / Berlin: 1891 Vereinigung Berliner Künstler: Internationale Kunst-Ausstellung; 1893-1915 Große Berliner Kunst-Ausstellung / 1894 Lemberg/Lwów, heute Lviv, Pałac Sztuki: Wystawa Sztuki Współczesnej (Silbermedaille) / Posen/Poznań: 1903-25 Salon Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwo Przyjaciół Sztuk Pięknych; 1929 Powszechna Wystawa Krajowa
Literatur: Illustrirter Katalog der Münchner Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen im kgl. Glaspalast 1894, Nr. 1165, 1166; Adalbert von Kossak: Erinnerungen, Berlin 1913/Wojciech Kossak: Wspomnienia, Warschau 1913, Seite 94 f., 181-202, 263-280; Wielkopolski słownik biograficzny, Poznań 1981, Seite 854; Münchner Maler im 19. Jahrhundert, Band IV, München 1983; Halina Stępień/Maria Liczbińska: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1828-1914. Materiały źródłowe, Warschau 1994, Seite 14 f., 67; Siegfried Wichmann: Münchner Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert. Meister, Schüler, Themen, Weyarn [1996]; Michał Gorstkin Wywiórski. Pejzaże „Między niebem a ziemią“, Ausstellungs-Katalog Kulturzentrum im Schloss/Centrum Kultury Zamek, Poznań 2004; Liliana Giełdon/Monika Jankiewicz-Brzostowska: Ku morzu z biegiem rzek. Michał Gorstkin Wywiórski (Polscy artyści o morzu), Ausstellungs-Katalog Zentrales Meeresmuseum Danzig/Centralne Muzeum Morskie w Gdańsku, 2005; Jednodniówka – Eintagszeitung. Neuausgabe, herausgegeben von Zbigniew Fałtynowicz / Eliza Ptaszyńska, Muzeum Okręgowe w Suwałkach, Suwałki 2008, zugleich Katalog der Ausstellung „Signatur - anders geschrieben. Anwesenheit polnischer Künstler im Lichte von Archivalien“, Polnisches Kulturzentrum, München 2008, Seite XIII, XVII; Egzotyczna Europa. Kraj urodzenia na płótnach polskich monachijczyków/Das exotische Europa. Heimatvisionen auf den Gemälden der polnischen Künstler in München, Ausstellungs-Katalog Muzeum Okre̜gowe w Suwałkach, Suwałki 2015, Seite 158, 206, 236; Ewa Micke-Broniarek, in: De Gruyter Allgemeines Künstlerlexikon, Band 117, Berlin, Boston 2022, Seite 384 f.
Online: Matrikeldatenbank, Matrikelbuch 2, Akademie der Bildenden Künste München, 04452 Michael Paul von Wywiorski, https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1841-1884/jahr_1883/matrikel-04452, Matrikelbuch 3, 00076 Michael Gorstkin-Wywiorski, https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1884/matrikel-00076
Biografie und Werkübersicht auf Pinakoteka Zascianek, http://www.pinakoteka.zascianek.pl/Wywiorski/Index.htm
Zahlreiche Werke auf artyzm.com, http://artyzm.com/e_artysta.php?id=669
Zahlreiche Werke im Auktionshaus AgraArt, Warschau, https://sztuka.agraart.pl/search/0/Wywi%C3%B3rski
4 Werke im Auktionshaus DESAUnicum, Warschau, https://desa.pl/pl/artysci/wincenty-wodzinowski/
Agnieszka Pipała: Szkic W. Kossaka i M. Wywiórskiego do obrazu „Somosierra” prezentowany w Przemyślu (2021), auf: Dzieje.pl Portal historyczny, https://dzieje.pl/dziedzictwo-kulturowe/szkic-w-kossaka-i-m-wywiorskiego-do-obrazu-somosierra-prezentowany-w
Online-Präsentation der Skizzen des Somosierra-Panoramas im Nationalmuseum Przemyśl/Muzeum Narodowe Ziemi Przemyskiej w Przemyślu, https://mnzp.pl/110-czyli-nasza-mala-somosierra-2/
(Alle Links wurden zuletzt im November 2022 aufgerufen.)
Axel Feuß, November 2022