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Stanisław Wachowiak

Stanisław Wachowiak
Stanisław Wachowiak

Stanisław Wachowiak wurde am 7. Mai 1890 in Smolice bei Kobylin im damaligen Kreis Gostyn (Gostyń) in der Provinz Posen geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Im Jahr 1898 entschied sich sein Vater, ein einfacher Landarbeiter, in das rheinisch-westfälische Industriegebiet auszuwandern, nachdem er von anderen Erwerbsmigranten auf Heimaturlaub viel Positives gehört hatte. Obwohl Stanisław Wachowiak seit 1896 in seinem Heimatort die preußische Volksschule besucht hatte, sprach er zum Zeitpunkt seiner Emigration nach Westfalen kein Wort Deutsch, denn in der Schule unterrichtete ein überzeugter Pole entgegen den offiziellen Anweisungen in polnischer Sprache. Die Familie siedelte sich in Wanne an, das von den polnischen Zuwanderern aufgrund der Vielzahl an polnischen Einwohnern „Kościuszkowo” genannt wurde. Wachowiaks Vater arbeitete zunächst ein Jahr lang als Schlepper, danach als Hauer in einem Herner Bergwerk.

Zu Beginn seiner Schulzeit an der Ruhr hatte Wachowiak aufgrund seiner fehlenden Deutschkenntnisse mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, sowohl gegenüber seinen Lehrern als auch Mitschülern, von denen er nicht selten als „Polacke“ beschimpft wurde. Schnell bemerkten seine Lehrer jedoch seine außergewöhnlichen Begabungen und intellektuellen Fähigkeiten. So schickten ihn seine Eltern 1902 in Wanne auf das Gymnasium. Drei Jahre darauf wechselte er auf das katholische Gymnasium in Recklinghausen. Er erzielte gute Lernergebnisse und seine Lehrer waren ihm dort stets wohlgesonnen. Im Jahr 1911 machte er sein Abitur. Die Schulzeit Wachowiaks war mit einem immensen finanziellen Aufwand für die Eltern verbunden. Seit seinem Wechsel auf das Gymnasium 1902 unterstützte aber auch der Gemeindepfarrer des Heimatortes Smolice, Wawrzyniec Nowakowski, Wachowiaks Bildungsweg, einerseits finanziell, andererseits durch intensiven Polnischunterricht, den er Wachowiak während dessen alljährlichen sechswöchigen Heimataufenthalten erteilte. Auch Jahre später erinnerte sich Wachowiak noch an den langjährigen Pfarrer von Smolice als „großartigen Menschen“ zurück. 1937 setzte Wachowiak Nowakowski in der Smolicer Kirche ein kleines Denkmal. Über seine Kindheit, Jugend und Schulzeit an der Ruhr schrieb er später: „Ich wurde zwar in Großpolen geboren, aber meine Kindheit und Jugend habe ich in Westfalen verbracht. Die Zeit zwischen dem 7. und 21. Lebensjahr formt einen Menschen in entscheidender Weise, sie wirkt sich auf sein weiteres Leben aus. So hinterließen Westfalen und die direkte Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, den größten Eindruck auf mich.“

Nach dem Abitur nahm Wachowiak in Berlin das Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften auf, das er an den Universitäten in Münster, Straßburg und München fortsetzte. Mit Beginn seiner Studienzeit wurde er auf Betreiben von Franciszek Mańkowski, einem der Mitbegründer der Polnischen Berufsvereinigung (Zjednoczenie Zawodowe Polskie, ZZP), zum Hauptredakteur des Gewerkschaftsorgans der ZZP „Głos Górnika“ (Bergarbeiterstimme) ernannt. Diese Tätigkeit, die er bis 1916 fortsetzte und für die er entsprechend entlohnt wurde, sicherte die Finanzierung seines Studiums, ermöglichte ihm finanzielle Unabhängigkeit und er konnte sogar seine Eltern finanziell unterstützen. Das Studium selbst verlief für Wachowiak nicht ohne Hindernisse. Die Universität Münster musste er wegen seiner publizistischen Tätigkeit verlassen, von der Universität Straßburg wurde er aufgrund vermeintlicher antipreußischer Rufe während einer körperlichen Auseinandersetzung verwiesen. So ging er nach München, wo er 1915 beim Nationalökonomen und Sozialreformer Lujo Brentano mit einer Arbeit zu den Ruhrpolen promoviert wurde. Auf Initiative eines der Führer der polnischen Arbeiterbewegung an der Ruhr, dem bereits erwähnten Franciszek Mańkowski, erschien die Arbeit 1917 in polnischer Sprache unter dem Titel „Polacy w Nadrenii i Westfalii“ (Die Polen in Rheinland und Westfalen).

Nach Studium und Promotion lehnte er das ihm unterbreitete Stellenangebot im bayerischen Finanzministerium ab, denn es zog ihn in die Provinz Posen zurück. Kurzzeitig war er in der Genossenschaftsbank in Kosten (Kościan) tätig, bevor er 1916 die Direktorenstelle der Volksbank in Hohensalza (Inowrocław) übernahm. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde er zum ersten polnischen Vorsitzenden des Stadtrates ernannt, übernahm während des Großpolnischen Aufstandes am 5. Januar 1919 im Namen des Obersten Polnischen Volksrates die Macht in der Stadt und verhandelte erfolgreich über die Evakuierung der deutschen Garnison aus Hohensalza. Im Jahr 1920 kandidierte er aus den Reihen der 1917 in Wanne gegründeten Nationalen Arbeiterpartei (Narodowe Stronnictwo Robotników) für die Polnische Verfassungsgebende Nationalversammlung (1920–1922) und wurde im Kreis Löbau in Westpreußen (Lubawa) in der neu gegründeten Wojewodschaft Pommern zum Abgeordneten gewählt. Zwischen Mitte Oktober 1920 und Ende April 1922 war er als Unterstaatssekretär im Ministerium für die ehemalige preußische Provinz tätig und trat in den Verhandlungen mit dem Deutschen Reich und mit Frankreich als bevollmächtigter Minister auf. Bei den Parlamentswahlen 1922 kandidierte er erneut erfolgreich für den Sejm und war seit 1923 Vorsitzender der Parlamentsfraktion der Nationalen Arbeiterpartei. Im Jahr 1924 gab er sein Mandat ab, nachdem er im Alter von nur 34 Jahren zum Wojewoden von Pommern berufen worden war. In diesem Amt folgte er Jan Brejski, dem langjährigen Verleger des „Wiarus Polski“ in Bochum und wichtigsten Aktivisten des polnisch-nationalen Lebens an der Ruhr um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die politische Karriere Wachowiaks endete abrupt 1926: Nachdem er die Sanacja-Fraktion und Marschall Piłsudski – zu dem er über viele Jahre gute Kontakte gepflegt und den er bisher politisch unterstützt hatte – im Zusammenhang mit dem zwischen dem 12. und 15. Mai 1926 vollzogenen Staatsstreich in Polen scharf kritisiert und sich in Opposition zu den Geschehnissen gestellt hatte, wurde er als Wojewode abberufen.

Der polyglotte Wachowiak – neben Polnisch und Deutsch beherrschte er auch Englisch, Französisch, Altgriechisch und Latein – ließ die Politik hinter sich und war seitdem in der Wirtschaft und bei Verbänden tätig. Zwischen 1926 und 1929 war er Direktor der Allgemeinen Polnischen Landesausstellung in Posen, in den Jahren 1930 und 1931 Generaldirektor der Industrie- und Landwirtschaftsorganisation für West-Polen und danach bis 1939 Generaldirektor und Mitinhaber der Vereinigung Oberschlesischer Bergwerke „Robur“ in Kattowitz (Związek Kopalń Górnośląskich „Robur”). Die Kriegsjahre verbrachte Wachowiak in Warschau, wo er stellvertretender Vorsitzender des Hauptfürsorgerates (Rada Główna Opiekuńcza, RGO) im Generalgouvernement war. Nach Kriegsende übernahm er den Vorsitz der Handelsbank in Warschau und des Zentralen Polnischen Industrieverbandes. Als er vor seiner bevorstehenden Verhaftung durch das kommunistische Ministerium für Öffentliche Sicherheit gewarnt wurde, verließ er Polen mit seiner Frau Wanda und den drei Kindern 1946 in Richtung London. Von dort ging die Familie nach Irland, wo sie sich um die Ausreise nach Nordamerika bemühte. Da sich die Formalitäten über viele Jahre in die Länge zogen, entschied sich Wachowiak 1952 für die Emigration nach Brasilien, wohin zunächst der jüngste Sohn Stanisław ausreiste und kurz darauf seine Eltern nachholte. Die Tochter Renata blieb in England, der ältere Sohn Olech emigrierte nach Nordamerika. Die Wachowiaks zogen nach São Paulo, wo sie aktiv am gesellschaftlichen und kirchlichen Leben der dortigen Polonia teilnahmen. In Brasilien arbeitete Stanisław Wachowiak für eine Filiale des Radios Freies Europa, überdies betätigte er sich publizistisch und veröffentlichte Artikel in verschiedenen Presseorganen, hielt Vorträge und Referate.

Stanisław Wachowiak verstarb am 4. März 1972 im Alter von 81 Jahren. Zu Lebzeiten wurden ihm mehrere Orden verliehen, unter anderem das Großkreuz und der Komtur mit Stern des Ordens Polonia Restitutia (Wielka Wstęga i Krzyż Komandorski z Gwiazdą Orderu Odrodzenia Polski, 1929), das Offizierskreuz der Ehrenlegion (1929) und das Kommandeurskreuz des Gregoriusordens (1966). Als Spross einer ruhrpolnischen Familie brachte er es – als einer der ganz wenigen – bis nach ganz oben auf der Karriereleiter des 1918 wiedererstandenen polnischen Staates.

 

David Skrabania, November 2018

 

Literatur:

Wachowiak, Stanisław: Czasy które przeżyłem. Wspomnienia z lat 1890 do 1939, Warszawa 1983.

http://www.portalpolonia.org/Dr%20STANISLAW%20WACHOWIAK%20para%20Portal.pdf [Aufruf am 05.11.2018].