Das SprachCafé Polnisch in Berlin-Pankow
Alles begann 2008 in einem Kindergarten im Berliner Bezirk Pankow, den die Kinder von Agata Koch und Marta Kiszka, der späteren Gründerinnen des SprachCafés, gemeinsam besuchten. Eines Tages wurden die Mütter von einer der Erzieherinnen gefragt, ob sie nicht eine Idee für Spiele auf Polnisch hätten, um einem neuen Mädchen polnischer Herkunft zu helfen, Anschluss an die Gruppe zu finden. So könnte das Kind über seine Muttersprache abgeholt und ihm die Eingewöhnung und Integration mit Gleichaltrigen in der Gruppe erleichtert werden. In der Folge entstanden regelmäßige polnisch-deutsche Treffen, bei denen polnische Märchen und Sagen gelesen, Kunst- und Tanzunterricht angeboten und oftmals anschließend gemeinsam Erdbeer-Maultaschen zubereitet wurden.
Der große Erfolg dieser Initiative, sowohl bei den Kindern als auch ihren meist nicht Polnisch sprechenden Eltern und Großeltern, gab den beiden Frauen den Anstoß, weitere Aktivitäten dieser Art zu organisieren. Ein wichtiges Anliegen war dabei die Förderung und Entwicklung der Zweisprachigkeit ihrer Kinder, auch weil das Angebot in Berlin in dieser Hinsicht sehr begrenzt war. Hinzu kam, dass es für die Kinder aufgrund der großen Entfernungen zwischen den einzelnen Bezirken der Bundeshauptstadt ohnehin oft schwierig war, die vorhandenen Freizeitangebote zu nutzen. Deshalb sollte das neue Projekt von Anfang an einen lokalen Charakter haben.
2012 konnten im Stadtteilzentrum Pankow, einem Nachbarschaftstreff, die ersten Treffen im Rahmen des Sprachcafés Polnisch organisiert werden. „Genau das habe ich damals vermisst: eine Umgebung, in der die Vielfalt eines jeden Einzelnen, frei, souverän und ebenbürtig, einen Mehrwert darstellt, die individuelle Persönlichkeit stärkend und wertschätzend“ – schreibt Agata Koch, studierte Germanistin, Dozentin und Übersetzerin in ihrem Blog über die Anfänge des Cafés.[1]
Im Laufe der letzten fünf Jahre wurden unzählige Projekte realisiert. Im Fokus standen dabei fast immer die Zwei- und Mehrsprachigkeit. Das Sprachcafé bietet sowohl Kurse für Erwachsene als auch für Kinder aller Altersstufen an. Daneben gibt es eine polnische Vorschule, spielerischen Unterricht für die Allerkleinsten, die gerade erst sprechen lernen, sowie auch für ältere Kindergartenkinder und Schüler:innen. Zu einer wichtigen Aktivität zählen die Feriencamps „A-Ą-Ä – tak zaczyna się mój alfabet!“ („A-Ą-Ä – so fängt mein Alphabet an!“), die in den Sommerferien eine Woche lang in Bad Bevensen in Niedersachsen stattfinden. In Workshops, die von Fachleuten für Zweisprachigkeit geleitet werden, lernen Eltern, wie sie das Polnischlernen in polnischen oder mehrsprachigen Familien im Alltag unterstützen können. Veranstaltungen für Kinder beinhalten Spiele und Aktivitäten, die von erfahrenen Pädagog:innen auf Polnisch angeleitet werden. So können Kinder nach der sog. Immersionsmethode, die ein Eintauchen in die Sprache zum Ziel hat, ihre Sprachkenntnisse vertiefen und weiterentwickeln. Ergänzt wird der Sprachunterricht im Café durch Lesungen und Aufführungen eines Puppentheaters.
Auch Erwachsene haben im Café die Möglichkeit, Ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Dabei geht es nicht nur um Polnisch oder Deutsch. Wer möchte, kann ein Sprachtandem bilden und so eine andere Sprache lernen. Im Programm ist von Zeit zu Zeit auch ein „Speak-Dating“, ein deutsch-polnischer Sprachaustausch basierend auf dem Konzept des „Speed-Datings“. Das Sprachcafé bietet auch Kurse für Polnisch als Fremdsprache an, die beispielsweise von Lebenspartner:innen, der in Berlin lebenden Pol:innen oder von Deutschen, die selbst oder deren Familie Wurzeln in Schlesien, Pommern oder Masuren haben und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verlassen mussten, besucht werden.
[1] http://sprachcafe-polnisch.org/2018/07/das-habe-ich-damals-vermisst/ (aufgerufen am 16.05.2018)
Im Sprachcafé in Pankow ist jedoch nicht nur Polnisch zu hören. „Wir wollten die polnische Kultur auch auf Deutsch und in anderen Sprachen vermitteln. Nur so können wir sie im multikulturellen Berlin fördern“, räumt Agata Koch in einem Interview mit Radio Cosmo ein.[2] Im Rahmen des Projekts „DamenSalon“ treffen sich jeden Monat Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen im Café. Es sind Frauen, die aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten, sowie auch solche, die aus beruflichen oder privaten Gründen nach Berlin kamen. Gespräche wie auch Tanz, Gesang, Lesungen und Interpretationen teilweise sogar eigener Werke dienen der Verständigung. Eine solch heterogene Gruppe, wo auch Fragen zu Familie, Beruf oder dem Alltag in Deutschland beantwortet werden, erleichtert die Integration in einer neuen Stadt.
Im Sprachcafé Polnisch wird Vielfalt breit aufgefasst. Neben der Zwei- und Mehrsprachigkeit steht das Zusammenbringen von Menschen aus unterschiedlichen Generationen im Mittelpunkt. So ist kaum eine Veranstaltung auf eine bestimmte Altersgruppe als Zielgruppe begrenzt. Ein Anliegen der Gründerinnen ist es, auch Menschen älterer Generationen in die Aktivitäten als willkommenen Teil der Gemeinschaft einzubeziehen. Dadurch sollen jüngeren Menschen, die oft keinen Kontakt zu ihren eigenen in Polen lebenden Großeltern haben, die Vorteile des generationenübergreifenden Zusammenlebens nähergebracht und Möglichkeiten des Voneinander-Lernens aufgezeigt werden.
Seit Anfang 2018 befindet sich das Sprachcafé Polnisch in eigenen Räumlichkeiten in der Schulzestraße 1 in Berlin-Pankow. Für die Betreiberinnen, denen das „Brückenbauen“ ein Anliegen ist, hat die Lage auf dem ehemaligen Mauerstreifen eine besondere Bedeutung. Ein eigener Standort ermöglicht aber auch stärkeres Engagement und die Realisierung von Vorhaben, die in fremden Räumlichkeiten nicht immer umsetzbar waren. So wurde bereits eine polnische Bibliothek aufgebaut, geplant ist auch ein Nachbarschaftscafé, in dem man sich zum Plaudern und Erfahrungsaustausch bei Kaffee und Kuchen treffen kann. Eine Krabbelgruppe als Treffpunkt für polnischsprachige Eltern von Kleinkindern ist ebenfalls in Vorbereitung.
Das Sprachcafé Polnisch wurde von Anfang an für die Nachbarschaft konzipiert. Das Angebot wird jedoch mittlerweile von Menschen aus ganz Berlin wahrgenommen. Die Aktivitäten sind längst über den lokalen Rahmen hinausgewachsen und haben Nachahmer:innen in anderen Stadtteilen gefunden. In der Stadtbibliothek im Bezirk Steglitz ist es gelungen, regelmäßige Lesetreffs für Polnisch sprechende Kinder auf die Beine zu stellen. An einer Zehlendorfer Grundschule wird zusätzlich Polnischunterricht angeboten.
Das Sprachcafé Polnisch ist ein gutes Beispiel dafür, wie viel in kurzer Zeit erreicht werden kann, wenn sich engagierte Menschen zusammenschließen und ihre Möglichkeiten bündeln. In nur wenigen Jahren hat sich aus einer bescheidenen Initiative mit begrenztem Wirkungsradius, ein dynamischer gemeinnütziger Verein entwickelt, der seit 2016 als solcher eingetragen ist. Offenheit gegenüber neuen Initiativen und vor allem Menschen ist die Basis seiner Aktivitäten. Denn das Café kann von jeder Person mitgestaltet werden, die Zeit und Lust hat, sei es aktiv oder auch nur mit einer Spende.
Das Engagement seiner Gründerinnen wurde 2016 mit der Nominierung für die Auszeichnung „Blauer Bär“ gewürdigt. Der von der Berliner Verwaltung und Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland gestiftete Preis zeichnet Initiativen, Projekte und Personen aus, die mit ihrer Arbeit zum Zusammenwachsen Europas und der Menschen in Berlin beitragen. Für einen Verein, dessen Ziel es ist, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu verbinden, ist eine bessere Anerkennung kaum denkbar.
Monika Stefanek, Juli 2018