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„Magdalenka“ in Gelsenkirchen

„Magdalenka“ in Gelsenkirchen
„Magdalenka“ – ein schlesisches Lebensmittellädchen im Herzen Gelsenkirchens

„Magdalenka“ – ein schlesisches Lebensmittellädchen im Herzen Gelsenkirchens

 

Gelsenkirchen – die tausend Feuer der Kokereien sind erloschen, was bleibt, ist die bunte Vielfalt der Kulturen, die den Strukturwandel seit dem Untergang des Bergbaus trägt und prägt. Einst lockte die Industrialisierung neben Oberhausen und Recklinghausen die meisten Arbeiter aus den Ostprovinzen in die aufkeimende Stadt. Noch heute zeugen viele polnische Nachnamen von der Geschichte – das berühmteste Beispiel ist der Schalker Fußballspieler Ernst Kuzorra, Sohn eines aus den Masuren zugewanderten Bergmannes, der vor allem zwischen 1920 und 1940 mit seinem Verein große Erfolge feierte.

Laut Gelsenkirchener Statistikstelle hatten 2014 4,5% der insgesamt 259.006 Bewohner Gelsenkirchens die polnische Staatsangehörigkeit. Obwohl die Zahl der wichtigen Herkunftsländer nach dem zweiten Weltkrieg stieg, sind die Polen nach wie vor die zweitgrößte Migrantengruppe.

Für unsere Beschäftigung mit der Sichtbarkeit der polnischen Sprache in Gelsenkirchen ließen wir uns von der Studie der Linguisten A. Redder und C. Scarvaglieri (2013) anregen, die einen türkischen Imbiss und einen türkischen Supermarkt in Hamburg untersuchten. Sie zeichneten dort Gespräche zwischen Kunden und Anbietern (sog. Agenten-Klienten-Gespräche) auf und analysierten, in welcher Situation und zu welchem Zweck dort die verschiedenen anzutreffenden Sprachen (Deutsch, Türkisch und Kurdisch) verwendet werden. Für unser Projekt leitete sich daraus die Frage ab, welche Rolle die polnische Sprache im Konsumbereich und hier speziell in polnischen Lebensmittelläden, die es im Ruhrgebiet zahlreich gibt, spielt. Falls die Annahme zutrifft, dass die Polen unsichtbar seien, dann erscheinen die polnischen Geschäfte wie die letzten Bastionen der polnischen Kultur im Ruhrgebiet. Allein in Gelsenkirchen sind zwei polnische Supermärkte und ein mobiles Fahrzeug, das mehrere Stationen anfährt und polnischen Spezialitäten anbietet, zu verzeichnen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten fanden wir ein polnisches Geschäft, das bereit war, mit uns zu kooperieren: „Magdalenka“- ein schlesisches Lebensmittellädchen im Herzen Gelsenkirchens.

Schon beim Anblick des Schaufensters wird man in die Welt von polnischer Kultur und traditionellen Leckereien entführt. Obwohl der Laden sehr klein ist, findet sich dort eine große Produktauswahl, die direkt aus Polen importiert wird, weshalb das Geschäft gut besucht ist. Kern unserer Untersuchung waren einerseits 28 Kundenbefragungen und andererseits Auswertung von Gesprächen zwischen Kunden und Ladeninhaberin, also Agenten-Klienten-Gesprächen. Die Befragten waren 18 Frauen und 10 Männer im Alter von 20-90 Jahren bei einem durchschnittlichen Alter von 50.

Wir stellten fest, dass ein Fünftel der Besucher deutsch waren und den Laden wegen seiner speziellen Produkte besuchten. Der größte Teil der Kunden aber waren polnischsprachige Kunden. Ein großer Teil der Befragten bezeichnete sich als Stammkunde in dem Geschäft, Kunde und Inhaberin waren vertraut und es wurde vielfach die Gelegenheit zu polnischem Small talk genutzt. Viele der polnischstämmigen Kunden nutzten den Einkauf, um ausschließlich Polnisch zu sprechen. In den Interviews mit diesen war eine häufig wiederkehrende Antwort, dass den Befragten neben ihrem Zuhause nur wenige Orte zur Verfügung stehen, an denen sie die polnische Sprache pflegen können, sodass sie sie immer dort wählen, wo es möglich ist. Selbst die schon in Deutschland geborenen Kinder der polnischen Migranten bemühten sich um ein fehlerfreies Polnisch. Gerade bei der älteren Generation stellte sich die Bezeichnung der Produkte auf Polnisch als ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation heraus. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit wurden auch deutsche Wörter verwendet, aber insgesamt war dies eher die Ausnahme im Gespräch mit den polnischsprachigen Kunden.

Wie wechselhaft die Verwendung der polnischen Sprache im Laufe eines Lebens sein kann, erzählte uns eine alte polnische Dame: Sie kam kurz nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland. Anfangs war der gesellschaftliche Druck hoch, nicht negativ aufzufallen, weshalb sie aufhörte, in der Öffentlichkeit in ihrer Muttersprache zu sprechen. Erst im hohen Alter kam die Erkenntnis, dass es von großem Vorteil ist, mehrere Sprachen zu kennen und sich zu seiner Herkunft zu bekennen.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Erhalt von traditionellen Lädchen wie „Magdalenka“ für die polnischsprachigen Einwohner des Ruhrgebiets von großer Bedeutung für Sprachpflege und Sprachkontakte ist. Es wurde auch deutlich, dass die polnische Kultur einen Platz in der vielfältigen Gesellschaft hat und von anderen Nationalitäten wahrgenommen wird und nur im Auge des Betrachters unsichtbar ist.

 

Annika Schulz, Eliza Jaworska, Magdalene Podstawny, Nadine Rzepka, Februar 2017

 

Zitierte Literatur:

 

Redder, A. / Scarvaglieri, C. 2013 Verortung mehrsprachigen Handelns im Konsumbereich – ein Imbiss und ein Lebensmittelgeschäft, in: Redder, A. (Ed.): Mehrsprachige Kommunikation in der Stadt. Das Beispiel Hamburg, Münster: Waxmann, 105-126

 

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