Glicenstein, Henryk

Enrico Glicenstein schnitzt einen Mandolinenspieler in Holz, The Sculptors Guild, New York, 29. September 1940
Enrico Glicenstein schnitzt einen Mandolinenspieler in Holz, The Sculptors Guild, New York, 29. September 1940

Glicenstein (Glicensztajn), Henryk (Henoch, Enrico), polnischer Bildhauer, Grafiker und Maler, Mitglied der „Münchner Schule“. 1889-95 Student der Akademie der Bildenden Künste München. *24.5.1870 Turek, †30.12.1942 New York. Sohn eines Steinmetzen und Lehrers an einer jüdischen Schule. Ab 1887 absolviert er in Łódź eine Ausbildung als Holzbildhauer und bewegt sich in Kreisen der künstlerischen Boheme. Am 24.5.1889 Eintritt in die Bildhauerklasse von Wilhelm von Rümann (1850-1906) an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in München, an der er bis 1895 studiert. 1896-1914 lebt er in Rom, unterhält aber auch Kontakte zu Kunstzentren in Deutschland und Polen, stellt mit der Münchner und Berliner Sezession aus und ist in Polen Mitglied des Verbands polnischer Künstler „Sztuka“/Towarzystwo Artystów Polskich „Sztuka“. 1895 und 1896 wird er mit dem Prix de Rome, 1900 auf der Weltausstellung in Paris mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. 1896 heiratet er Helena Hirszenberg (Schwester der Maler Samuel H. [Mitglied der Münchner Schule”], Leon H. und des Architekten Henryk H.). 1897 wird der gemeinsame Sohn Emanuel, der spätere Maler Emanuel Glicen Romano (1897-1984), geboren und G. nimmt den Vornamen Enrico sowie die italienische Staatsbürgerschaft an. Anfang des 20. Jahrhunderts sympathisiert er mit der zionistischen Bewegung und nimmt 1905 am 7. Zionistenkongress in Basel teil, auf dem er die Skulptur „Schlafender Messias“/„Śpiący Mesjasz“ zeigt. 1905 erhält er eine Auszeichnung auf der IX. Internationalen Kunst-Ausstellung in München. 1910 lehnt er eine Professur an der Warschauer Kunstakademie/Akademia Sztuk Pięknych ab und geht nach Berlin. 1914-17 lebt er in Warschau und Łódź, wo er eine Werkstatt unterhält, die junge jüdische Künstler anzieht. 1917-20 in Genf und Zürich, 1921-24 in London ansässig. 1924-28 in Rom, Gualdo Tadino und Narni. 1925 Verleihung des Ordens der Krone von Italien nach einer Ausstellung im Palazzo Venezia in Rom. 1928 lehnt er den Eintritt in die faschistische Partei Italiens ab und emigriert in die USA. Bis 1935 ansässig in Chicago, anschließend in New York. 1930-33 Reisen nach Frankreich und Arbeitsaufenthalte in den Savoyer Alpen. In New York stirbt er an den Folgen eines Autounfalls. – In seiner figürlichen Bildhauerei arbeitet G. mit Bronze, Holz, Marmor und Terrakotta. Der erlernte akademische Klassizismus und der Realismus des 19. Jahrhunderts vor allem in figürlichen Genrethemen („Nach der Arbeit ist es gut sich auszuruhen“, 1896) werden um die Jahrhundertwende von impressionistischen und symbolistischen Tendenzen in der Nachfolge von Auguste Rodin überlagert („Narziss“, vor 1899; „Kind mit Vogel“, 1900). Um 1910 beginnt er, Formen in ihrem Wert zu betonen und stärker zusammenzufassen. In der Zeit des Ersten Weltkriegs übernimmt er unter dem Einfluss des Expressionismus Gestaltungsmerkmale der Volkskunst und des Primitivismus, die er in den 1920er-Jahren mit klassizistischer Strenge verbindet. Ab Mitte dieses Jahrzehnts findet sein Schaffen internationale Anerkennung; er gilt als bedeutendster zeitgenössischer jüdischer Bildhauer. In Italien konzentriert er sich auf geometrische und archaische Stilisierung, kompositionelle Ordnung und plastische Formwerte. Thematisch bearbeitet er Figuren in religiösen und allgemein menschlichen Zusammenhängen. Erfolgreich ist er in der Porträtplastik. Als Radierer konzentriert er sich auf klar umrissene Figurenkompositionen ohne Binnenzeichnung ebenfalls mit religiösen Themen, die wie in der Skulptur zwischen Expressivität, Archaisierung und Primitivismus changieren. Zum selben Themenkreis entstehen auch Pastelle, Aquarelle und Ölgemälde, darüber hinaus Porträts, Blumenbilder und Stillleben in spätimpressionistischem Stil. Werke befinden sich in Deutschland in der Bremer Kunsthalle, in Polen im Bezirksmuseum Konin/Muzeum Okręgowe w Koninie, in den Nationalmuseen von Krakau und Warschau sowie im Kunstmuseum Łódź/Muzeum Sztuki w Łodzi, in den USA in der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo, in der Stadt New York im Brooklyn Museum of Art, im Jewish Museum, in der Dreyfuss-Glicenstein Foundation, in der Public Library und im YIVO Institut for Jewish Research, in Washington im United States Holocaust Memorial Museum, im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden und in der National Gallery of Art sowie im Museum von Newark, in Israel im Museum of Art in Tel Aviv und im Israel Bible Museum (bis 1985 Glicenstein Museum) in Safed, außerdem in der Ben Uri Collection in London, im Centre Georges Pompidou in Paris, im Polenmuseum in Rapperswil, in der Galleria Nazionale d'Arte Moderna in Rom sowie in zahlreichen weiteren internationalen Institutionen.

Einzelausstellungen: Berlin: 1906 Galerie Schulte; 1914 Künstlerhaus / 1912 Bremen, Kunsthalle / 1913 Hamburg, Galerie Commeter; München, Galerie Heinemann / 1915 Warschau, Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste/Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych / 1925 Rom, Palazzo Venezia / 1926 Venedig, Biennale / 1928-66 New York, zahlreiche Galerien / 1929 Chicago, Art Institute / Paris: 1948 Petit Palais; 1953 Nationalbibliothek

 

Gruppenausstellungen: 1898, 1915, 1917 Warschau, Gesellschaft zur Förderung der Schönen Künste/Towarzystwo Zachęty Sztuk Pięknych / Paris: 1900 Weltausstellung; 1906 Grand Salon / 1904, 1907 Krakau, Gesellschaft der Freunde der Schönen Künste/Towarzystwo Przyjaciół Sztuk Pięknych / 1905, 1909 München, Glaspalast / Ab 1907 Venedig, Biennale / 1908 Rom, Palazzo delle Esposizioni / 1932 Brüssel, Palais des beaux-arts

 

Literatur: Alfred Werner: Glicenstein, Tel Aviv 1963; Józef Sandel: Plastisze Kunst baj polnisze Jidn, Warschau 1964; Katarzyna Mikocka-Rachubowa: Rzeźba polska XIX wieku. Od klasycyzmu do symbolizmu, Ausstellungs-Katalog Nationalmuseum Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, Warschau 1993; Halina Stępień/Maria Liczbińska: Artyści polscy w środowisku monachijskim w latach 1828-1914. Materiały źródłowe, Warschau 1994, Seite 16, 38; Jerzy Malinowski: Malarstwo i rzeźba żydów polskich w XIX i XX wieku, Warschau 2000; Tamara Sztyma: Henryk Glicenstein jako „artysta żydowski“, in: Studia o artystach XVIII-XX wieku, Toruń 2003, Seite 117-139; Charlotte Snyder Sholod: Henry (Henoch) Glicenstein, Ausstellungs-Katalog Muzeum Okręgowe w Koninie, Konin 2004; T. Sztyma-Knasiecka, in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Band 56, München, Leipzig 2007, Seite 148 f.; Charlotte Sholod/Tamara Sztyma: Life and work of Enrico Glicenstein, Stockbridge, MA, 2014

 

Online: Matrikeldatenbank, Matrikelbuch 3, Akademie der Bildenden Künste München, 00568 Henryk Glicenstein, http://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884-1920/jahr_1889/matrikel-00568

Piotr Szubert: Henryk (Enoch, Enrico) Glicenstein (2003), auf culture.pl (polnisch), http://culture.pl/pl/tworca/henryk-enoch-enrico-glicenstein

1 Werk im Besitz des Nationalmuseums Warschau/Muzeum Narodowe w Warszawie, auf Muzeum Cyfrowe, http://cyfrowe.mnw.art.pl/dmuseion/docmetadata?id=13902&show_nav=true&full_screen=true# (alle aufgerufen am 12.1.2018)

 

Axel Feuß, März 2018

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    Enrico Glicenstein schnitzt einen Mandolinenspieler in Holz, The Sculptors Guild, New York, 29. September 1940.