Haben oder sein? Mit der Welle oder gegen den Strom? Magda Potorska im Gespräch mit Barbara Nowakowska-Drozdek
Barbara Nowakowska-Drozdek erinnert sich: „Im Dezember 1981 habe ich ein Protestschreiben gegen die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen unterzeichnet.“ Das von Peter Raina angeregte Schreiben, das in der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel” erschien, sowie unsere Teilnahme an den Protesten gegen das Kriegsrecht in Polen haben die Gründung der „Arbeitsgruppe Solidarność Berlin-West (AG-Solidarność)“ angestoßen, der ersten Vereinigung in Westdeutschland, die auf Seiten der polnischen Solidarność-Bewegung stand.
Die Veröffentlichung des Schreibens unter Angabe der Privatanschrift von Barbara und Wojciech Drozdek als Kontaktadresse führte dazu, dass sich nicht nur die Stadt Berlin und die Presse für die Eheleute interessierten, sondern auch die Polizei und diverse Nachrichtendienste. Da Gelder für die Polen-Hilfe nur von einer offiziell registrierten juristischen Person vereinnahmt werden konnten, wurde es erforderlich, die bis dahin spontanen Aktivitäten zu institutionalisieren. Die Hauptaufgabe der „AG-Solidarność“ bestand damit darin, die wohltätige Hilfe für die Verfolgten und die Geschädigten des Systems, vor allem für die internierten Solidarność-Funktionäre und deren Familien, zu organisieren und durchzuführen. Außerdem wurde die im Untergrund arbeitende Opposition mit heimlich eingeführten Schriften aus der Emigration und Druckutensilien versorgt, und es wurden Kontakte zu den Medien gepflegt. Darüber hinaus hat die Arbeitsgruppe der deutschen Öffentlichkeit Informationen über die Situation in Polen vermittelt.
Im Februar 1982 nahmen Barbara Nowakowska-Drozdek und Krzysztof Kasprzyk an einem Treffen mit deutschen Gewerkschaftlern und Mitarbeitern von VW in Wolfsburg teil, bei dem sie von Joachim Trenkner, einem Journalisten des SFB und Reporter des Magazins „Kontraste”, begleitet wurden. Kein Geheimnis ist, dass sich die deutschen Gewerkschaften anders als die französischen damals eher reserviert gezeigt haben. Die deutschen Arbeiterorganisationen kamen erst Jahre später nach einer tiefergehenden, objektiveren Faktenbewertung dazu, den Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaftsbund „Solidarność“ (NSZZ Solidarność) regelmäßig (wenn auch diskret!) zu unterstützen, wobei es dabei hauptsächlich um die Bereitstellung technischer Hilfsmittel ging. Die Verhängung des Kriegsrechts in Polen löste dann jedoch einen scharfen Protest des DGB aus, der wiederum in schnelle humanitäre Hilfe und in die Gründung des Vereins „Solidarität für Polen– DGB e. V.“ in Düsseldorf mündete.
Unabhängig von seiner politischen Tätigkeit war der Berliner Verein vom Geist des Humanismus geprägt. Barbara Nowakowska-Drozdek und ihr Ehemann Wojtek haben an der Universität Łódź studiert und sind beide Polonisten; Krzysztof Kasprzyk, ihr engster Mitarbeiter, von Hause aus Geograph, ist Journalist und Dichter, und war unter anderem Kulturbeauftragte der Studentenbewegung im Danziger Kult-Club „Żak“. Unter diesen Voraussetzungen gab die Arbeitsgruppe ihre eigene Zeitschrift „Przekazy“ (Übermittlungen) heraus, sie richtete Ausstellungen zugunsten der Solidarność, auch mit Künstlern aus der DDR, sie präsentierte die Kunst von Andrzej Krauze und sie veranstaltete Konzerte des Liedermachers der Solidarność, Jacek Kaczmarski, die bald zu wichtigen Events im Kulturkalender West-Berlins wurden. Dies fand auf dem Fundament der „Arbeit an der Basis” statt, die in der Einrichtung einer Sonntagsschule mit Polnischunterricht für Kinder sowie in der Gründung einer Bibliothek mit Veröffentlichungen von Emigranten bestand.
Die Institutionalisierung der ursprünglich spontanen, politisch aber uneinheitlichen Aktivitäten in einer festen Organisation ließ die Arbeitsgruppe erstarren, wobei die Differenzen durch unterschiedlich motivierte Prioritäten und die Machtkämpfe in der Gruppe schließlich zu ihrer Spaltung führten.
„Die Institutionalisierung hat uns verändert - wir wurden desillusioniert und demotiviert“, sagt Barbara Nowakowska-Drozdek. „Diese Erkenntnis und mein Verantwortungsgefühl für mein Kind waren die Gründe, warum ich mein Engagement eingestellt habe. Und obwohl ich die Wahl zur Vorsitzenden der Arbeitsgruppe gewann, habe ich das Amt nicht angetreten – den Vorsitz übernahm mein Mann. Ich habe ihn dann in seiner öffentlichen und in seiner konspirativen Arbeit unterstützt, zog mich jedoch als unabhängige Aktivistin aus der Berliner Politikszene zurück. Erst am 4. Juni 1989, anlässlich der ersten halbwegs freien Wahlen in Polen, trat ich in der Polnischen Militärmission (Polska Misja Wojskowa) in Berlin als Vertrauensfrau der Solidarność auf.“