Zwangsarbeit in einer Tarnfabrik des Bosch-Konzerns bei Hildesheim

Produktion von Magnetzündergehäusen in den Trillke-Werken, Hildesheim, Foto der Firma, etwa 1942–1945
Produktion von Magnetzündergehäusen in den Trillke-Werken, Hildesheim, Foto der Firma, etwa 1942–1945

Schattenfabriken
 

Das Hildesheimer Bosch-Werk war eins von zwei großen „Ausweichwerken“ des Stuttgarter Bosch-Konzerns. Er war Marktführer bei der Ausrüstung von Kraftfahrzeugen und Flugmotoren und damit ein Schlüsselbetrieb für die Aufrüstung des Deutschen Reiches. Vor allem die Einspritzpumpen, Anlasser und Magnetzünder von Bosch waren unersetzlich für die Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten. Daher wandten sich Vertreter der neuen Regierung bereits 1933, im Jahr der Machtübernahme, an Robert Bosch. Der Raum Stuttgart, in dem der Bosch-Konzern seine zentralen Fabriken betrieb, galt wegen seiner Nähe zu Frankreich als militärisch schwer zu verteidigen. Deshalb solle das Unternehmen neue Fertigungsstätten in einer sicheren Region im Innern Deutschlands errichten.[2] 

Bosch stimmte zu und gründete in den folgenden Jahren zwei geheime Rüstungsfabriken im Landesinneren: Zunächst ein Unternehmen mit dem Tarnnamen Dreilinden Maschinenbau GmbH in Kleinmachnow bei Berlin, wo elektronisches Flugzeugzubehör für die Luftwaffe produziert wurde.[3] Zwei Jahre später beschloss Bosch, auch in Hildesheim ein Ausweichwerk zu betreiben. Dieses Werk mit dem harmlosen Namen Elektro- und Feinmechanische Industrie GmbH (ELFI) diente ebenfalls ausschließlich der Rüstungsproduktion. 

Bosch war nicht das einzige Unternehmen, das in den ersten Jahren der NS-Herrschaft Verlagerungswerke errichtete. Die Nationalsozialisten verfolgten von Anfang an eine Politik der Duplizierung und Dezentralisierung von Rüstungsfirmen, schrieb ein US-amerikanischer Berichterstatter 1943. „Es war nicht gestattet, weitere Fabriken bei schon existierenden Anlagen zu bauen, vor allem dann nicht, wenn diese in den angreifbaren westlichen Regionen Deutschlands lagen.“[4] Schlüsselunternehmen der Rüstungsindustrie wurden vielmehr dazu angehalten, Zweitanlagen zu bauen. Diese „Schattenfabriken“, wie die Amerikaner sie nannten, entstanden unter größter Geheimhaltung und in enger Zusammenarbeit mit den NS-Behörden.[5]

In der Dreilinden Maschinenbau GmbH (DLMG) lief bereits 1935 die Produktion an. Auch für die Motorisierung des Heeres sollte Bosch ein Ausweichwerk fern von den Grenzen des Deutschen Reiches errichten. Im Frühjahr 1937 trat das Heereswaffenamt daher erneut an die Firma heran. Aber während Bosch den Bau der DLMG aus eigenen Mitteln bestritten hatte, bot man dem Unternehmen für das Ausweichwerk in Hildesheim ein ausgesprochen attraktives Finanzierungsmodell an, das den Konzern finanziell entlastete und seine Risiken minimierte: das sogenannte Montanschema. Danach erhielt ein Privatunternehmen von der zuständigen Heeresdienststelle des Oberkommandos des Heeres den Auftrag, auf Kosten des Reiches eine Rüstungsfabrik zu bauen. Eigentümerin des neuen Werks war die Verwertungsgesellschaft für Montanindustrie GmbH, eine Treuhandgesellschaft des Heereswaffenamtes. Sie verpachtete die fertigen Werksanlagen an die beauftragte Privatfirma. Diese wiederum gründete dazu eine Tochtergesellschaft und verpflichtete sich, die neue Fabrik mit dem erforderlichen Know-how einzurichten und zu betreiben. Auf diese Weise erreichte das Heereswaffenamt, dass private Industriekonzerne für militärisch wichtige Produkte Fabriken auch dann betrieben, wenn diese langfristig nicht rentabel zu sein schienen. Außerdem wurden diese Fabriken bei der Zuteilung von Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie bevorzugt. Bis Kriegsende wurden 119 solcher Betriebe eingerichtet.

Um die Tarnfabrik vor der Entdeckung durch Aufklärungsflugzeuge zu schützen, wurde ELFI – ebenso wie auch die DLMG – im Wald errichtet; die Gebäude waren relativ klein und sollten den Eindruck einer Wohnsiedlung erwecken. Mit ihren Laternenaufbauten und Sheddach-Konstruktionen entsprachen die aus rotem Backstein gemauerten hellen und gut belüfteten Hallen den damals modernsten Standards. Eine der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen beschrieb die Fabrik folgendermaßen: 

„Sie war im tiefsten Wald gelegen, so gebaut, dass auf jedem Dach ein kleiner Wald wuchs. Keine Bäume, aber Sträucher. Und diese Sträucher verdeckten zusammen mit den großen Bäumen die Sicht. Deswegen ist die Fabrik niemals getroffen worden, obwohl es oft Bombardierungen gab. Das Gelände wurde sehr schön gehalten. Ich hoffe, dass die Fabrik bis heute steht – ich weiß nicht, was heute dort gemacht wird. Aber die Deutschen hätten etwas, das so schön war, bestimmt nicht zerstört.“[6] 

Tatsächlich lässt Bosch noch immer in den Backsteinhallen aus den 1930er Jahren fertigen. Im ehemaligen „Gefolgschaftshaus“ befindet sich jetzt die Kantine.

Im Laufe des Krieges wurde das Werk erweitert und Ende 1942 nach einem nahegelegenen Bach in Trillke-Werke GmbH umbenannt. Die Fabrik erhielt einen eigenen Bahnanschluss, mit dem die strategisch wichtigen Aggregate an die Unternehmen geliefert wurden, die Panzer produzierten. Vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion und infolge des „Adolf-Hitler-Panzerprogramms“, das eine Verdopplung der bisherigen Planziele bei der Panzerproduktion vorsah, expandierte die Produktion im Hildesheimer Wald. Ab Oktober 1943 nahmen die Trillke-Werke eine Monopolstellung ein: Sie rüsteten sämtliche neuen Panzer der Wehrmacht mit Starterelementen und anderem elektrotechnischen Zubehör aus.[7]

 

[2] Vgl. Angela Martin: „Ich sah den Namen Bosch“. Polnische Frauen als KZ-Häftlinge in der Dreilinden Maschinenbau GmbH. Berlin 2002 (dt./pl.), S. 215; Johannes Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 195.

[3] Vgl. Martin, „Ich sah den Namen Bosch“, S. 217.

[4] Department of Justice, War Division, Economic Warfare Section, Report on the Activities of Robert Bosch GmbH in the Fuel Injection Industry, submitted by James B. Adams Jr., June 15 1943, S. 36. National Archives, NDD 812045. Übers. A.M.

[5] Vgl. ebd.

[6] Helena Bednarska im Gespräch mit Angela Martin und Ewa Czerwiakowski, 25. September 2007 in Opole, www.zwangsarbeit-bosch.de/zeitzeugen/helena-bednarska/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2025). 

[7] Vgl. Bähr, Bosch im Dritten Reich, S. 202.

Mediathek
  • Produktion von Magnetzündergehäusen in den Trillke-Werken

    Hildesheim, Foto der Firma, etwa 1942–1945
  • Polnische Zwangsarbeiterinnen auf dem Weg zur Kirche

    Hildesheim, Foto: privat, etwa 1942
  • Arbeitsbuch von Jan Skórski, damals 12 Jahre alt

    Ausgestellt am 05.01.1945, Hildesheim (Jans Mutter wollte ihren Sohn vor der Zwangsarbeit schützen und fälschte daher sein Geburtsdatum.)
  • Halle E 15, Anbau

    Hildesheim, Foto der Firma, 20.04.1942
  • Leere Werkshalle im Werk Hildesheim

    Foto der Firma, 13.01.1942
  • Das Projekt „z.B. Bosch. Zwangsarbeit im Hildesheimer Wald“ der Berliner Geschichtswerkstatt wurde von Angela Martin, Ewa Czerwiakowski und der Webdesignerin Anke Schröder entwickelt.

    Mit Erinnerungen von ehemaligen Zwangsarbeiter:innen, die in kurzen Videos zu Wort kommen. Bislang unveröffentlichte Fotos, Dokumente und Erinnerungsberichte sowie Texte zur Geschichte der Hildesheime...