Stanisław Kubicki
Stanisław Kubicki beginnt 1908 an der Technischen Hochschule Berlin mit dem Studium der Architektur, wechselt jedoch noch im selben Jahr an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, um sich dort der Philosophie und den Naturwissenschaften zu widmen. Im Ersten Weltkrieg wird er zur deutschen Infanterie einberufen und 1915 an der Ostfront verwundet. 1915 und 1916 stellt der Künstler seine ersten Arbeiten in Posen aus und tritt in Kontakt mit der Zeitschrift „Die Aktion”. Das von Franz Pfemfert von 1911 bis 1932 herausgegebene Periodikum bringt führende Vertreter des deutschen Expressionismus zusammen. Im Dezember 1916 heiratet Kubicki die deutsche Künstlerin Margarete Schuster. 1917 begegnet er Jerzy Hulewicz, eine Gallionsfigur des polnischen Expressionismus. Hulewicz war Maler, Dramatiker, Kunsttheoretiker sowie Mitbegründer und Herausgeber der Kunstzeitschrift „Zdrój” (Die Quelle), der die 1918 entstandene Posener Künstlergruppe „Bunt” eng verbunden war, die es bis 1920 gab. Die Gruppe setzte sich aus Künstlern verschiedener Provenienz zusammen, darunter Poeten, Maler und Graphiker. Zu ihren namhaftesten Mitgliedern gehörten Adam Bednarski, der Theoretiker der Gruppe, Jerzy Hulewicz, Władysław Skotarka, August Zamoyski, der einzige Bildhauer in der Gruppe, Stanisław und Margarete Kubicki. Der Name der Gruppe „Bunt” (Aufruhr/Revolte) war programmatisch gewählt. Die Mitglieder einte ihr Protest gegen die akademische Kunst und die konventionellen Darstellungsformen. Die von Hulewicz herausgegebene Zeitschrift orientierte sich erst an der Sezession, bis Kubicki, dessen ästhetische Kriterien und Sehgewohnheiten sehr von den deutschen Zeitschriften des Expressionismus, „Die Aktion” und „Den Sturm”, geprägt waren, ihr Profil schärfte.
Anfang Juni 1918 fand in den Berliner Redaktionsräumen der Zeitschrift „Die Aktion” eine Ausstellung statt, die dem Schaffen der Künstler der Posener Gruppe „Bunt” gewidmet war. Zugleich erschien am 1. Juni 1918 eine Sonderausgabe „Der Aktion” über die polnische Kunst. Sie enthält Holzschnitte von Stanisław und Margarete Kubicki sowie von Władysław Skotarek, Jerzy Hulewicz und Stefan Szmaj. [Abb. 4] Durch Kubickis Beziehungen zu den deutschen Expressionisten entstanden rege Kontakte zu den Vertretern der deutschen Avantgarde. In dieser Zeit lernt er Raoul Hausmann, Franz Wilhelm Seiwert und Otto Freundlich kennen, während die Posener Gruppe „Bunt” Kontakte zu den Mitgliedern der Künstlergruppe „Jung Idysz” aus Lodz unterhielt, beispielsweise zu Jankel Adler, den Kubicki später mehrfach in Deutschland trifft. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs pflegen Stanisław und Margarete Kubicki noch engere Kontakte in der deutschen Künstlerszene. 1919 lernt Stanisław Kubicki durch Otto Freundlich den Maler Otto Dix sowie die Vertreter der Dresdener Avantgarde kennen. Zu seinen engen Freunden zählen auch die Berliner Dadaisten, unter anderem Georg Grosz, Johannes Baader und Raoul Hausmann.
Zu Beginn der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts nimmt Margarete Kubicki eine Stelle als Hilfslehrerein an einer Schule in Berlin-Neukölln auf. Stanisław Kubicki kommt mit den Vertretern der Rheinischen Künstlerszene in Kontakt, unter anderem mit den Mitgliedern der Gruppe „Kölner Progressive”. In dieser Zeit kristallisieren sich auch seine von revolutionären Ideen und anarchistischen Bewegungen beeinflussten politischen Positionen heraus. Vom 29. bis zum 31. Mai 1922 nimmt der Künstler an einem Kongress der „Union internationaler fortschrittlicher Künstler” in Düsseldorf teil. Im selben Jahr erscheint das „Zweite Manifest der Kommune”, das auch in der Zeitschrift „Die Aktion” veröffentlich wird. Hierbei handelt es sich um eine spätere Fassung der im März desselben Jahres verbreiteten ersten Grundsatzerklärung der temporären anarchistischen Künstlergruppe „Kommune”. Die Unterzeichner des Manifests, unter anderem Stanisław Kubicki, Raoul Hausmann und Otto Freundlich, riefen die fortschrittlichen Kunstkreise dazu auf, ihre persönlichen Ambitionen und ihre traditionellen politischen Überzeugungen zu Gunsten der „Internationalen Avantgarde” aufzugeben. Nach Auffassung von Lidia Głuchowska, die Kubickis Schaffen erforscht, sind die politischen Ansichten des Künstlers jedoch weit entfernt von Deklarationen im Stile der Kommunistischen Partei und stellen eher einen Versuch dar, künstlerische Ideen mit dem Anarchosyndikalismus der Kreise zu vereinbaren, mit denen er in Berührung kam[1].
[1] Siehe: Lidia Głuchowska, Avantgarde und Liebe. Margarete und Stanisław Kubicki 1910-1945, Gebr. Mann Verlag, Berlin 2007, S. 46.