Roma Ligocka: Das Mädchen im roten Mantel in „Schindlers Liste“
Roma wird am 13. November 1938 als Tochter ihrer jüdischen Eltern Teofila (geb. Abrahamer) und David Liebling in Krakau geboren. Sie ist noch keine zwei Jahre alt, als sie mit ihrer Familie ins Krakauer Ghetto umgesiedelt wird, wo sie die prägenden Jahre ihrer frühesten Kindheit verbringen soll. In ihrem kleinen roten Mantel ist Roma der einzige Farbtupfer im kalten und grauen Ghetto, wird liebevoll von Freunden und Familie „kleine Erdbeere“ genannt. Die Lebensumstände in der Wohnung, die sich die Familie mit mehreren anderen Bewohnern teilen muss, sind unerträglich. Kein Platz, Gestank, kaum Lebensmittel. Warum sich ihr Leben allerdings in Hunger, Armut und Angst darstellt, während sie durchaus wahrnimmt, dass es ein Leben außerhalb des Ghettos gibt, versteht die Dreijährige nicht. Wie sollte sie auch. Als „verstecktes“ Kind kennt sie nichts anderes als das Elend und die tägliche Angst vor den deutschen Soldaten im Ghetto:
„Sie brüllen, wir gehorchen. Wer nicht gehorcht, wird getötet.“
Der Terror gegen die Ghettobewohner spitzt sich weiter zu, immer mehr Menschen werden deportiert:
„Wir warten immer, auf nichts. Wir warten Tag und Nacht. Keiner weiß, was morgen sein wird. Wir werden aussortiert, wie eine Ware werden wir dauernd aussortiert. Straße für Straße, Haus für Haus werden wir weiter eingekreist. (…) Menschen gehen und kommen einfach nicht wieder. Kaum hat man sich an ein Gesicht gewöhnt, ist es schon weg.“
Erst wird Romas Großmutter, später auch ihr Vater ins Konzentrationslager deportiert. Schließlich gelingt es Mutter und Tochter aus dem Ghetto zu fliehen. Von März 1943 bis zum Kriegsende verstecken sie sich mit falschen Papieren bei einer polnischen Familie und entkommen sie so der Deportation ins Vernichtungslager:
„Meine ganze Kindheit hatte ich bei den Kierniks verbracht, auf Zehenspitzen, so scheint es mir heute. Es gab Puppen und Theaterspiele, Bücher, Musik, Stifte und Papier, und so etwas wie ein Zuhause; auch wenn nichts davon mir gehörte. Es war ein geliehenes Lebens, eine geliehene Kindheit bei einer geliehenes Familie. (…) Danach war die Kindheit vorbei.“
Bei Kriegsende ist Roma sechs Jahre alt. In den kommenden Wochen finden sich die wenigen Überlebenden aus dem Bekannten- und Familienkreis allmählich wieder in Krakau zusammen. Dabei sieht sich die kleine Roma mit der psychischen Belastung ihres Umfeldes konfrontiert, die sie als Kind nicht richtig einzuordnen und zu verarbeiten weiß:
„Auch die Geschichten der Erwachsenen habe ich seit jeher im Ohr und kann sie nie wieder vergessen. Es nutzte nichts, dass ich mir die Ohren zuhielt, unter das Bett kroch, mir die Decke über den Kopf zog. Es gab kein Entrinnen, es gab kein Erbarmen für uns Kinder. Wir wurden ungewollt zu Zeugen gemacht von denen, die Zeugnis ablegten.“
Die Überlebenden der Konzentrationslager erscheinen ihr, als seien sie verrückt geworden. Ihren Vater, der das KZ Plaszów und Auschwitz überlebt und nach Krakau zurückkehrt, erkennt sie nicht einmal wieder. Ihre engste Vertraute ist in dieser Zeit ihre Mutter. Freunde findet sie in dem gleichaltrigen Ryszard Horowitz und in ihrem sechs Jahre älteren Cousin Roman Polański, mit denen sie sich auf abenteuerliche Streifzüge durch die Stadt begibt. Langsam richtet sich Roma wie auch die anderen Überlebenden ein im Leben der Nachkriegszeit: Roma geht zur Schule, macht das Abitur und studiert schließlich Malerei und Bühnenbild an der renommierten Akademia Sztuk Pięknych im. Jana Matejki in Krakau. Das Trauma der frühen Jahre soll sie aber ihr ganzes Leben begleiten.
[1] Tobias Ebbrecht: Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis. Filmische Narrationen des Holocaust, S. 288.