Polnische Zwangsarbeitende in Witten 1940–1945
Erinnerungskultur im Wandel der Zeit
Eine systematische Aufarbeitung der NS-Zwangsarbeit hat in Deutschland während der ersten vier Jahrzehnte nach Kriegsende nicht stattgefunden. Über den Einsatz ausländischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurde kaum gesprochen – das Thema rückte in den Hintergrund und die historische Forschung konzentrierte sich auf andere Aspekte des Nationalsozialismus und des Kriegsverlaufs. Erst ab den 1980er Jahren beschäftigten sich Historikerinnen und Historiker zunehmend mit der Thematik, sodass diese langsam Eingang in das kollektive Gedächtnis fand.
Auch in Witten waren die ersten Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von einem Be- und Verschweigen der nationalsozialistischen Stadtgeschichte geprägt, in denen das Thema der Zwangsarbeit und die Geschichte des KZ-Außenlagers in Witten-Annen nicht aufgearbeitet wurden – es setzte ein sogenanntes kommunales Vergessen ein. Beispielsweise blieben Nachforschungen ehemaliger Zwangsarbeitenden, die in den ersten Jahren nach Kriegsende nach Witten zurückkamen, um das Geschehene zu verarbeiten und das Schicksal ihrer Peiniger zu erfahren, erfolglos: Der Großteil der befragten Wittener Bevölkerung konnte oder wollte sich an die Ereignisse rund um das KZ-Außenlager nicht erinnern – der Wille nach einem Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit trat in diesem Beispiel deutlich zum Vorschein. Dass die Wittener Bevölkerung jedoch nichts von den Zwangsarbeitenden gewusst habe – davon könne laut dem Historiker Ralph Klein, der zur NS-Zwangsarbeit in Witten geforscht hat, nicht die Rede sein. „Alle haben davon gewusst“[18], so lautet die Schlagzeile eines Presseartikels zu der im Jahre 2015 erschienenen Studie des Historikers über das KZ-Außenlager in Witten-Annen. Klein weist darauf hin, dass die Wittener Bürgerinnen und Bürger in den Kriegsjahren immer wieder mit den Zwangsarbeitenden in Kontakt kamen – entweder durch die Arbeit selbst oder auf dem Weg von den Lagern zu den Einsatzorten:
„Die Anwohner(innen) konnten die Lager-Insassen, viele von ihnen Kollegen, täglich den rund 600 Meter langen Weg vom Lager (…) zum Haupteingang der Ruhrstahl AG in der Stockumer Straße entlanggehen sehen. Das Werk lag im Zentrum des Ortsteils, nahe seines Bahnhofs und seines Marktplatzes. Die evangelische und katholische Kirche, Postamt und Volksschule waren nahe bei. Die Stockumer Straße war von Gaststätten, Geschäfts- und Wohnhäusern gesäumt.“[19]
Trotz des Wissens um die Zwangsarbeitenden und das KZ-Außenlager blieb die Aufarbeitung ihrer Geschichte lange Zeit aus. Vielmehr beschränkte sich die spärliche Auseinandersetzung mit den beiden Themen überwiegend auf die notwendigen strafrechtlichen Verfolgungen insbesondere der Lagerführung, was auf einer bürokratischen und juristischen Ebene behandelt wurde. Ansonsten wurden einzelne Baracken des ehemaligen Lagers mit der Genehmigung des Wittener Bauamtes ab dem Sommer 1945 zu Räumlichkeiten eines Kindergartens umfunktioniert. Mit der Zeit wurden die Baracken nach und nach abgerissen und auf Teilen des ehemaligen Lagergeländes entstanden zunehmend Wohngebäude oder Parkplätze.[20]
Erst 1984 riefen die Nachforschungen einer 10. Klasse des Wittener Albert-Martmöller-Gymnasiums jenen Teil der NS-Geschichte wieder in das Bewusstsein der Stadt. Als Antwort auf die Arbeit der Schulklasse beschloss die Stadt Witten ein Jahr später die Errichtung einer Gedenktafel zur Erinnerung an das KZ-Außenlager und dessen Insassen:[21]
„Auf diesem Gelände befand sich vom September 1944 bis April 1945 ein Aussenkommando des Konzentrationslagers Buchenwald. An die hier inhaftierten Menschen und an die an ihnen begangenen Verbrechen soll diese Gedenkstätte erinnern.“ (siehe Bild 3)
2013 kamen zusätzlich zwei weitere Tafeln hinzu, die über die NS-Zwangsarbeit im Stadtgebiet informieren (siehe Bild 4 & 5). Sowohl der Gedenkstein als auch die Informationstafeln stehen heute auf der restlichen Fläche des ehemaligen Lagergeländes, die seit 1992 unter Denkmalschutz steht (siehe Bild 1 & 7). Bis heute konnte jedoch, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, die Einrichtung einer zentralen Gedenkstätte an dem Ort nicht realisiert werden.
Natalia Kubiak, Januar 2020
[18] Vgl. „Alle haben davon gewusst“, in: https://www.waz.de/staedte/witten/historiker-alle-haben-davon-gewusst-id10974757.html, zuletzt abgerufen am 30.12.2019.
[19] Klein, Ralph S. 19.
[20] Vgl. ebd., S. 87 ff.
[21] Vgl. ebd., S. 149 f.