Polnische Opfer im SS-Sonderlager Hinzert

Gedenkstätte SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert
Gedenkstätte SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert

Unter den Häftlingen gab es auch etwa 100 Juden, sowie Sinti und Roma, die überwiegend nicht aus rassistischen, sondern aus politischen Gründen nach Hinzert verschleppt worden waren. Etwa ein Drittel der jüdischen Häftlinge wurde auf brutalste Weise ermordet, im Falle der Sinti und Roma ließ sich bisher nur ein Mord an einem Roma-Häftling belegen.[5] Ein 1895 im polnischen Weislitz (Kreis Petrikau) geborener Jude, der nach Hinzert verbracht wurde, war Aron Silberstein. Er galt als staatenlos und wohnte in den 1940er Jahren in der Stadt Luxemburg. Silberstein musste beim Bau der Reichsautobahn bei Wittlich Zwangsarbeit leisten. Am 25. Februar 1942 wurde er verhaftet unter dem Vorwurf, keinen „Judenstern“ getragen zu haben. Am 10. März wurde er nach Hinzert transportiert. Nach zwei Monaten Haft im SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert wurde er von der SS ins Konzentrationslager Buchenwald überführt und dort am 28. Mai 1942 ermordet. Sein Sohn Adolf (geb. 1928) wurde im April 1942 ins Konzentrationslager Izbica (Woiwodschaft Lublin) deportiert.[6] Die Ehefrau Esther kam im Juli 1943 in Theresienstadt ums Leben; über das weitere Schicksal der beiden Töchter, die im Mai 1944 im Alter von zehn und zwölf Jahren von dort in ein bisher unbekanntes Lager verbracht wurden, ist nichts bekannt.[7]

Im Juli 1941 wurde durch den Reichsführer-SS, Heinrich Himmler das Verfahren zur Androhung von Strafen, bis hin zur Todesstrafe, von polnischen Zwangsarbeitskräften bei vermeintlichen Vergehen geändert. Der Bestrafung sollte nun eine „rassische Beurteilung“ vorausgehen. Deren Ziel war die Feststellung einer möglichen „Wiedereindeutschungsfähigkeit“. So sollten aus Sicht der Nationalsozialisten so viele Arbeitskräfte wie möglich erhalten bleiben.[8]  Übergeordnetes ideologisch-rassistisches Ziel war ein „erwünschter Bevölkerungszuwachs“ für den „deutschen Volkskörper“, bei gleichzeitiger Entfernung der entsprechenden „rassisch wertvollen Familien“ aus den Eliten des „polnischen Volkstums“.[9] Das SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert wurde der zentrale Ort für die „Eindeutschung“ polnischer Männer im nationalsozialistischen Lagersystem der.

Doch polnische Zwangsarbeiter wurden, ebenso wie viele weitere aus West- und Osteuropa, auch aus anderen Gründen als dem „Wiedereindeutschungsverfahren“ nach Hinzert verschleppt. Stanislaus Kowalski, geboren 1912 in Hörde bei Dortmund, wurde nach Hinzert ins „Arbeitserziehungslager“ gebracht. Er und seine Eltern waren sogenannte Ruhrpolen. Die Familie ging in die Heimat der Eltern, nach Wielkopolska (Großpolen) zurück, wo Kowalski zuletzt im Kreis Śrem (Schrimm) lebte; er war verheiratet und hatte ein ca. 1936 geborenes Kind. Einige Monate nach der Besetzung Polens gelangte er unter ungeklärten Umständen Ende Mai 1940 als Arbeiter zur Grube Else II der Anhaltischen Kohlenwerke AG in Mücheln (südwestlich von Halle/Saale). Bereits ab September 1940 leistete Stanislaus Kowalski Zwangsarbeit im Westen des Reichs, auf mehreren Bauernhöfen. Im November 1942 floh er von seiner letzten Arbeitsstelle in Bad Kreuznach, da er die schwere Arbeit fern der Familie nicht mehr aushielt. Bald darauf wurde er aufgegriffen und zur Gestapo Koblenz gebracht, von dort schließlich am 17. Dezember 1942 nach Hinzert ins „Arbeitserziehungslager“. Am 25. Januar 1943 wurde Stanislaus Kowalski von Hinzert nach Natzweiler transportiert, wo er in einem sehr schlechten Allgemeinzustand ankam. In den Häftlingskrankenbau wurde er dennoch erst eine gute Woche später, am 3. Februar, aufgenommen. Dort starb er am 5. Februar 1943.[10]

 

[5] Bader, Uwe; Welter, Beate: Das SS-Sonderlager/KZ Hinzert, in: Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme, München 2007, S. 17–74, hier S. 24.

[6] Der vor der deutschen Besatzung ganz überwiegend jüdische Ort wurde als Ghetto Izbica zu einem Durchgangslager für die Vernichtungslager Bełżec, Sobibór und Treblinka.

[7] Gedenkstätte SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert, Ständige Ausstellung.

[8] Klormann, Felix: „Eindeutschungs-Polen“ im SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert, in: Grotum, Thomas (Hrsg.), Die Gestapo Trier. Beiträge zur Geschichte einer regionalen Verfolgungsbehörde, Köln u. a. 2018, S. 115–128, hier S. 115–117.

[9] Schreiben des Reichsführers SS an die Höheren SS und Polizeiführer vom 3.7.1940 mit der Anordnung über den Einsatz von eindeutschungsfähigen Polen, in: United States Holocaust Memorial Museum (USHMM), RG-15.015 M, 259, zitiert in: Heinemann, Isabel: Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003, S. 282.

[10] Vgl. Hennig, Joachim: Stanislaus Kowalski. „Tod durch Abgang!“ (Konzentrationslager Natzweiler-Struthof), der das Schicksal von Stanislaus Kowalski recherchierte und darauf aufmerksam machte. https://mahnmalkoblenz.de/index.php/2013-12-12-02-07-02/die-personentafeln/230-088-stanislaus-kowalski-aus-grosspolen-in-bad-kreuznach (12.1.2022). Die historischen Stationen lassen sich an verschiedenen Dokumenten aus dem Online-Archiv des Internationalen Suchdienstes (ITS) Arolsen nachvollziehen. S. etwa Der Lagerarzt K.L. Natzweiler an Politische Abteilung des K.L. „Tod des Polen Nr. 2280 Kowalski, Stanislaus“, Natzweiler 5.2.1943, in: ITS Online Archives 01012902 oS/Dok. 3190270.

Mediathek
  • SS-Offiziere inspizieren das Lager Hinzert

    rechts: Kommandant Hermann Pister, um 1940-41
  • Teil des ehemaligen Häftlingsfriedhofs im Lager Hinzert

    Hier wurden die toten Häftlinge halboffiziell begraben oder auch nur verscharrt, zum Teil in Massengräbern
  • Untersuchungsbogen von Stanislaus Kowalski

    Häftling des Lagers Hinzert, hier Arbeitserziehungslager, vom 17.12.1942 (Ankunft) bzw. 25.1.1943 (Abtransport)
  • Untersuchungsbogen von Stanislaus Kowalski (zweite Seite / Rückseite)

    Häftling des Lagers Hinzert, hier Arbeitserziehungslager, vom 17.12.1942 (Ankunft) bzw. 25.1.1943 (Abtransport)
  • „Ehrenfriedhof“ im ehem. Lager Hinzert

    1946 von der französischen Militärverwaltung angelegt, 217 zuvor im Umfeld verscharrte Tote wurden hierhin umgebettet
  • Sühnekapelle auf dem Gelände des ehemaligen Lagers Hinzert

    1948 auf dem von der französischen Militärverwaltung angelegten „Ehrenfriedhof“ errichtet
  • Bronzeplastik des ehemaligen Häftlings Lucien Wercollier im Lager Hinzert

    1986 errichtet, drei abstrahierte Häftlingsgestalten, die sich über eine Feuerschale beugen
  • Gedenkstätte SS-Sonderlager/Konzentrationslager Hinzert

    Nach Jahrzehnten konnte schließlich 2005 das Dokumentations- und Begegnungshaus eröffnet werden