Polnische Briefe aus Vorkriegs, Kriegs- und Nachkriegszeit am Beispiel von Rheinland-Pfalz

Geschwister Ruth Becker, geb. Boos (1928) und Otto Boos (1926) am 16. Juni 2021 in Mauchenheim
Geschwister Ruth Becker, geb. Boos (1928) und Otto Boos (1926) am 16. Juni 2021 in Mauchenheim

Briefe als Zeugnisse polnischen Lebens in der Region
 

Zu den polnischen Spuren in Deutschland, die sich aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, aber auch aus der Nachkriegszeit und in den Jahren vor Kriegsausbruch bis heute in deutschen Haushalten erhalten haben, gehören private, von Polinnen und Polen in deutscher und polnischer Sprache verfasste Briefe. Bezogen auf die genannten Zeiträume lassen sich drei Gruppen ausmachen:

Zur ersten Gruppe gehören auf Deutsch geschriebene Briefe von Polinnen und Polen, die vor dem Krieg – im Rahmen saisonaler Arbeitsmigration nach Deutschland – mit Deutschen Korrespondenz unterhielten, um Aufenthalte zur Arbeit im Haushalt und in der Landwirtschaft zu regeln. Es ist dabei völlig unklar, wie viele dieser Briefe bis heute noch existieren. In jedem Fall handelt es sich aber um wertvolle Quellen, weil sie einen Einblick in den persönlichen Austausch zwischen Deutschen und Polinnen und Polen auf der Mikroebene geben, wie er noch bis kurz vor dem Ausbruch des Krieges möglich war und gelebt wurde.

Die zweite Gruppe betrifft auf Polnisch verfasste Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die Polinnen und Polen unter deutscher Besatzung an ihre Angehörigen, die in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten, schrieben. Auch hier ist nicht bekannt, wie viele solcher Briefe bis heute noch existieren. Dass diese Briefe verfasst, zensiert und schließlich auch zugestellt wurden, ist zunächst einmal nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich solche Briefe in Deutschland erhalten haben, denn dazu mussten die polnischen Adressatinnen und Adressaten, sofern sie den Krieg überlebt hatten, diese Briefe nach dem Krieg in dem landwirtschaftlichen Betrieb oder Haushalt, in dem sie hatten arbeiten müssen, zurückgelassen haben, anstatt sie mitzunehmen oder zu vernichten. Dann wiederum mussten die Personen, die in dem Haus lebten, diese Quellen, die sie selbst in der Regel ja nicht einmal lesen konnten, bewusst aufbewahrt haben, oder sie sahen zumindest davon ab sie zu entsorgen. Die Gründe, warum solche Quellen erhalten geblieben sind, sind sicherlich unterschiedlich und es lässt sich über sie vor allem spekulieren. So konnte es auch sein, dass man diesen Quellen gegenüber, sowohl auf polnischer als auch deutscher Seite, gleichgültig war, und dass man auch irgendwann vergas, dass sie überhaupt existierten. Vielleicht bestand in manchen Fällen auch ein Interesse daran, irgendwann einmal zu wissen, was in den Briefen steht, bis hin zu dem Bedürfnis eine Erinnerung an einen Menschen aufzubewahren, den man womöglich jahrelang jeden Tag gesehen, mit dem zusammen man gearbeitet, den man auch gerne gehabt hatte.

Die dritte Gruppe entstand in den ersten Jahren nach dem Krieg und meint Briefe, die in deutscher Sprache von ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, nun Displaced Persons, die sich in besetzten Nachkriegsdeutschland aufhielten, verfasst wurden, und an diejenigen adressiert waren, bei denen sie während des Krieges hatten arbeiten müssen. Diese dritte Gruppe steht damit am Anfang umfangreicher Korrespondenz zwischen Polinnen und Polen sowie Deutschen über Jahrzehnte, die einander noch aus Kriegszeiten gekannt hatten.

Während also Briefe der ersten und dritten Gruppe von Polinnen und Polen an Deutsche vor und nach dem Krieg verfasst wurden, so meint die zweite Gruppe Briefe, die Polinnen und Polen einander schrieben – sanktioniert vom NS-Regime. Zu beachten ist hierbei auch, dass mit den genannten Gruppen nur die eine Hälfte der Korrespondenz vorliegt. Um damit die vollständige Korrespondenz auswerten zu können, wäre es ein großes Verdienst, gelänge es, die Briefe ausfindig zu machen, die die deutschen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vor dem Krieg nach Polen, die polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des Krieges an ihre Angehörigen und die Deutsche wiederum nach dem Krieg an die Polinnen und Polen, die bei ihnen zuvor hatten arbeiten müssen, schrieben. Überhaupt wäre es interessant solche Briefe, die von Deutschland nach Polen geschickt wurden, auszuwerten. Hier wäre eine umfangreiche Recherche, nicht allein in Polen, notwendig.

Im Folgenden werden die genannten drei Gruppen auf Grundlage der überlieferten Briefe aus den rheinhessischen Landgemeinden Mauchenheim (historisch zur Pfalz gehörend), Gabsheim und Sprendlingen beispielhaft vorgestellt.

 

Mauchenheim
 

Die polnischen Spuren aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz haben als Teil einer deutsch-polnischen Migrationsgeschichte eine Vorgeschichte, bei der man nicht erst zum Durchzug polnischer Aufständischer nach der Niederschlagung des Novemberaufstands von 1831 zurückgehen muss, sondern zu ihr gehört auch die freiwillige polnische Arbeitsmigration nach Deutschland in der Zwischenkriegszeit, die damit im Gegensatz zu den Deportationen nach Deutschland zur Arbeit unter Zwang und Gewalt während des Krieges steht.

Die Arbeitsmigration der Zwischenkriegszeit betraf nicht allein etwa die Hunderttausenden von polnischen Landarbeiterinnen und Landarbeiter, die als saisonale Arbeitskräfte nach Ostpreußen kamen, sondern auch etwa die pfälzische Gemeinde Mauchenheim in der südwestdeutschen Provinz, die heute zum rheinhessischen Landkreis Alzey-Worms in Rheinland-Pfalz gehört. Dort, auf dem Hof der Familie Boos, hatte Władysława Kuźniak zuvor bereits gearbeitet, als sie am 3. Januar 1939 wieder einen Brief an die Familie schrieb, in der sie ihrer Freude Ausdruck verlieh, erneut in Mauchenheim arbeiten zu können und dieses Mal auch mit ihrer Schwester Cecylia zu kommen. Die Schwestern Władysława und Cecylia Kuźniak lebten in Siemkowice, bzw. Ożegów, Kreis Wieluń, südlich von Lodz (Łódź), als Władysława Kuźniak ihren auf den 3. Januar 1939 datierten Brief verfasste:

„Osegow [Ożegów] den 3.1.39

Sehr geehrte Herr Boos,

Zuerst teile ich ihnen mit das ich gesund und munter bin was ich auch von ihnen das selbe hoffe. Ihren Brief habe ich erhalten für welchen ich ihnen herzlich danke. Und ich habe mich sehr gefreut wie ich den Brief von ihnen erhalten habe und daraus gelesen das Sie schon die Papiere auf Arbeitsamt abgegeben haben, das ich wieder bei ihnen kommen kann. Sind Sie so gut und stelen Sie in dem Kontrackt welchen Tag und Monat Sie mir da zu Arbeit haben wollen. Da werde ich den Monat und den Tag zu ihnen zur Arbeit geschickt. Ich danke ihnen für das schöne schreiben. Sehr geehrte Herr Boos jetzt teile ich ihnen mit das bei uns von 15 Dezember 30 Dezember war großer Frost und Schnee. Aber jetzt von 30 Dezember ist milde Winter.

Ich denke jeden Tag an euch alle und die Tage sind mir sehr langweilig in Polen. Wenn mir der Tag am schnelsten käme das ich wieder zu ihnen kommen kann. Jetzt habe ich nicht eines zu schreiben als ich Sie ihre Frau und Ruth und Otto herzlich jetzt grüße ich ihre Großmutter und Lehne

Meine Liebe Ruth und Otto mir ist sehr langweilig ohne euch ich habe immer euch in gedanken.

Ich eure Wadi

Bitte gleich um Antwort.

Ich eure Wadi

Jetzt grüße ich und meine Schwester ihren Schwager Albert Knobloch und meine Schwester freut sich sehr das Sie in dies Jahr mit kommen kann. Wir freuen uns sehr das wir beide nicht weit von einander Arbeiten werden. Jetzt grüßen wir Herr Albert Knobloch mit Frau und Sohn herzlich grüße ganze Familie Knobloch. Bitte um Antwort.

Ich eure Zezilie und Wadi

Auf wiedersehen.“

 

Neben anderen Briefen ist auch noch ein Brief vom 6. März 1939 erhalten geblieben, indem sich Władysława und Cecylia Kuźniak an Ihre Arbeitgeber in Mauchenheim wandten.

„Siemkowice 6.3.[19]39

Herrn Boos

Ihren Brief habe Ich dankend erhalten und habe mich sehr gefreut das Sie mir den Brief beantwort haben. Bei uns ist alles in ordnung nur das Sie sich dort regeln damit so schnell wie möglich Ich bei Sie dort kommen kann denn mir ist hier sehr langweilich. Mier träumt jede Nacht das ich bei Sie dort bin. Bei uns ist sehr schönes Frühlingswetter so das die Arbeit im Felde geht

schreiben Sie mir bitte wenn Sie was neues hörten

Herzliche Grüße sendet

Wład[y]sława an

Herrn Boos und Frau und Ihren Kinder.

Heil Hitler

Herzliche Grüße an Leonhardt

Auch an Ruth und Otto.

Herrn Knoploch [Knobloch]

Vielen Dank für Ihren Brief das Sie mir Antwort geschrieben haben. Ich freue mir sehr Zella [Cecylia]

das Sie mir den Kontrag

schickten. Ich möcht so schnell

wie möglich bei Sie in Arbeit kommen. Hauptsache ist es das Sie gut geregelt haben. Herzliche Grüße

an Herrn und Frau

Hanz Groß Mutter

Groß Vater

von Wadi u Cyla

wann Sie was neues hörn schreiben Sie gleich.“

 

Ein solcher recht herzlicher Austausch war einerseits motiviert durch den Wunsch, auf polnischer Seite die materielle Situation durch die Arbeit im Haushalt und in der Landwirtschaft im Ausland zu verbessern und auf deutscher Seite bedingt dadurch, dass zusätzliche Arbeitskräfte benötigt wurden; er zeigt aber auch zwei selbstbestimmte Frauen, die dazu bereit waren, über einen längeren Zeitraum fernab der Heimat alleine, oder zumindest mit der Schwester im selben Ort, zu arbeiten. Eine solche Reise, verbunden mit neuen Menschen, die man kennenlernte, war sicherlich auch ein besonderes Erlebnis und dazu gehörte auch, dass Władysława Kuźniak an ihrer Arbeitsstätte freundlich aufgenommen worden war. Bei den in den Briefen erwähnten Kindern Ruth und Otto, handelt es sich um die Geschwister Ruth Becker, geb. Boos (geboren am 14. September 1928) und Otto Boos (29. September 1926), die noch heute Władysława in herzlicher Erinnerung behalten haben.

 

Gabsheim
 

Im rheinhessischen Gabsheim war der am 2. Mai 1917 im Kreis Tarnów (heutiges Südostpolen) geborene Pole Juliusz Górski als Zwangsarbeiter beschäftigt. Górski war von Beruf Gärtner und hatte vor seiner Verbringung nach Deutschland im polnischen Lemberg (polnisch Lwów, heute L’viv, Stadt in der Westukraine) in der Hauke-Bosak-Straße 20 gelebt. Seine Eltern hießen Kazimierz Górski und Eleonora (geborene Kwapniewska) Górska.[1] Zunächst brachte man ihn am 5. Februar 1940 ins schlesische Buselwitz (heute polnisch Bogusławice); über Stationen in „Buchenwalde“ (Buchenwald) und dann Limburg erreichte er am 1. Mai 1940 Gabsheim und war dort zunächst bei Jacob Michel I. in der Landwirtschaft beschäftigt, dann wurde er bald Johann Kreit, ebenfalls in Gabsheim, zugeteilt.[2] Während seiner Zeit auf dem Hof von Johann Kreit erhielt Juliusz Górski Briefe und Postkarten von seiner Familie, die sich bis heute erhalten haben und von Johann Kreits Sohn, Erich Kreit, aufbewahrt werden. Dazu gehört auch diese Postkarte vom 15. September 1943, die Eleonora Górska an ihren Sohn Juliusz schrieb:

„ABSENDER: E. Górska

Lemberg

Hauke-Bosaka 33/4

An Herrn

Górski Juliusz

bei J. Kreit

Gabsheim 89

Kr. Alzey in Rhein-Hessen

Geliebter Juleczek!

Wir haben die Karte von Dir bekommen. In letzter Zeit habe ich das Schreiben etwas schleifen lassen, aber nur noch drei Wochen muss ich bei […] arbeiten und dann werde ich mich um den Haushalt kümmern. Gestern war Herr Miecio Słodcki und [Kimczyk] da, wir haben die Zeit sehr nett mit Erinnerungen verbracht. Papa hatte zwei Wochen Urlaub, er fühlt sich gesund und er will Dir die ganze Zeit schon schreiben aber [in/im …]. Tante Cenia will uns besuchen kommen, aber ich weiß nicht, ob sie sich dazu entschließen wird.

Das Wetter ist bei uns sehr schön, allerdings ist es auch ziemlich kühl.

Ich küsse Dich herzlich mein geliebter Julu. Basia fragt Dich, ob Du Ihren Brief erhalten hast.

Deine Ma[ma]

15/9/943“

 

[1] Nachkriegszeitkartei, 3.1.1.1/ 03010101 oS/ 67214399 - Juliusz GÓRSKI/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives, https://collections-server.arolsen-archives.org/G/ITS_DATA_EXPORT_DP/03010101/0839/2900997/001.jpg. (zuletzt aufgerufen am 10.10.2021)

[2] Kriegszeitkartei (Melde- und Registrierkarten, Arbeitsbücher, individueller Schriftverkehr), DE ITS 2.2.2.1/ 02020201 oS/ 72426655 - JULIUS GORSKI/ ITS Digital Archive, Arolsen Archives, https://collections-server.arolsen-archives.org/G/wartime/02020201_1/1680/106707364/002.jpg. (zuletzt aufgerufen am 10.10.2021)

Und beispielsweise am 6. Juli 1941 erhielt Górski noch diesen Brief von seiner Mutter:

„Lieber Juleczek!

Heut habe ich einen Brief von Dir vom Mai erhalten, in dem Du über Arbeitskleidung für 9.60 RM [Reichmark] schreibst. Mein Juleczek, wir Polen haben keine Möglichkeiten Kleidung oder Stoff zu kaufen, sie gibt es für Karten und Karten zu bekommen ist sehr schwierig. Im Park kostet ordentliche Kleidung 1000 zł. Ich freue mich, dass du Dir zumindest Arbeitskleidung gekauft hast und wenn du kannst, wird Dir vielleicht Dein Gastgeber seine […] abgeben weil diese für Deutsche und für Polen, die auf Reichsgebiet wohnen, sind. Was Leszek betrifft, so ist er kein schlechter Mensch, so wie Du ihn kennst, aber ohne Wertefundament – seine Heimat ist da, wo es ihm gut geht. Das ist so eine Natur. Wundere dich nicht, in seiner Sippe gab es Juden und in der vierten Generation tritt der Egoismus hervor. Aber lassen wir ihn in Ruhe, auch solche Menschen gibt es auf der Welt. So spürt Tante Cenia heute im Alter, dass sie keine Kinder hat, denn, obwohl sie den Eltern Sorgen bereiten, so sind sie aber auch eine Erfüllung, allerdings ist es ohne sie in den späteren Jahren schlecht. Vielleicht gibt Gott, dass der Onkel wieder gesund wird und es ihnen wieder gut gehen wird  – materiell stehen sie nicht schlecht da. Onkel Niemkiewicz wurde schon lange verhaftet und die Tante hat sich mit den Söhnen auf dem Dorf versteckt und wie es jetzt ist, weiß ich nicht, weil sie nicht […] für Zivilisten ging. Zu bedauern ist dieses Lwów [Lemberg].

Julek, mache dir keine Sorgen weder um uns, noch um Jędruś. Wir sind Gott sei Dank gesund und bisher haben uns kein einziges Mal fremde Flugzeuge heimgesucht. Jędruś hat mir wieder 50 zl telegrafisch zusenden lassen. Du Julenek mach dir keine Sorgen, Du brauchst uns weder Geld noch Geschenke zu schicken, Du wirst sie irgendwann persönlich mitbringen. Ich habe dir 2 Bücher gekauft. „Pościg“ [Verfolgung] von Baxter [Frederick Schiller Faust] und „Na kawalerce“ [Originaltitel: The Small Bachelor] von Wodehouse. Beide sind gut. Lies sie und gib sie den anderen. Ich werde sie am 7.7. verschicken und ich denke, Du wirst sie in zwei Wochen erhalten. Basia hatte über 2 Tage eine Prüfung an der Staatlichen Kunstschule. Die Ergebnisse gibt es am 7.7 mittags. Die Prüfung fand in einem hübschen Gebäude statt.

Die Erste Arbeit war eine Perspektive von einer Kiste und einem Stuhl, die zweite Skulptur […] eines Kopfes, danach ein Kopf aus der Phantasie aus Lehm und eine schriftliche Aufgabe von der Basia und einige andere befreit waren, da sie den Kurs beendet haben. Hoch über der Tafel befand sich eine Aufschrift der älteren Schüler und Schülerinnen „Viel Erfolg bei der Prüfung wünschen Euch Eure Künstler-Kollegen“. Eine freundliche Stimmung. Basia ist überhaupt ein schönes Mädchen, sie hat etwas Angst alleine herumzulaufen, da sie häufig angesprochen wird und sie ist eine kleine Wilde und sie weiß sich nicht zu helfen. In dieser Schule sind auch Jungs also wird sie sich dran gewöhnen.

Wir Küssen dich herzlich Julu

Deine Ma[ma]

Kraków 6.7.[1]941“

 

Allein dieser Brief zeigt, wie viel diese Quellen über den Alltag im besetzten Polen preisgeben, beispielsweise, was den täglichen Mangel anbelangt, grade, wenn man bedenkt, dass es in ihnen nicht möglich war, frei zu schreiben.

 

Sprendlingen
 

In Sprendlingen schließlich bewahrt Eleonore Renner, die sich aus ihrer Kindheit noch an die polnischen Zwangsarbeiter in Sprendlingen (Rheinhessen) und bei sich zu Hause erinnert, einen Brief von Kazimierz Wojciechowski auf, der als Zwangsarbeiter während des Krieges auf Eleonore Renners elterlichem Hof arbeitete. Der auf den 29. Dezember 1947 datierte Brief macht deutlich, welch herzliches Verhältnis sich über die Zeit des Krieges zwischen den Familienangehörigen und Kazimierz Wojciechowski entwickelt hatte:

„Fulda aus der Bleidorn Kaserne Block E Pokoj 40

An:

Französische Zone

Philipp Schnell

Sprendlingen, Kr. Bingen/Rhein

Schäfergasse 5

Fulda. den. 29.12.47

Liebe Familie Schnell!

Ich bedancke mich sehr über Ihren lieben Brief und über die beilage des Scheines, ich habe sehr gefreut und aus dem Brief ersehn das es euch noch sehr gut geht. Der Josef der ist schon lange Daheim, nur ich bin noch in Fulda, und wie lange das weiß ich noch nicht wir können jeden weg kommen zurück zur Kompagnie. Und jetzt noch eine frage wie geht Ihrer Tochter und Hanna u Frau Renne[r] Frau Lina. Sind sie noch alle gesund was ich von mir noch sagen kann. Ist Philipp schon daheim oder noch nicht. Wie habt Ihr das Weihnachtsfest erlebt. Von mir kann ich nur sagen das ich es ganz gut verlebt habe. Da bekam ich Eure lieben zeilen, aber leider kann ich es nicht lesen ich habe es mir übersetzen lassen, im Nächsten Brief Bitte ich ob es nicht in Lateinisch [statt Sütterlin] geschrieben werden kann. Es ist doch besser wenn mann seinem Brief alein list. Wenn ich nächsten Jahr Urlaub bekomme so komme ich mal zu Euch ob die Weinberge noch alle in Ordnung sind.

Damit will schließen um Bald Antwort zu bekommen denn wir sind nicht mehr lange hier

seid herzlich gegrüßt

von Euren Kazimierz

noch wünsche ich Euch allen ein frohes und gesundes Neues Jahr.“

 

Der Brief ist damit auch ein Beispiel, wie es dem NS-Regime mit seinen verbrecherischen Erlassen, die polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter diskriminierten und darauf abzielten, ihre Arbeitskraft bestmöglich auszubeuten und dabei die Kontakte zwischen Deutschen und Polinnen und Polen zu minimieren, nicht gelang, dass sich Sympathien zwischen Deutschen und Polinnen und Polen herausbildeten, die auch in der neuen Wirklichkeit nach deutschen Kapitulation Bestand hatten.

Bei den genannten Gruppen von Briefen und Postkarten handelt es sich um eine wichtige Quelle polnischer Spuren in Deutschland und für die Untersuchung deutsch-polnischer Beziehungen. Sie ausfindig zu machen und im Rahmen umfangreicher Recherche auszuwerten, stellt eine lohnende Herausforderung dar.

 

Christof Schimsheimer, November 2021

 

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