„Meine Kinder aus Lodz...“ – „Moje Dzieci z Łodzi...“
„Jeder polnische Arbeiter und jede polnische Arbeiterin hat sich stets vor Augen zu halten, daß sie freiwillig zur Arbeit nach Deutschland gekommen sind. Wer diese Arbeit zufriedenstellend macht, erhält Brot und Lohn. Wer jedoch lässig arbeitet und die Bestimmungen nicht beachtet, wird besonders während des Kriegszustandes unnachsichtig zur Rechenschaft gezogen.“[7]
Hunderttausende Zwangsarbeitende aus beinahe allen besetzten europäischen Ländern wurden zur Arbeitsstätten in „Groß-Berlin“[8] deportiert. 14,5 % von ihnen waren Polen. Wie viele Frauen unter ihnen waren daran, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Was jedoch bekannt ist, sind die Bedingungen, unter denen sie gearbeitet haben, und die Betriebe, in denen sie „beschäftigt“ waren.[9] Etwa bei Siemens, in den Akkumulatoren-Werken Pertrix, in den Werkstätten der Salamander- Schuhfabrik, in denen sie Schuhe der KZ-Opfer reparierten..., auch in den Fabriken von Bosch. Am Flughafen Tempelhof verrichteten sie für die Firma „Weser Flugzeugbau“ Arbeiten am Sturzkampfflugzeug Ju87 (Guernica 1937, Warschau 1939) und die Lufthansa AG setzte sie in der Montage von Radar-Komponenten ein. Einer der größten Nutznießer der Zwangsarbeit in Berlin war die AEG (Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft), die außerdem Niederlassungen im „Warthegau“ unterhielt, so auch in Lodz.
Janina Głowacka erinnert sich:
„Aber bereits 1941 bekam ich eine Vorladung zum Arbeitsamt. Selbstverständlich war gleich die Angst da, denn wir wussten, dass Menschen, die zum Arbeitsamt gehen, eingesperrt und aus Lodz deportiert werden. (...) Ich meldete mich beim Arbeitsamt voller Furcht, dass man mich gleich weg bringen würde. Aber ich wurde der AEG zugewiesen. Ich war überglücklich, dass ich weiterhin in Lodz arbeiten konnte. Als ich mich aber bei der AEG meldete, sagte man mir, falls ich in Lodz arbeiten wollte, müsste ich für drei Monate zu einer Schulung nach Berlin gehen. Na ja, dachte ich mir, drei Monate sind nicht so schlimm.“[10]
Die Realität stellte sich als viel brutaler heraus: Janina Głowacka blieb bis zum Kriegsende in Berlin. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die bereits zitierte Danuta Bartkowiak aus Lodz, die ebenfalls unter dem Vorwand einer Ausbildung nach Berlin geschickt wurde.
WIE SIE LEBTEN
WO SIE WOHNTEN
Den Status der Zwangsarbeiterinnen und der Zwangsarbeiter im Reich bestimmten die erwähnten „Polen Erlasse“.
Janina Głowacka erinnert sich diesbezüglich:
„Aber was man nicht vergessen darf: dieser Deutsche fertigte für uns eine Art Abzeichen aus Blech mit einer Nadel. An diesem Abzeichen konnte man den Buchstaben ‚P‘ befestigen, dessen Rand umgestochen war und wie angenäht aussah. So konnte man dieses ‚P‘ anbringen und wenn es nötig war wieder abmachen. Wenn jemand mit der S-Bahn nach Berlin fahren wollte, durfte er doch mit dem ‚P‘ gar nicht in die S-Bahn einsteigen, man hätte ihn gar nicht reinlassen [sic!]. Dann ab damit, in die Tasche und fertig! Einmal wurde ich ohne das ‚P‘ erwischt und bekam einen Strafzettel. Den bewahre ich bis heute auf: Als Beweis, dass dieses ‚P‘ das Kennzeichen für Polen war, das ihnen nicht erlaubte, Geschäfte zu betreten, sich auf eine Bank im Park zu setzen, mit der S- Bahn zu fahren.“[11]
Die zehn Punkte der „Erlasse“ waren gewissermaßen ein Dekalog von Ver- und Geboten, die für polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter verpflichtend waren. Sie zeugten vom faschistischen Rassismus, von der Arroganz und Überheblichkeit der Faschisten und sie dienten zur psychischen Erniedrigung von „Untermenschen“. Anders als die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen erhielten die polnischen Zwangsarbeitenden weniger Lohn und schlechteres Essen; in vielen Kantinen wurden ihre Tische mit dem Buchstaben „P“ markiert – eine weitere Handlung zur Stigmatisierung einer ganzen Volksgruppe. Seinen Aufenthaltsort zu verlassen, stand unter absolutem Verbot. Die Teilnahme an christlichen Riten sowie Besuche von Kinos, Theatern und Tanzvergnügungen mit der deutschen Bevölkerung waren untersagt. Das Sitzen auf Parkbänken und das Verlassen der Unterkunft in der Dämmerung, also während der Sperrstunde, waren nicht erlaubt. Der Besitz von Fahrrädern und Feuerzeugen (sic!) war strikt verboten. Die Reichsverwaltung und die Reichspolizei waren sich dessen bewusst, dass die „Erlasse“ ungeeignet waren, um Polen in den besetzten Gebieten zur freiwilligen Arbeit im Reich heranzuziehen. Die logische Konsequenz war, den Polen zu verbieten, darüber zu sprechen oder in Briefen an die Familie darüber zu schreiben.
„Als es im Mai die Mittags- oder Frühstückspause gab, gingen wir in unseren Arbeitskleidern nach draußen, um ein wenig Luft zu schnappen. An der Fabrik wuchs Flieder. Dieser Flieder blühte und duftete. [weint fast] (...) Man vermisste doch die Luft, man war abgeackert, träge, abgestumpft, erniedrigt. Man war nur für die Arbeit gut, für nichts anderes sonst.“[12]
[7] Polen-Erlasse vom 08.03.1940: „Pflichten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums während ihres Aufenthalts im Reich“, Ziffer 9.
[8] Nicht der Verwaltungsbezirk "Groß-Berlin", dessen Grenzen 1920 festgelegt wurden, sondern das Gesamtgebiet der Reichshauptstadt und der anliegenden Gemeinden, in denen es Betriebe gab, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt haben. Oft handelte es sich dabei um Niederlassungen von Konzernen, die ihren Sitz und weitere Betriebe in Berlin hatten (AEG, Reichsbahn usw.).
[9] Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945, DVA, Stuttgart - München 2001.
[10] Transkript des Interviews mit Janina Głowacka, Seite 9 und 12 (siehe Fußnote 5).
[11] Ebenda, Seite 23.
[12] Ebenda, Seite 24.