„Kulturwehr“
Nach dem 1. Weltkrieg lebten im deutschen Gebiet unterschiedliche nationale Minderheiten. Die größte Gruppe machten die Polen (1,3–1,8 Millionen Personen) aus, an der zweiten Stelle waren die Sorben (160–180 Tausend Personen), auf den weiteren Plätzen folgten die Tschechen (ca. 45–50 Tausend Personen), Dänen (ca. 20 Tausend Personen), Friesen (14–16 Tausend Personen) sowie die Litauer (15–18 Tausend Personen). Es gab einen großen Unterschied in der rechtlichen Lage der nationalen Minderheiten in Deutschland. Den Status der deutschen Minderheit in Europa regelten wie bekannt die Normen des internationalen Rechts, die in Deutschland lebenden Minderheiten hatten diesen Status nicht.
Diese Situation übte einen großen Einfluss auf ihre Lage aus. In der Politik Deutschlands gegenüber den nationalen Minderheiten war ihre Behandlung als Gefahr für die Integrität des Staates sichtbar, dagegen sollten die deutschen Minderheiten ein Beweis für die Ungerechtigkeit der neuen Nachkriegsgrenzen sein und damit die Bemühungen Berlins um die Revision des Versailler Vertrages unterstützen. Die deutsche Minderheit im Ausland wurde als integraler Bestandteil der deutschen Nation betrachtet und man verlangte nach der Verleihung von Volksgruppenrechten für sie. Die im Gebiet Deutschlands ansässigen nationalen Minderheiten sollten einer schnellen Assimilation unterliegen und mussten mit der Einschränkung der nationalen Rechte rechnen. Um sich dieser ungünstigen Politik zu widersetzen, mussten sie gemeinsame Organisationsformen schaffen.
Nur auf diese Weise konnten sie ihre Interessen artikulieren und verteidigen, die deutsche Mehrheit von ihren Rechten überzeugen. Die ersten Versuche zur Gründung einer solchen Organisation wurden schon nach 1922 unternommen. Die Initiative übernahm der Bund der Polen in Deutschland. Als Gründungsmoment des späteren Verbandes der Nationalen Minderheiten in Deutschland wird oft die Rede Jan Baczewskis vor dem Preußischen Landtag im Juni 1923 erachtet, der die dänische Minderheit gegen die Vorwürfe der DNVP wegen eines Mangels an Loyalität gegenüber dem deutschen Staat verteidigte. In den nachfolgenden Monaten fanden Gespräche mit den Vertretern unterschiedlicher Minderheiten statt. Man musste öfters die Abneigung zwischen den Nationen überwinden, wie z.B. zwischen Polen und Tschechen. Trotz aller Bemühungen ist es nicht gelungen, die Litauer zur Mitwirkung zu gewinnen. Am 26. Januar 1924 fand in Berlin ein Kongress der in Deutschland lebenden Minderheiten statt, der vom Bund der Polen in Deutschland organisiert wurde. An ihm nahmen Polen, Dänen, Sorben, Friesen, Tschechen (die eingeladenen Litauer kamen nicht) teil. Während des Kongresses wurde der „Verband der Nationalen Minderheiten in Deutschland“ ins Leben gerufen. Zum Präses wurde der preußische Landtagsabgeordnete und erste Präses des Bundes der Polen in Deutschland, Stanislaw Sierakowski (nach seinem Verzicht auf diese Funktion 1934 wurde der Däne Ernst Christiansen sein Nachfolger) gewählt.
Der Verband bemühte sich in den nächsten Jahren darum die Rechte der Minderheiten zu garantieren und sie im politisch-gesellschaftlichen Leben um- und durchzusetzen. Außerdem versuchte er die Vertreter in den Repräsentationsgremien auf der Landes- und Regionalebene unterzubringen. Der Verband wand sich gegen die von deutscher Seite betriebenen Instrumentalisierung der Minderheiten zur Revision der Versailler Ordnung und damit gegen ihre Politisierung. Er verstand ihre Rolle eher als ein Element zur Stabilisierung der innerstaatlichen Situation. Auf diese Weise kämpfte der Verband gegen die von Deutschland forcierte Internationalisierung der Minderheitenfrage. Der Verband respektierte das Rechtssystem der Weimarer Republik wie die Versailler Ordnung.
Presseorgan des Verbandes, in dem seine Politik dargestellt wurde, war die Monatsschrift „Kulturwille“ (seit Januar 1926 „Kulturwehr“). Chefredakteur wurde der aus der Oberlausitz stammende Journalist, Schriftsteller und Politiker Jan Skala. Besitzer und Herausgeber war der Präses des Verbandes, Stanislaw Sierakowski. Die Monatsschrift wurde sehr schnell zum wichtigen Forum für den Erfahrungsaustausch unter den Minderheiten. Sie informierte laufend über die Fragen der Minderheiten in Deutschland und der deutschen nationalen Politik. Sie unterstützte darüber hinaus die Wahlaspirationen unterschiedlicher Vertreter der Minderheiten zu Vertretungsgremien. Im August 1924 wurde den deutschen Behörden ein Memorandum über das Schulwesen der Sorben und Dänen, im September 1927 ein Gesetzesentwurf über die Regelung des Minderheitenschulwesens vorgelegt. Seit Anfang der 1930er Jahre dominierten Materialien über die Nichtbeachtung der Minderheitenrechte durch die deutschen Machthaber die Ausgaben der Zeitschrift.
Am 5. November 1937 nutzte die Delegation des Bundes der Polen in Deutschland den Besuch bei Reichskanzler Adolf Hitler in Zusammenhang mit der Verabschiedung der Minderheitendeklaration (nach der Beendigung der Laufzeit des Oberschlesien-Abkommens) dazu, die Zeitschrift „Kulturwehr“ mit Anlagen zu überreichen. „Die Delegierten“ –erinnerte sich nach Jahren der Journalist und Redakteur des „Młody Polak w Niemczech“ (Der junge Pole in Deutschland), Edmund Jan Osmańczyk – „(…) nahmen die Erklärung Hitlers schweigend zur Kenntnis. Sie überreichten Hitler sodann sieben umfangreiche Bände: der erste enthielt die Eingabe des Bundes der Polen in Deutschland an den Reichskanzler, in der die ungewöhnlich schweren Lebensbedingungen der polnischen Volksgruppe in Deutschland ausführlich geschildert waren; die übrigen, im Kleindruck 3000 Seiten starken sechs Bände, waren eine Sonderausgabe der ‚Kulturwehr‘ und enthielten eine Auswahl der dem Rechtsbüro des Bundes der Polen in Deutschland zu Protokoll gegebenen Hunderte von Beschreibungen der Gestapo-Terrorakte gegen die Polen und die polnischen Organisationen (…)“. Diese Materialien wurden auch den Auslandsjournalisten überreicht, darüber hinaus bekamen sie die Bibliotheken in der ganzen Welt.
Die Herausgabe der Zeitschrift war mit großer Zivilcourage verbunden. 1936 zwangen die deutschen Machthaber den Chefredakteur Jan Skala zum Rücktritt (Verbot der Ausübung des Journalistenberufes), der Präses Sierakowski musste Deutschland verlassen. Das letzte Heft der Zeitschrift „Kulturwehr“ erschien 1938.
Krzysztof Ruchniewicz, April 2014
Alle Ausgaben von „Kulturwille“ und „Kulturwehr“ in der Śląska Biblioteka Cyfrowa:
https://sbc.org.pl/dlibra/results?q=Kulturwehr&action=SimpleSearchAction&type=-6&p=0&ipp=64