Jurek Becker. Autor von „Jakob der Lügner“

Jurek Becker 1981 bei einem Vortrag in Amsterdam. Foto: Rob C. Croes / Anefo – Nationaal Archief / CC-0
Jurek Becker 1981 bei einem Vortrag in Amsterdam.

Als Jurek Beckers Debütroman „Jakob der Lügner“ 1969 erscheint, ist sein Autor Anfang 30. Wie alt genau, ist nicht klar. Denn die Berichte über sein frühes Leben sind nicht nur fragmentarisch, sondern in sich widersprüchlich, wie Beckers Freund und erster Biograf Sander L. Gilman festhält.[1] Laut offiziellem Eintrag kam Becker am 30. September 1937 als Jerzy Bekker in Łódź in Polen zur Welt, damals ein „polnisches Jerusalem“. Unter den fast 700.000 Einwohner:innen lebten 233.000 Juden, also ein Drittel. Beckers Eltern Mieczysław und Anette hatten zwar Jiddisch als Muttersprache, aber von Jureks Geburt an sprach man zu Hause Polnisch.[2]

Schon damals gehörte Antisemitismus zum Alltag der Juden, der sich nur wenige Jahre später mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem deutschen Überfall auf Polen in blanken Terror verwandeln sollte. Das traf auch die Familie Bekker. Im später so genannten Ghetto Litzmannstadt gab sein Vater Mieczysław Bekker seinen Sohn Jurek älter an, um ihn vor der Deportation zu bewahren. An das genaue Geburtsdatum konnte er sich später angeblich nicht mehr erinnern, wahrscheinlich war Becker aber wohl einige Monate jünger. Im Ghetto Litzmannstadt verbrachte er einen Großteil seiner ersten Lebensjahre. Wirkliche Erinnerung an diese Jahre hat er später nicht. Für Olaf Kutzmutz, einen weiteren Biografen Beckers, mag das vor allem daran liegen, „dass er sie weniger alptraumhaft denn als normal und ereignislos empfunden hat“[3].

Viel Abwechslung habe es nicht gegeben. „Erfinden wird Becker daher zum Lebensmittel, seine literarischen Werke zum Medium, die verlorene Zeit der Kinderjahre zu suchen.“[4] Doch auch sein falsches Alter schützte Becker nicht vor der Deportation. Über das KZ Ravensbrück gelangte er ins KZ-Außenlager Königs Wusterhausen, wo er am 26. April 1945 durch die Rote Armee befreit wurde. Seine Mutter Anette sowie weitere rund 20 Familienmitglieder überlebten den Krieg nicht.

Diese Erfahrungen verarbeitete Becker später in seinem Debütroman „Jakob der Lügner“ (1969). Der gleichnamige Protagonist hört dort per Zufall die Nachrichten vom Vormarsch der Roten Armee, die er nicht für sich behalten kann. Um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, gibt er vor, im Besitz eines Radios zu sein. Doch die Notlüge gerät bald außer Kontrolle. Um die Hoffnung und den Lebensmut der Ghettobewohner:innen zu stärken, erfindet Jakob immer neue Nachrichten. „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern auch von der Hoffnung“, heißt es in einem bekannten Zitat des Romans. Jakob der Lügner wird so zum Hoffnungsträger und zur moralischen Stütze der Juden im Ghetto – bis die Realität ihn einholt und er zusammen mit anderen deportiert wird.

 

[1] Gilman, Sander L.: Jurek Becker. Die Biographie, Berlin 2004.

[2] Ebd.

[3] Kutzmutz, Olaf: Jurek Becker. Frankfurt am Main 2008.

[4] Ebd.

Mediathek
  • Jurek Becker bei einem Vortrag in Amsterdam, 1981

    Foto: Rob C. Croes / Anefo
  • Jurek Becker bei der „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“, 1982

    An der Konferenz vom 13. bis 14. Dezember 1982 nahmen u.a. Günter Grass (l.), Jurek Becker (2.v.l.), Grigori Baklanow (2.v.r.) und Daniil Granin (r.) teil
  • Jurek Becker auf der Diskussionsveranstaltung „40 Jahre deutsch-deutsche Literatur – Versuch“ in der Akademie der Künste der DDR, 1990

    Zu sehen sind neben Becker (r.) Gesprächsleiter Wolfgang Emmerich und Christa Wolf
  • Jurek Becker, 1993

    Aufgenommen während einer Amerikareise in St. Louis, Missouri
  • Jurek Becker, 1993

    Aufgenommen während einer Amerikareise in St. Louis, Missouri
  • Berliner Gedenktafel für Jurek Becker

    Hagelberger Straße 10C, Berlin-Kreuzberg, enthüllt am Dienstag, 13. September 2022