Józef Szotowski

Józef Szotowski
Józef Szotowski

Józef Szotowski wurde am 15. September 1842 in Bischofsburg (Biskupiec) im Ermland geboren. Einen Teil seiner Schulzeit verbrachte er in Braunsberg in Ostpreußen (Braniewo), wo er auch das Abitur machte. Danach ging er auf das Priesterseminar in Pelplin und empfing 1867 seine Priesterweihe. Anschließend war er unter anderem als Vikar in Schlochau (Człuchów) und in Berent (Kościerzyna) sowie als Administrator in Pelplin in der Provinz Westpreußen tätig. Im Jahr 1874 begründete er den ersten polnischen Gesangsverein in Pelplin und der gesamten Region mit.

Szotowski wurde Ende Dezember 1884 aus der Diözese Kulm (Chełmno) in die Diözese Paderborn versetzt. Offiziell erhielt er eine Stelle als Vikar in der St. Peter und Paul-Gemeinde (Propsteikirche) in Bochum, war aber zuständig für die Seelsorge unter den polnischen Zuwanderern in der Diözese Paderborn. Seine Bezahlung in Höhe von 3.000 Mark jährlich sollten die Pfarrer aufbringen, in deren Gemeinden er tätig wurde. Seine Versetzung nach Bochum war dabei eine Reaktion auf die Forderung vonseiten der ersten Vereine gewesen, die seit 1877 in Dortmund und Gelsenkirchen gegründet worden waren, sowie von deutschen Gemeindepfarrern beim Bischof von Paderborn, den polnischen Zuwanderern an der Ruhr einen polnischen Seelsorger zur Seite zu stellen. Nachdem der Dortmunder Pfarrer Löhers beim Paderborner Bischof Franz Kaspar Drobe vorstellig geworden war, kontaktierte dieser den Bischof von Kulm in Westpreußen, Jan von Marwitz, der schließlich Józef Szotowski für diese Aufgabe bestimmte und abstellte. Anfang März nahm Szotowski seinen Wohnsitz im Redemptoristenkloster in Bochum am Kaiser-Friedrich-Platz (heute Imbuschplatz), das von den Patres zu Beginn des Kulturkampfes verlassen worden war.

Pfarrer Szotowski verschaffte sich zunächst einen ersten Überblick über die Zahl, die Wohnorte und die Lebenssituation der polnischen Zuwanderer. Dazu nahm er auch die Hilfe von Pfarrern in den einzelnen Ortschaften des Ruhrgebietes in Anspruch, die ihn in die Siedlungen, Arbeitsbetriebe und Bergwerke begleiteten, wo polnische Zuwanderer anzutreffen waren. Dabei überschritt Szotowski auch die Diözesangrenzen, reiste sogar nach Düsseldorf oder Hamburg. Er führte eine Gottesdienstordnung nach folgendem Muster ein: Am ersten Sonntag im Monat fand das Hochamt in Bochum statt, am zweiten in Dortmund, am dritten in Gelsenkirchen und am vierten jeweils abwechselnd in anderen von Polen bewohnten Orten im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. An den ersten drei Wochentagen war Szotowski in Bochum tätig, in den folgenden bereiste er zwecks Seelsorge, Abnahme von Beichten, zu Kranken- oder Witwenbesuchen, Fahnenweihen, Bestattungen und Taufen etc. andere Ortschaften und Bezirke an Ruhr und Emscher.

Da er für die Organisation der Gottesdienste und seiner Besuche in den von Ruhrpolen bewohnten Gemeinden Unterstützung benötigte, nahm er die wenigen bestehenden polnischen Vereine in die Pflicht und förderte von Beginn seines Aufenthaltes an die Neugründung solcher Vereine – so entstand etwa bereits im Februar 1885 der St. Barbara-Verein zu Bochum, viele weitere folgten. Szotowski leistete organisatorische Hilfestellung, half den Vereinen bei der Verabschiedung der Statuten, bei Schriftverkehr und Behördengängen. Er organisierte Treffen, hielt Vorträge und implementierte eine jährliche Zusammenkunft zwischen den Vereinsvorständen und ihm selbst zwecks Besprechung organisatorischer Belange. Szotowski gab auch die Ausrichtung der bestehenden und neuen Vereine vor: Seit seiner Ankunft in Bochum wurde der regionale Bezug der Vereine – wenngleich er aufgrund der Ansiedlungsstruktur der Menschen aus dem Osten Preußens weiterhin regional blieb – in den Statuten durch einen übergeordneten polnischen Bezug ersetzt. Überdies fanden konkrete religiöse Pflichten Eingang in die Statuten, etwa der für Vereinsmitglieder zwingend vorgegebene regelmäßige Empfang der Sakramente oder die Verpflichtung zum täglichen Gebet. Während der etwa fünfjährigen Tätigkeit entstanden unter Szotowskis Anleitung und Patronat etwa 20 neue polnisch-katholische Vereine, die einerseits die Integration der polnischen Zuwanderer auf lokaler Ebene untereinander und ihre soziale Aktivierung förderten, und andererseits die Akzeptanz der Polen in den einzelnen Pfarrgemeinden des rheinisch-westfälischen Industriereviers begünstigten, wozu über alle nationalen und ethnischen Grenzen hinweg auch die noch frischen Erfahrungen aus dem Kulturkampf beitrugen.

Von Beginn seiner Tätigkeit an wurde Szotowski polizeilich überwacht, wenngleich die Maßnahmen aufgrund fehlender Sprachkompetenzen bei den Polizeibehörden oberflächlich blieben. Die Behörden sahen seine Tätigkeit zwiespältig; einerseits positiv, weil er als Autorität erfolgreich moralisches, sittliches und rechtschaffenes Verhalten von den Zuwanderern einforderte und sich ganz eindeutig gegen sozialistische Bestrebungen positionierte, andererseits negativ, aufgrund seiner ebenso klaren Wahlempfehlungen für die Zentrumspartei und seiner polnisch-nationalen Agitation, die über den religiösen Rahmen hinausging und aufgrund derer die polnischen Vereine über eigene Fahnen und entsprechende Symbole (Mützen, Kokarden, etc.) im öffentlichen Raum als Polen erkennbar wurden. Da Szotowski bemerkte, dass er überwacht und sein Umfeld von Polizeispitzeln ausgekundschaftet wurde, zog er sich seit 1887 aus der aktiven Vereinsarbeit zurück.

Zum 1. April 1890 wurde Pfarrer Szotowski von seiner Position als Polenseelsorger für die Diözese Paderborn abberufen und durch Pfarrer Dr. Liss ersetzt, den er vor seiner Abreise in die Heimat in seine neue Tätigkeit einwies. Grund für seine Abberufung sollen seine regelmäßigen Überschreitungen der Diözesangrenzen bei seiner Tätigkeit gewesen sein, daneben war den preußischen Behörden aber auch seine polnisch-nationale Tätigkeit ein Dorn im Auge, weswegen sie Druck auf den Paderborner Bischof ausübten, er möge Szotowski zur Mäßigung aufrufen. Möglicherweise wurde er aber auch auf eigenen Wunsch von seinen Aufgaben entbunden, denn nach fünfjähriger Tätigkeit unter schwierigsten Bedingungen, ständiger Rastlosigkeit und Mobilität war er gesundheitlich sehr angeschlagen. Zurück in Pelplin blieb er zunächst ohne neue Aufgabe und beantragte beim Regierungspräsidenten in Danzig Beihilfe – eben aufgrund jener gesundheitlichen Probleme. Nach einigen Monaten wurde er Pfarrer in Groß Wudschin (Wudzyn) im Kreis Bromberg (Bydgoszcz).

Keine drei Jahre später nahm er die vakante Pfarrersstelle in Chmelno (Chmielno) in der Kaschubei an, wo er bis zu seinem Tod am 27. August 1911 tätig blieb. Während dieser Zeit engagierte er sich weiterhin sehr stark auf sozialem Gebiet und agitierte für die polnische Sache. Seit 1894 war er Mitglied der Landwirtschaftlichen Gesellschaft in Karthaus (Kartuzy) und initiierte im Jahr 1897 die Gründung einer Volksbank („Bank Ludowy“) in Chmelno. Zusätzlich nahm er die 1902 gegründete polnische Arbeiterbewegung in Allenstein (Olsztyn) unter seine Obhut. Auch die im Jahr 1908 in Chmelno gegründete Handelsgesellschaft „Kupiec“ wäre ohne seine materielle Unterstützung nicht zustande gekommen. Auf seine Initiative hin wurden in den nahegelegenen Ortschaften Wygoda (1902) und Oberbrodnitz (Brodnica Góna, 1905) neue Pfarrgemeinden eingerichtet und 1906 in Chmelno ein Spital für Arme und Bedürftige eingerichtet. Heute erinnert dort eine Gedenktafel an Pfarrer Szotowski.

Er setzte sich für die Pflege der kaschubischen Traditionen, Bräuche und Volkslieder ein und betrachtete sie als Teil des Polentums, für welches er in der Pfarrgemeinde und darüber hinaus agitierte. Szotowski war in den polnischen Wahlkomitees aktiv, hielt Vorträge zur Geschichte Polens und aktuellen Problemen, war in Kontakt mit den Kreisen um die polnische „Gazeta Olsztyńska” (Allensteiner Zeitung) und kümmerte sich moralisch und materiell um die polnischen Wahlkomitees in seiner Heimatregion, dem Ermland. Er befürwortete den Schulstreik 1906/07 und setzte sich für die Emanzipation der polnischen Bevölkerung in der Kaschubei und im Ermland ein, ebenso wie für ihre Bildung, die Pflege der polnischen Sprache und die nationale Bewusstwerdung. Seine Tätigkeit als Polenseelsorger an der Ruhr bildete das Fundament für die späteren umfangreichen Organisationsstrukturen der Ruhrpolen. Aus den von ihm initiierten Vereinsgründungen erwuchsen in nur zwei Jahrzehnten etwa 900 Vereine mit ca. 80.000 Mitgliedern.

 

David Skrabania, November 2018

 

Literatur:

Biografischer Artikel zu Szotowski Józef, in: Oracki, Tadeusz (Hg.): Słownik biograficzny Warmii, Mazur i Powiśla XIX i XX wieku (do roku 1945), Warszawa 1983, S. 306–307.

Matwiejczyk, Witold: Katolickie towarzystwa robotników polskich w Zagłębiu Ruhry 1871–1894, Lublin 1999 [insbesondere Kapitel III].