Flexibel in allen Systemen. Die vielen Leben des Konrad Gruda
Karriere im kommunistischen Apparat. Aufstieg und Fall
Mitte Mai 1945 wurde Gruda zum Wojewodschaftskommandanten der Bürgermiliz in Krakau ernannt[15]. Dies blieb er im Range eines Hauptmanns[16] bis 1946, als wegen des „Zulassens von Machtmissbrauch“ gegen ihn ermittelt wurde[17]. Er hatte auf Bitten des Invalidenverbands, ohne einen gerichtlichen Beschluss dafür zu haben, einer Kioskbesitzerin, die im Verdacht stand, sich den Laden widerrechtlich angeeignet zu haben, das Objekt entzogen. Das Verfahren wurde niedergeschlagen. Es folgten weitere Ermittlungen wegen Amtsanmaßung und Amtsmissbrauch, so soll er in kurzer Zeit mehrere Autos zu Schrott gefahren haben und sich an ehemals jüdischem, nun staatlichem Eigentum bereichert haben[18]. Als Ergebnis wechselte Gruda ab dem 5. November 1946 als Kommandant der Bürgermiliz der Wojewodschaft Warschau nach Otwock[19]. In Krakau war er auch Augenzeuge des antijüdischen Pogroms vom 11. August 1945 gewesen[20]. Der antikommunistische Widerstand war sich nicht sicher, welche Haltung er dabei einnahm. Er habe einerseits den Befehl gegeben, Juden zu verhaften, wenn sie fliehen wollten, andererseits die Anweisung, Provokateure und Straftäter zu verhaften[21]. Im Prozess gegen Beteiligte am Pogrom sagte er später als Zeuge aus. Im gleichen Jahr heiratete er die aus Drohobycz stammende Zofia Winnicka-Bieżeńska (geb. 1920).
1946 erhielt Gruda das Goldene Verdienstkreuz[22], es folgten weitere Ehrungen bis zum Ende der 1940er Jahre. Im stalinistischen Polen wirkte er am Aufbau einer sozialistischen Sportbewegung mit[23]. In den lokalen Einschätzungen der Untergrundorganisation „Wolność i Niezawisłość“, die nicht gerade für Judenfreundlichkeit stand, wurde er zunächst eher positiv bewertet, schon bald aber hieß es, er habe seine Ausbildung auf der Moskauer NKVD-Spionageschule genossen[24].
Seit August 1947 ermittelte die Sonderabteilung des Oberkommandos der Bürgermiliz in Warschau gegen Gruda. Die Vorwürfe lauteten auf finanziellen Missbrauch und eine positive Haltung gegenüber systemfeindlichen Elementen[25].
Am 30. Juli 1949 (rückdatiert auf den 1. März 1949) wurde Gruda aus der Bürgermiliz entlassen und der Reserve zugeordnet[26]. Als Begründung gab das Ministerium für Öffentliche Sicherheit zwei Jahre später – wohl aufgrund zahlreicher Nachfragen Grudas und Bitten um Rehabilitierung – an, er sei zwar „recht fähig“, zuletzt aber unter seinen Möglichkeiten geblieben und habe eine Reihe von Vergehen zu persönlichen Zwecken begangen[27]. Intern lautete die Begründung schärfer: „Unangebrachtes Verhalten gegenüber Untergebenen und unmoralische Lebensführung“.[28] In dem Bericht, den der Oberkommandierende der Bürgermiliz, General Józef Konarzewski, dem zuständigen Minister Stanisław Radkiewicz zuvor vorgelegt hatte, wurden Grudas Verstöße in den vier Nachkriegsjahren in Krakau und Otwock in 13 Punkten detailliert aufgelistet[29]. Gruda hatte die Vorwürfe weitgehend abgestritten und andere für die Vergehen verantwortlich gemacht, was die zuständigen Stellen allerdings nicht überzeugte[30].
Zwischen 1950 und 1956 stellte er eine von ihm in Warschau angemietete Wohnung unter dem Decknamen „Inwalida“ den Staatssicherheitsorganen für konspirative Treffen und Ähnliches zur Verfügung (właściciel LK)[31]. Als „agent-informator“ angeworben worden war er von dem Historiker Ryszard Nazarewicz (1921–2008), zu diesem Zeitpunkt Major der Abteilung V des Ministeriums für Staatssicherheit (Ministerstwo Bezpieczeństwa Publicznego)[32]. Einer seiner Befürworter war der Vizedirektor der Abteilung III, Leon Andrzejewski, den er aus der Kościuszko-Division kannte[33].
[15] IPN BU 00/698/1010/1, Bl. 17. – Die Angaben von Adam Patla, Euforie witających, tragedie entuzjastów. Wspomnienia z lat 1945–1965 [unveröff. Manuskript], https://sbc.org.pl/dlibra/publication/637935/edition/600263 (zuletzt aufgerufen am 21.03.2024), S. 19, die Ernennung Grudas sei bereits am 23. Januar 1945 erfolgt, sind unzutreffend.
[16] IPN BU 00/698/1010/1, Bl. 12.
[17] IPN Kr 111/415.
[18] Siehe dazu diverse Zeugenaussagen in IPN BU 00/698/1010/5.
[19] IPN BU 00/698/1010/1, Bl. 19.
[20] Julian Kwiek: Pogrom antyżydowski w Krakowie 11 sierpnia 1945 r., in: Pogromy Żydów na ziemiach polskich w XIX i XX wieku. T. 4, Holokaust i powojnie (1939–1946), Warszawa 2019, S. 161–181, hier S. 170.
[21] Julian Kwiek: Żydzi, Łemkowie, Słowacy w województwie krakowskim w latach 19451949/50, Kraków 1998, S. 31–45, hier S. 34.
[22] https://isap.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WMP19470230050/O/M19470050.pdf (zuletzt aufgerufen am 1.3.2024).
[23] Konrad Gruda: Po pięciu latach, in: Wychowanie Fizyczne 3 (1949), Nr. 7, S. 3–6.
[24] ANKr, WiN 4, k. 433, zitiert nach Joanna Tokarska-Bakir: Cursed. A Social Portrait of the Kielce Pogrom, Ithaca/London 2023, S. 131. Dort auch der Verweis auf die Personalakte Grudas im IPN-Archiv: IPN BU 2174/2138.
[25] IPN BU 00/698/1010/6, S. 2.
[26] IPN BU 2174/2138, Bl. 22.
[27] IPN BU 2174/2138, Bl. 23.
[28] IPN BU 00/945/559-1, Bl. 63 (Anmerkungen vom 26.4.1952).
[29] IPN BU 00/945/559-1, Bl. 66–72. Zu den Kritikpunkten gehörten Alkoholismus, das Verursachen zahlreicher Unfälle, willkürliche Inhaftierungen und Freilassungen in seinem Verantwortungsbereich, illegale Geschäfte, darunter Plünderungen (szabrownictwo) in den ehemals deutschen Gebieten sowie in Krakau, und Vernachlässigung seiner Dienstaufgaben. Eine Analyse der Aktivitäten Grudas in den Bereichen Handel und „Sportförderung“ würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, wäre aber aus alltagsgeschichtlicher Perspektive hochinteressant. Garniert wurden die Vorwürfe mit politischen Argumenten, etwa die Beschäftigung eines Ungarn, der gegen die Sowjetunion gekämpft hatte, Kumpanei mit ehemaligen Soldaten der Heimatarmee und Bevorzugung von deutschen Frauen, die bei ihm ein- und ausgingen (IPN BU 00/698/1010/8, Bl. 29–31).
[30] Schreiben Grudas an Minister Radkiewicz vom 20.6.1949 (IPN BU 00/698/1010/9, Bl. 6–24). – Kommentar zu den Ausführungen Grudas in einem Schreiben von Konarzewski und dem Leiter der Sonderabteilung, Piątkowski, an Minister Radkiewicz vom 5.7.1949 (IPN BU 00/698/1010/9, Bl. 4–5). Vgl. auch das Protokoll von Grudas Verhör am 12.4.1949 (IPN BU 00/698/1010/8, Bl. 15–20).
[31] IPN BU 00/945/559-1, Notatka z dn. 21.10.1974. – Ebd. auch Verpflichtungserklärung (Bl. 12).
[32] Vor 1953 war mit diesem Begriff keine genauere Definition der Zusammenarbeit verbunden, vgl. https://pl.wikipedia.org/wiki/Osobowe_źródło_informacji (zuletzt aufgerufen am 16.04.2024).
[33] Der ebenfalls jüdischstämmige Andrzejewski war mit der Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebenden Krystyna Żywulska verheiratet, die später in Düsseldorf lebte.