Dynastische Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern Radziwiłł: 1688 Luise Charlotte Radziwill
1688 Luise Charlotte (Caroline) Radziwill/Ludwika Karolina Radziwiłłówna (1667-1695), Tochter von Fürst Boguslaw Radziwill/Bogusław Radziwiłł (1620-1669), Herzog von Birże und Dubinki, brandenburgischer Generalleutnant und Statthalter des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Herzogtum Preußen, heiratet Karl III. Philipp von der Pfalz (1661-1742), später regierender Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz, Herzog von Jülich und Berg, Herzog von Pfalz-Neuburg
Enkelin von Janusz (VI. dem Älteren) Radziwiłł (1579-1620), der 1613 Elisabeth Sophie von Brandenburg (1589-1629) geheiratet hat, und einziges Kind von deren Sohn Boguslaw Radziwill (1620-1669), verliert Luise Charlotte ihre Mutter Anna Maria (1640–1667) bei der Geburt und ihren Vater bereits zwei Jahre später. Geboren am 27. Februar 1667 in Königsberg im Herzogtum Preußen, wird sie in der Familie Radziwiłł in Königsberg und bei einem ihrer Vormünder, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688), dem Großen Kurfürsten, am Hof in Berlin aufgezogen. Von ihren Eltern hat sie die umfangreichen Besitzungen der Herzöge von Birże und Dubinki in Litauen geerbt. Gegen den Willen des polnischen Königs Johann III./Jan III Sobieski, der seinen Sohn Jakob Louis/Jakub Ludwik als Ehemann für Luise Charlotte (Abbildung unten) vorgesehen hat, heiratet sie 1681 im Alter von dreizehn Jahren in Königsberg den ein Jahr älteren Sohn des Großen Kurfürsten, Ludwig von Brandenburg (1666-1687). Sie folgt ihm an den Berliner Hof, wo Ludwig bereits 1687 vermutlich nach einem Giftanschlag stirbt. Die Ehe ist kinderlos geblieben.
Unmittelbar nach Ludwigs Tod bemühen sich hochrangige deutsche Adlige um eine Heirat mit Luise Charlotte, darunter der Feldmarschall der kaiserlichen Truppen, Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, dann der kaiserliche Feldmarschall Karl von Lothringen-Commercy und schließlich der unglücklich verheiratete Herzog Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg aus dem Haus Hannover und spätere König Georg I. von Großbritannien. Der Große Kurfürst plant offenbar, seinen Sohn Philipp Wilhelm mit Luise Charlotte zu verheiraten, stirbt jedoch im April/Mai 1688. Aussichtsreichster Kandidat ist erneut Jakob Louis Sobieski, für den der polnische Kammerherr und Starost von Malbork/Marienburg, Kazimierz Ludwik Bieliński, in Berlin um Luise Charlottes Hand anhält. Im Juli 1888 erscheint Jakob Sobieski dort persönlich und erhält von ihr und vom Nachfolger des Großen Kurfürsten, Kurfürst Friedrich III., ein Eheversprechen, wobei der Erhalt von Luise Charlottes Besitzungen in Litauen, die Unterstützung von Jakobs Anwartschaft auf den polnischen Thron und die Glaubensfreiheit der Calvinisten in Preußen zur Verhandlungsmasse gehören.
Allerdings liegt eine Verbindung zwischen dem polnischen Haus Sobieski und dem litauischen Haus Radziwiłł weder im Interesse des Kaisers noch des Kurfürstentums Brandenburg. Denn dies würde der Familie Sobieski in die Hände spielen, das polnische Wahlkönigtum in eine Erbmonarchie umzuwandeln. Der Kurprinz Karl Philipp von der Pfalz bietet „den Ausweg aus dieser Situation“ (Murmann 2014, Seite 35). In einer Aktion, die zwischen dem Kaiser, dem Brandenburger Friedrich III. und Karl Philipps Vater, dem Kurfürsten Philipp Wilhelm von der Pfalz (1615-1690), verabredet ist, wird Karl Philipp (Abbildung unten) nach Berlin entsandt, wo er am 10. August 1688 Luise Charlotte heimlich im Haus des kaiserlichen Gesandten heiratet. Jakob Sobieski ist umso mehr düpiert, als Luise Charlotte ihm noch im August Liebebriefe geschrieben haben soll. In der Folge kommt es im polnischen Sejm zu schweren Auseinandersetzungen zwischen König Johann III. und verschiedenen adligen Parteien, die sich für oder gegen Luise Charlotte und den künftigen Verbleib ihrer Besitzungen engagieren.
Karl Philipp ist das siebte von siebzehn Kindern von Philipp Wilhelm (1615-1690), Herzog von Neuburg, ab 1685 Kurfürst von der Pfalz, aus dem Hause Wittelsbach, und dessen zweiter Ehefrau Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt (1635-1709). In erster Ehe hat Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg selbst 1642 eine polnische Prinzessin, Anna Katharina Konstanze (1619-1651), Tochter des polnischen Königs Sigismund III. Wasa, geheiratet. Die Kinder aus seiner zweiten Ehe verheiratet er in der Folge in ein Netzwerk aus europäischen Fürstenhäusern, unter anderem mit dem Kaiserhaus, nach Bayern, Österreich, Polen, Italien und Spanien. Für Karl Philipp ist als jüngerem Sohn zunächst eine geistliche Laufbahn vorbestimmt. Ohne geistliche Weihen wird er mit vierzehn Jahren Domherr in Köln, zwei Jahre später in Salzburg und 1679 in Mainz. Im selben Jahr wird er zum Ritter des Malteserordens ernannt. 1683 gibt er alle geistlichen Ämter und Pfründen auf und tritt in die Armee Kaiser Leopolds I. ein, der seit 1676 mit Karl Philipps Schwester, Eleonore Magdalene von Pfalz-Neuburg, verheiratet ist. 1685 geht er während des Großen Türkenkriegs mit dem kaiserlichen Heer nach Ungarn, kämpft erfolgreich bei der Belagerung von Ofen/Buda und steigt bis 1694 zum Generalfeldmarschall und Ritter vom Goldenen Vlies auf.
Die Heirat zwischen Luise Charlotte Radziwill, der Witwe des Markgrafen Ludwig von Brandenburg, und Karl Philipp von der Pfalz erregt zu ihrer Zeit weites Aufsehen und gilt als romantisches Ereignis und Resultat einer „Liebe auf den ersten Blick“ – so gut ist das von langer Hand vorbereitete Ehemanöver verschleiert worden. Durch die Heirat erscheint Karl Philipp sogar als aussichtsreicher Kandidat für die polnische Königswürde. Tatsächlich ist er nach dem Tod Johanns III. Sobieski 1696 bei der Königswahl anwesend, ohne sich jedoch ausreichend um Erfolg zu bemühen. Um Jakob Louis Sobieski abzufinden, wird dieser in Absprache zwischen Kaiser Leopold und Kurfürst Philipp Wilhelm von der Pfalz 1691 mit Karl Philipps Schwester, Hedwig Elisabeth Amalia von Pfalz-Neuburg (1673-1722), verheiratet.
Karl Philipp, der in der Residenz seiner Familie in Neuburg an der Donau geboren worden ist, lebt, soweit es ihm seine militärische Karriere erlaubt, in Wien und auf den Gütern seiner Frau in Schlesien. Luise Charlotte unterstützt weiterhin die calvinistischen Gemeinden in Litauen und finanziert den Druck des Neuen Testaments auf Litauisch. Aus der Ehe gehen drei Töchter hervor, von denen nur Elisabeth Auguste Sofie (1693-1728) das Erwachsenenalter erreicht. Sie erbt Luise Charlottes Besitzungen und wird 1717 von ihrem Vater mit einem Verwandten aus dem Hause Wittelsbach, Joseph Karl von Pfalz-Sulzbach, verheiratet, um die Wittelsbacher Linien Pfalz-Neuburg und Pfalz-Sulzbach zu vereinigen. Luise Charlotte stirbt am 23. März 1695 in Brzeg/Brieg in Niederschlesien bei der Totgeburt eines Sohnes. Karl Philipp heiratet 1701 in Krakau erneut eine Polin, Theresa Katharina Lubomirska (1685-1712), Tochter des Magnaten Józef Karol Lubomirski (um 1660-1702), Großmarschall der polnischen Krone, mit der er ab 1705 als kaiserlicher Statthalter für Ober- und Vorderösterreich in Innsbruck residiert.
Das spätere, nach ihrer Hochzeit mit Karl Philipp von der Pfalz gemalte Bildnis der Luise Charlotte Radziwill (Titelbild) ist ein Werk des von der Familie Pfalz-Neuburg am Düsseldorfer Hof angestellten niederländischen Porträtmalers Jan Frans van Douven (1656-1727). Es gehört zu einer Serie von 52 Bildnissen aus dem Besitz von Anna Maria Luisa de’ Medici (1667-1743), Kurfürstin von der Pfalz, Ehefrau von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz (1658-1716), dem älteren Bruder von Karl Philipp. Die Serie zeigt Mitglieder der Familien Medici und Pfalz-Neuburg und wird erstmals 1743 im Palazzo Pitti in Florenz als Nachlass der verstorbenen Anna Maria de’ Medici inventarisiert. 1912 befindet es sich im Vasarikorridor, der den Palazzo Vecchio mit dem Palazzo Pitti verbindet, und wird erstmals im Katalog der Uffizien publiziert. Es befindet sich heute in einer ehemaligen Medici-Villa, der Villa del Poggio Imperiale auf dem Hügel von Arcetri in Florenz, die heute als Internat dient. Zur selben Serie gehört auch das Bildnis von Karl Philipps zweiter Ehefrau, Theresa Katharina Lubomirska (Abbildung unten).
In der Schatzkammer der Münchner Residenz befindet sich eine goldene, mit Email, Diamanten, Rubinen und Smaragden geschmückte Weinschale aus dem Besitz von Janusz (VI. dem Älteren) Radziwiłł aus der Zeit um 1600, die vermutlich über Luise Charlotte in den Schatz von Pfalz-Neuburg und durch die Erbfolge im Hause Wittelsbach nach München gelangt ist (Abbildung unten).
Axel Feuß, November 2021
Literatur:
Henning Murmann: Die Herrschaft über das Ganze. Die kurpfälzische Konfessionspolitik zwischen 1685 und 1728 als Schauplatz rechtlicher und institutioneller Konflikte, Dissertation Heidelberg, 2014
Nina Kozlowski / Ewa Krasińska-Klaputh / Aleksander Menhard: Bayerische Löwen – Polnische Adler. Auf gemeinsamen historischen Spuren, München 2008, Seite 55
Friedrich Wielgus: Radziwill, Luise Charlotte, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 7, Herzberg 1994, Spalte 1234 f.
Hans Schmidt: Das Haus Pfalz-Neuburg in der europäischen Politik des 17. Jahrhunderts, in: Mannheimer Hefte, 2, 1992, Seite 106-120
Tadeusz Wasilewski: Ludwika Karolina (z domu Radziwiłł), in: Polski Słownik Biograficzny, Band 18, 1973, Seite 110
Hans Schmidt: Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz als Reichsfürst, Mannheim 1963
Hans Schmidt: Kurfürst Karl Philipp von der Pfalz, in: Mannheimer Hefte, 2, 1960, Seite 26-38
Antoni Zygmunt Helcel: O dwukrotném zamężciu Xiężniczki Ludwiki Karoliny Radziwiłłownéj, i wynikłych ztąd w Polsce zamieszkach. Przyczynek do dziejów panowania Jana III., Krakau 1857, Online-Ressource: https://polona.pl/item/o-dwukrotnem-zamezciu-xiezniczki-ludwiki-karoliny-radziwillownej-i-wyniklych-ztad-w,Njc4NjA0Mzk/0/#info:metadata
Online:
Tadeusz Wasilewski, auf Internetowy Polski Słownik Biograficzny, https://www.ipsb.nina.gov.pl/a/biografia/ludwika-karolina-z-domu-radziwill
Hans Schmidt: Karl (III.) Philipp, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 250-252 [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/pnd118720953.html
Arthur Kleinschmidt: Karl (III.) Philipp, Kurfürst von der Pfalz, in: Allgemeine Deutsche Biographie 15 (1882), S. 331-336 [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/pnd118720953.html#adbcontent
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