Dynastische Hochzeiten zwischen polnischen und deutschen Fürstenhäusern Radziwiłł: 1613 Janusz (VI. der Ältere) Radziwiłł
1613 Janusz (VI. der Ältere) Radziwiłł (1579-1620), Fürst des Heiligen Römischen Reiches, Herzog von Birsen/Birże und Dubinki, zuletzt Kastellan von Vilnius, heiratet Elisabeth Sophie/Elżbieta Zofia Hohenzollern (1589-1629), Tochter des Kurfürsten Johann Georg (1525-1598), Markgraf von Brandenburg
Janusz Radziwiłł wird am 2. Juli 1579 in Vilnius als Sohn des litauischen Magnaten Krzysztof Mikołaj Radziwiłł (1547-1603), Herzog von Birże und Dubinki, Fürst des Römisch-Deutschen Reiches, Inhaber zahlreicher litauischer Staatsämter, später Großhetman von Litauen und Woiwode von Vilnius, und dessen Ehefrau Katarzyna Ostrogska (1560-1579) geboren, die einen Monat nach der Geburt ihres Sohnes stirbt. 1596 wird Janusz mit der erst elfjährigen Sophia/Zofia Olelkowicz Słucka (1585–1612), Herzogin von Słuck und Kopyl, der letzten Angehörigen des litauisch-ruthenischen Geschlechts Olelkowicz Słucki, verlobt, um mit ihrem voraussichtlichen Erbe an Ländereien Schulden bei der Familie Radziwiłł auszugleichen. Die Heirat findet nach kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Familien im Juli 1600 in Brest statt, wobei bis heute umstritten ist, ob die konfessionsübergreifende Hochzeit zwischen der calvinistischen Familie Radziwiłł und der orthodoxen Familie Olelkowicz nach orthodoxem oder katholischem Ritus stattgefunden hat. Sophia, die der orthodoxen Kirche zeit ihres Lebens umfangreiche Spenden übereignet hat, stirbt im März 1612 bei der Geburt ihres ersten Kindes. Sie hinterlässt ihrem Gatten ein immenses Vermögen in Form von sieben Burgen und Schlössern und über dreißig Dörfern, das ihn zum wohlhabendsten Magnaten in Litauen macht. Sophia von Slutsk wird seit 1983 in der orthodoxen Kirche als Heilige verehrt.
Seit seiner Heirat mit Sophia im Jahr 1600 ist Janusz Radziwiłł Herzog von Słuck und Kopyl. Im Polnisch-Schwedischen Krieg begleitet er 1601 seinen Vater auf dem Heerzug gegen die Schweden. Mit ihm ist er siegreich in der Schlacht von Kokenhusen/Koknese und beim Entsatz von Riga. Mit dem Tod seines Vaters 1603 erbt er die Titel und Ämter als Herzog von Birże und Dubinki, Fürst des Römisch-Deutschen Reiches, Großlitauischer Mundschenk (lat. Pocillator, ein Ehrenamt, das ihn direkt dem Großfürsten von Litauen unterstellt) und Starost von Borysów, die auch auf dem medaillenartigen Porträt von 1609 (Titelbild und Abbildung unten) vermerkt sind. Von seinem Großvater und seinem Vater übernimmt er die Verpflichtung als Schutzherr über die Calvinisten Litauens und wird zum engagierten Gegner der Gegenreformation, die von dem 1587 zum König von Polen und Großfürsten von Litauen gewählten katholischen Sigismund III. Wasa (1566-1632) gefördert wird. 1606 nimmt er an der Zebrzydowski-Rebellion/Rokosz Zebrzydowskiego teil, einem Aufstand des Adels unter der Führung des früheren Woiwoden von Krakau und Lublin, Mikołaj Zebrzydowski (1553-1620), der sich gegen die Autorität des Königs, die von diesem betriebene Beschneidung der Rechte des Adels und Schwächung des Sejms sowie gegen Sigismunds ultrakonservativen Katholizismus richtet. In der Schlacht von Guzów im Juli 1607 greift Radziwiłł mit zehntausend Mann Infanterie und sechshundert Kavalleristen das königliche Heer an. Mit dem Großhetman von Litauen, Jan Karol Chodkiewicz (um 1561-1621), führt er bis 1608 einen separaten Krieg. Sigismund verzichtet trotz seines Sieges darauf, die Rebellen zu bestrafen. Im Gegenzug zieht sich Radziwiłł aus allen öffentlichen Ämtern und politischen Aktivitäten zurück. Er geht auf eine Auslandsreise nach Frankreich und in die Schweiz, von der er 1610 zurückkehrt.
Am 7. Juli 1613 heiratet er in Berlin die Tochter des brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten Johann Georg aus dem Haus Hohenzollern, Elisabeth Sophie (Abbildungen unten), die dessen dritter Ehe mit Elisabeth von Anhalt (1563-1607) entstammt. Johann Georg von Brandenburg ist in erster Ehe 1545-46 ebenfalls mit einer Polin, Sophia von Liegnitz/Zofia Legnicka (1525-1546), verheiratet gewesen, die nach der Geburt ihres Sohnes gestorben ist. Die Hochzeit der ursprünglich evangelisch-lutherischen Elisabeth Sophie mit dem calvinistischen Fürsten Radziwiłł steht vermutlich in Beziehung zur (etwas späteren) Konversion des regierenden Markgrafen von Brandenburg, Johann Sigismund (1572-1619/20), des Enkels des Kurfürsten Johann Georg, vom lutherischen Bekenntnis zum Calvinismus am Weihnachtstag 1613. Als amtierender Markgraf ist er es, der seine Tante mit dem Fürsten Radziwiłł verheiratet. Während die brandenburgische Bevölkerung lutherisch bleibt, treten das Herrscherhaus sowie Offiziere und Beamte fast vollständig zum Calvinismus über („Hofcalvinismus“). Brüder von Johann Sigismund, die Markgrafen Joachim Ernst und Johann Georg, sind bereits 1612 zum Calvinismus übergetreten.
Radziwiłł lebt zunächst mit seiner Frau in Danzig, konspiriert mit dem calvinistischen Fürsten von Siebenbürgen, Gabriel Bethlen (um 1580-1629), den er auf dem polnischen Königsthron sehen will, geht aber 1616 aus Protest gegen Sigismunds Russland-Politik zurück nach Deutschland und schließt sich dem Lager der protestantischen Reichsfürsten an. 1617 lässt er in Słuck (heute Sluzk, Belarus) ein calvinistisches Seminar und eine ebensolche Schule errichten. 1618 erwirbt er als Leibgedinge für Elisabeth Sophie, also als lebenslange Unterhaltsverpflichtung, von dem bayreuthisch-brandenburgischen Hofrat Christoph von Waldenfels zu Lichtenberg (1565-1633) für 100.000 Gulden die Herrschaft Lichtenberg in Oberfranken. Als Calvinist und Gegner Sigismunds III. steht er in direktem Gegensatz zu seinem Vetter zweiten Grades, dem vierzehn Jahre jüngeren Albrycht Stanisław Radziwiłł (1593-1656), Herzog von Ołyka, Förderer der Gegenreformation und engem Vertrauten Sigismund III. Albrycht Stanisław heiratet 1619 ebenfalls eine Deutsche, Regina von Eisenreich (um 1589-1637).*
Aus der Ehe von Janusz und Elisabeth Sophie Radziwiłł gehen vier Kinder hervor, von denen drei in jugendlichem Alter sterben. Der Erbe Bogusław Radziwiłł (1620-1669), später Herzog von Birże und Dubinki, wird im Mai 1620 in Danzig geboren. Er wird später Statthalter des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg im Herzogtum Preußen. 1681 wird das einzige Kind von Bogusław Radziwiłł, Luise Charlotte (1620-1669), ebenfalls nach Brandenburg, 1688 nach Pfalz-Neuburg heiraten. Janusz Radziwiłł, aufgrund seines frühen militärischen Wagemuts, seiner politischen Überzeugungen und seines Einsatzes für die calvinistischen Glaubensgenossen eine der bekanntesten Persönlichkeiten Litauens, stirbt kurz nach der Taufe seines Sohnes am 6./7. November 1620 im Haus der Familie Czarliński in Czarlin südlich von Danzig. Nach mehrtägigen Trauerfeierlichkeiten in Vilnius vom 12. bis 16. Februar 1621 unter Abhaltung von Militärparaden und zweisprachigen religiösen Zeremonien wird er in der calvinistischen Kirche von Dubinki (heute Dubingiai, Litauen) beigesetzt. Elisabeth Sophie lebt anschließend mit ihrem Sohn Bogusław auf ihren Gütern in Lichtenberg. 1628 heiratet sie Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg (1586-1665) und verkauft die Herrschaft Lichtenberg an ihren Bruder, Markgraf Christian von Brandenburg-Bayreuth (1581-1655). Bogusław wird zu seinem Onkel und Vormund, dem Reichsfürsten, litauischen Großhetman und späteren Woiwoden Christoph/Krzysztof Radziwiłł (1585-1640) nach Vilnius gebracht, wo er aufwächst. Elisabeth Sophie stirbt am 24. Dezember 1629 in Frankfurt an der Oder und wird in der dortigen St.-Marien-Kirche bestattet.
Ein Gemäldeporträt von Janusz Radziwiłł, das den Dargestellten als Kniestück in Ritterrüstung zeigt, befindet sich im Nationalen Kunstmuseum der Republik Belarus in Minsk. Es stammt aus der ehemaligen Porträtsammlung der Familie Radziwiłł im Schloss von Nieśwież (heute Njaswisch, Belarus). Ein Ganzfigurenporträt von Elisabeth Sophie aus der Zeit um 1613 wird ebenfalls im Kunstmuseum von Minsk aufbewahrt (Abbildung unten). Eine um 1593 gemalte Miniatur der „Elisabeth Sophie Markgräfin zu Brandenburg“ (Abbildung unten), vermutlich von einem brandenburgischen Hofmaler und zu einer größeren Serie sehr ähnlicher Miniaturen gehörend, gelangte im 19. Jahrhundert in die königlichen Sammlungen auf Schloss Windsor. Die Gruppe von neun Miniaturen, zu der noch weitere in deutschen Sammlungen gehören, wurde in London von einem durch Europa reisenden Händler für antike Weißwaren erworben, der sie angeblich zwischen seinem Verkaufsgut gefunden hatte. Das Gemälde „Skargas Predigt/Kazanie Skargi“ des polnischen Historienmalers Jan Matejko (1838-1893), zwischen 1862 und 1864 entstanden und im Warschauer Königsschloss befindlich, erinnert nicht nur an eine (vermutlich nie gehaltene) politische Rede im Sejm des auf der Seite der Gegenreformation stehenden Jesuitenpaters Piotr Skarga (1536-1612, Abbildung unten, rechts im Bild mit deklamierend erhobenen Armen), sondern zeigt auch Janusz Radziwiłł, der im goldenen Mantel in der Mitte einer Reihe gelangweilt blickender Adliger steht. Links neben ihm sitzend ist König Sigismund III. Wasa in schwedischer Amtstracht zu sehen.
* Gemeinsamer Ururgroßvater von Janusz und Albrycht Stanisław Radziwiłł ist Mikolaj Radziwiłłowicz „Stary“ (um 1440-1509), Großkanzler von Litauen, Woiwode von Vilnius, Senator der Ersten Polnischen Republik und Starost von Nowogródek. Auf ihn gehen die Linien der Radziwiłł von Goniądz und Miadzioł, von Nieśwież, von Ołyka und von Birże und Dubinki zurück.
Axel Feuß, November 2021
Literatur:
Anastazja A. Skiepjan: Pogrzeb Janusza Radziwiłła (1579-1620), in: Klio. Czasopismo poświęcone dziejom Polski i powszechnym, Band 40 (1), 2017, Seite 3-30, online: https://apcz.umk.pl/czasopisma/index.php/KLIO/article/view/KLIO.2017.001/13077
Franz Josef Burghardt: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion (= Historische Forschungen, Band 96), Berlin 2012
Mathias Niendorf: Das Großfürstentum Litauen. Studien zur Nationsbildung, 2. Auflage, Wiesbaden, 2010
Robert A. Friedl: Polen und sein Osten am Vorabend einer Katastrophe. Der große Kosaken- und Bauernaufstand des Jahres 1648, Dissertation Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf 2004, Seite 66 f., Online-Ressource: https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-12441/DissFriedl_Polen1648-A1b.pdf
Ulrich Schmilewski: Radziwill, in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 101-103 [Online-Version], https://www.deutsche-biographie.de/sfz104184.html#ndbcontent
Axel Gotthard: Zwischen Luthertum und Calvinismus (1598–1640), in: Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., herausgegeben von Frank-Lothar Kroll, 2. Auflage, München 2001
Polski Słownik Biograficzny, Band 30, 1987, Seite 202-208
Bogusław Radziwiłł: Autobiografia, herausgegeben von Tadeusz Wasilewski, Państwowy Instytut Wydawniczy, Warschau 1979
Jörg Jacoby: Boguslaus Radziwill. Der Statthalter des Großen Kurfürsten in Ostpreußen (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas, herausgegeben vom Johann-Gottfried-Herder-Institut, 40), Marburg/Lahn 1959, Seite 11, Online-Ressource: https://opacplus.bsb-muenchen.de/Vta2/bsb00096840/bsb:BV013780991
Friedrich Gottlob Leonhardi: Erdbeschreibung der Preußischen Monarchie, 4. Band, 2. Abteilung, Halle 1797, Seite 1398 (zum Erwerb der Herrschaft Lichtenberg), Online-Ressource: https://books.google.de/books?id=nvwAAAAAcAAJ&pg=PA1398#v=onepage&q&f=false
Theodor Hirsch: Johann Sigismund, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 14, Leipzig 1881, Seite 169-175, [Online-Version], https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Johann_Sigismund
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