Deutsche Polenlieder des Vormärz: Hoch Polonia!

Stephan Höning & Joachim Seltmann von Geschichte-in-Liedern mit Jakobinermützen, dem Symbol der deutschen frühdemokratischen  Bewegung in den 1790er Jahren.
Stephan Höning & Joachim Seltmann von Geschichte-in-Liedern mit Jakobinermützen, dem Symbol der deutschen frühdemokratischen Bewegung in den 1790er Jahren.

Das Polenbild der Deutschen war im 19. und 20. Jahrhundert zahlreichen Veränderungen und Schwankungen unterworfen, aber keine davon war so grundlegend wie der Bruch während der deutschen Märzrevolution von 1848. Der Ausgang der Polendebatte im Frankfurter Paulskirchenparlament begründete eine antipolnische Haltung, die im scharfen Gegensatz zur Polenbegeisterung der 1830er Jahre stand.

Vor allem in den frühen Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts entstanden Hunderte von deutschen Polenliedern: Sie hatten zumeist das Ziel, die Ideen eines nationalen und liberalen Freiheitskampfes nach dem polnischen Novemberaufstand 1830 auch nach Deutschland zu tragen. Ausgelöst durch die französische Julirevolution ging eine Revolutionswelle durch Europa, die restaurierte Ordnung des Wiener Kongresses wurde grundsätzlich in Frage gestellt und eine Emanzipation von der Bevormundung durch die Fürsten war der Traum der Nationalen und Liberalen - auch in Deutschland. Weil es aber in Deutschland zunächst nicht zu einer Revolution kam, nahmen sich viele ein Vorbild an den Polen und sangen deutsche Polenlieder, um den Funken der Revolution überspringen zu lassen. Ohne diese Polenbegeisterung und diese Polenlieder wären das Hambacher Fest und der deutsche Vormärz nicht vorstellbar gewesen.

Das historisch-musikalische Projekt Geschichte-in-Liedern greift unter dem Titel "Noch ist Polen nicht verloren" die Tradition der Polenlieder auf. In dem Projekt geht es um einen musikalischen Zugang zur Geschichte: Für die deutsche Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts werden Lieder rekonstruiert oder mit Neukompositionen versehen. Die Idee dazu entstand im Geschichtsunterricht an einem Gymnasium im rheinhessischen Alzey und entwickelte sich ab 2007. Um dem Problem zu begegnen, dass manche historische Lieder nicht als Tonaufnahme verfügbar waren, griff dort der Lehrer als „singender Geschichtslehrer“ selbst zum Instrument und seine Schülerinnen und Schüler dankten es mit spürbar gesteigertem Interesse an den Inhalten des Unterrichts. Später entwickelte sich aus diesen Anfängen ein Duo und heute können in einer Mischung aus Konzert und Vortrag Geschichtsinteressierte musikalische Zeitreisen erleben.

Das thematische Spektrum der Polenlieder wird bei Geschichte-in-Liedern an 12 Beispielen gezeigt: Etwa die Hälfte der Lieder wird mit historischen Melodien gespielt, bei der anderen Hälfte sind die Melodien nicht mehr bekannt und die Texte wurden daher behutsam neu vertont.

Texte und Aufnahmen sind erreichbar über:
http://www.geschichte-in-liedern.de/DeutschePolenlieder-html/ 

 

Frühe Polenlieder (vor 1830): Finis Poloniae
 

Bereits die frühdemokratische Bewegung der 1790er Jahre in Deutschland nahm den polnischen Freiheitskampf wahr: „Der Polen Mai“ feiert zunächst die liberale polnische Maiverfassung von 1791, in späteren Strophen wird dann das Zerschlagen der Freiheit durch die dritte Teilung Polens beklagt. In „Mein tapfrer Lagienka“ (1825) wird des Kościuszko-Aufstandes gedacht: Die freiheitliche Gesinnung wird durch einen freundschaftlichen Dialog zwischen dem Feldherrn Kościuszko und dem einfachen Soldaten Lagienka gezeigt.  

Die Thematik der polnischen Emigration als Folge des Scheiterns der Unabhängigkeitsbewegung wird bereits in der frühen Phase in dem Lied „Fordre niemand, mein Schicksal zu hören“ (1825) angesprochen. Mahnend wird den deutschen Adressaten des Liedes verdeutlicht, dass der Verlust der Heimat die Folge von Zögerlichkeit und Scheitern sein kann.

 

Die Hauptphase der Polenlieder nach dem Novemberaufstand (1830–33)
 

In einer Adaption der „Mazurek Dąbrowskiego“, der polnischen Nationalhymne, wird die vielleicht wesentlichste politische Vision der Polenlieder in dem Lied „Noch ist Polen nicht verloren“ (1831) deutlich:

„Deutsche Schwerter, deutsche Kraft, sind der Polen kräft´ge Stütze.
Polen wird dann frei - frei von Tyrannei!“

[Fein, Georg: Deutsche Volksstimme - eine Sammlung patriotischer Lieder, 4. Aufl. Liestal 1840, S. 80]

In der Verbundenheit der Völker miteinander soll gegen die Fürsten die Freiheit gemeinsam erkämpft werden. Den gleichen Gedanken formuliert Siebenpfeiffer auf dem Hambacher Fest: „Es lebe das freie, das einige Deutschland! Hoch leben die Polen, der Deutschen Verbündete! Hoch leben die Franken, der Deutschen Brüder, die unsre Nationalität und Selbstständigkeit achten! Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört! Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch!“ [nach: Johann Georg August Wirth: Das Nationalfest der Deutschen zu Hambach. Neustadt a.H. 1832 (Nachdruck Neustadt 1981), S. 41., online unter http://www.demokratiegeschichte.eu/fileadmin/user_upload/Material/Rede_Siebenpfeiffer.pdf]

Neben dem Motiv der direkten Aufforderung zum Kampf stehen in den Polenliedern der Hauptphase vor allem zwei weitere Motive. Erstens taucht immer wieder der doppelte Schmerz auf, einmal der Schmerz der Unterdrückung und dann der Schmerz der Flucht: beide Aspekte können wohl als wiederkehrende Themen des deutsch-polnischen Verhältnisses gesehen werden. Zweitens wird immer wieder die Hoffnung formuliert, dass der Kampf noch erfolgreich geführt und das Ziel der Freiheit erreicht werden kann.

Das Blatt noch wenden zu können, auch wenn die polnische Sache bereits verloren scheint, das formuliert Ludwig Uhland in „Mickiewicz - An der Weichsel fernem Strande“ (1833) so:

„Mitten in der stillen Feier wird ein Saitengriff getan.
Ha! Wie schwillet diese Leier voller stets und mächt´ger an.
Leben schaffen solche Geister, dann wird Totes neu geborn.
Ja, mir bürgt des Liedes Meister: noch ist Polen nicht verlorn.“

[Kozielek, Gerard: Polenlieder - eine Anthologie, Stuttgart 1982 (Reclam), S. 137, online unter http://gutenberg.spiegel.de/buch/ludwig-uhland-gedichte-5084/228]


Wenn die polnische Freiheit noch nicht verloren ist, dann ist es auch die deutsche Freiheit noch nicht. Deutsche Freiheit und polnische Freiheit - und auch die französische: in der Sicht der deutschen Polenlieder gehört das untrennbar zusammen. Eine Konkurrenz der jeweiligen Freiheitsbestrebungen, dass die Interessen Polens den Interessen Deutschlands im Wege stehen können: Diesen Gedanken kennen die deutschen Polenlieder der 1830er Jahre noch nicht.

 

Späte Polenlieder: Georg Herwegh (1840–46)
 

Im weiteren Verlauf des Jahrzehnts gerät der polnische Freiheitskampf aus dem Blick der deutschen Öffentlichkeit und die Phase der Polenlieder ist fast vorbei. Nur vereinzelt erinnern noch Dichter wie Georg Herwegh an die Polen und greifen die bekannten Motive auf. In seinem Text „Polens Sache, deutsche Sache“ (1846) weist er mahnend auf einen Freiheitskampf, der nur gemeinsam gelingen kann. An einer deutschen Freiheit, die um den Preis der polnischen Unfreiheit erkauft ist, will Herwegh keinen Anteil haben und er ruft Deutschland zu:

„Du suchst ja selbst aus tiefem Grund der Knechtschaft dich emporzuringen.
Willst du dein Joch zur selben Stund’ dem andern auf den Nacken zwingen?“

[https://www.poleninderschule.de/assets/polen-in-der-schule/downloads/arbeitsblaetter/d-polenlieder-00-gesamtkorr.pdf]

In einem Europa, das heute noch immer um eine gemeinsame Identität ringt und in dem noch immer das gemeinsame Bewältigen der Probleme des 21. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit ist, in diesem Europa haben die deutschen Polenlieder des Vormärz eine aktuelle politische Botschaft zu überbringen: keine Freiheit ohne Einheit - und umgekehrt übrigens auch nicht.

 

Stephan Höning, November 2016


Aufführungen der Polenlieder können angefragt werden unter
www.geschichte-in-liedern.de

 

Quellen & Literatur:

Brudzyńska-Němec, Gabriela: Polenbegeisterung in Deutschland nach 1830
http://ieg-ego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/1830er-revolution/gabriela-brudzynska-nemec-polenbegeisterung-in-deutschland-nach-1830

Kozielek, Gerard: Polenlieder - eine Anthologie, Stuttgart 1982 (Reclam)

Leonhard, Stanisław [Hrsg.]: Polenlieder deutscher Dichter (2), Krakau 1917, 
http://idb.ub.uni-tuebingen.de/diglit/DkXI3936-2

Mediathek
  • Stephan Höning

    Mit Banjo
  • Joachim Seltmann

    Gitarre spielend am Mikrofon
  • Stephan Höning & Joachim Seltmann

    Mit Jakobinermützen, dem Symbol der deutschen frühdemokratischen Bewegung in den 1790er-Jahren.
  • "Hoch Polonia"

    Auf Deutsch.
  • Deutsche Polenlieder - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku" auf Deutsch

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.