Der Frankfurter Wachensturm 1833
„Volk und Volk, Arm in Arm und Herz an Herz“
Die französische Julirevolution von 1830 erfasste weite Teile Europas; Belgien wurde unabhängig, in mehreren deutschen Staaten kam es zu Aufständen und im sogenannten Novemberaufstand wurde schließlich im Königreich Polen, das seit 1815 in einer Personalunion vom russischen Kaiser Nikolaus I. regiert wurde, für die eigene Unabhängigkeit gekämpft. Im Folgejahr wurde der Aufstand zwar niedergeschlagen, in liberalen deutschen Kreisen wurden die polnischen Aufständischen zu Held:innen im Unabhängigkeitskampf erhoben und bei ihrer Reise nach Frankreich vielerorts frenetisch gefeiert (vgl. Polenlieder, Polenbegeisterung). Als sich Ende Mai 1832 bürgerliche und liberale Kreise auf dem Hambacher Schloss versammelten, um für Einheit, Freiheit und Demokratie einzustehen, wehten die Fahnen Deutschlands und Polens nebeneinander und polnische Vertreter:innen hielten ihre Reden.
„Die Polen trugen das heilige Feuer nach dem Westen Europas, und auf deutscher Erde brannte seitdem die Flamme der Begeisterung leuchtend fort.“[1]
Die Stimmung in liberalen und bürgerlichen Kreisen heizte sich nach dem Hambacher Fest weiter auf – beflügelt von den besungenen Heldentaten der Pol:innen, denen viel Unterstützung zuteilwurde:
„Die Wirkung, welche der Durchzug der Polen auf die deutschen Gemüther hat, ist ungeheuer, sie wird gewiß nicht so schnell wieder verschwinden. Sie zu erhalten und zu steigern haben wir Zeit bis Ende Juni, dann aber muß unter jeder Bedingung etwas Entscheidendes geschehen.“[2]
Bis Juni 1832 geschah jedoch – bis auf Hambach – wenig, erst am 3. April 1833 entluden sich die Spannungen mit dem Sturm bzw. Attentat auf die Wachhäuser in Frankfurt. Dieser Wachensturm wurde zu einem der spektakulärsten Ereignisse des „Vormärz“.
Sturm auf die Frankfurter Wachen
Geplant und angeführt wurde das Vorhaben vom Mediziner Gustav Bunsen, der schon 1831 nach Polen gereist war, um die polnischen Aufständischen der Novemberrevolution zu versorgen.[3] Beteiligt an den Vorbereitungen waren auch polnische Offiziere, wie etwa Jan Paweł Lelewel, Bruder des bekannten Historikers Joachim Lelewel, oder Ludwik Oborski.
Unter den etwa 100 Beteiligten, die sich überwiegend aus Oppositionellen, Akademiker:innen und Studierenden zusammensetzten, teils in polnische Uniformen gekleidet, fanden sich außer Lelewel und Oborski noch weitere Pol:innen. Insgesamt sollen sich nach Friedrich Moritz von Wagemann sieben Polen an dem Aufstand beteiligt haben. Es handelte sich dabei sowohl um polnische Studierende an deutschen Universitäten als auch um durchziehende Polen, die bei der Gelegenheit zur Waffe griffen. Während Bunsen mit Studierenden die Hauptwache fast widerstands- und gewaltlos einnehmen konnte, brach eine zweite Gruppe unter der Führung des kaum identifizierbaren polnischen Majors [Felix] Michalowski zur wenige hundert Meter entfernten Konstablerwache auf, die ebenfalls nach einem kurzen, aber blutigen Gefecht in die Hände der Aufständischen fiel.
Beim Sturm auf die Konstablerwache nachgewiesen werden kann der polnische Student Alexander Lubański. Der Naturgelehrte Carl Vogt erinnerte sich später in seinen Memoiren an die ausbleibende Rückkehr des in seinem Haus wohnhaften Lubański:
„[…] ein netter Pole, Lubanski, der später als Arzt in Nizza starb und die Schildwache an der Konstabler-Wache niedergestoßen hatte, wurde den ganzen Tag vergebens erwartet bei Onkel Paul [Follenius] – er hatte versprochen, im Falle des Gelingens als Kurier mit Rothschilds Pferden nach Gießen zu reiten.“[4]
Nach Gießen zurück kam er nicht, denn trotz der beiden Erfolge misslang das Unterfangen. Die erhoffte Unterstützung der Frankfurter Bürger:innen und Bauer:innen aus dem Umland blieb aus, während sich die Frankfurter Garnison rasch sammeln und den Aufstand beenden konnte. Wer nicht verhaftet wurde, floh aus der Stadt. Michalowski soll später bei Marburg verhaftet worden sein; Lubański sei derweil in einem Holzfass aus der Stadt geschmuggelt worden und zu Fuß nach Frankreich geflüchtet.
[1] Neue Zeitschwingen, vom 27. Januar 1832.
[2] Brief von Student Rochau (Wolfenbüttel), vom 6. Februar 1932, zit. nach Wagemann, Friedrich Moritz von: Darlegung der Haupt-Resultate aus den wegen der revolutionären Complotte der neueren Zeit in Deutschland geführten Untersuchungen, Frankfurt am Main [1839], S. 27.
[3] Jung, Rudolf: „Bunsen, Gustav“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 47 (1903), S. 369; URL: https://www.deutsche-biographie.de/sfz7398.html.
[4] Vogt, Carl: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rückblicke, hrsg. von Eva-Maria Felschow u. a., Gießen 1997, S. 120.
Folgen
Die Revolution war jedoch nicht nur in Frankfurt geplant; an verschiedenen weiteren Orten in Deutschland sollten zeitgleich Aufstände ausbrechen, teils mit tatkräftiger Unterstützung durch Pol:innen. Beispielsweise sollten eine Kolonne polnischer Offiziere aus Besançon und weitere polnische Einheiten die französisch-deutsche Grenze übertreten und die deutschen Aufständischen in Baden und Württemberg unterstützen – wozu es letztlich nicht kam.[5]
Wenngleich die Forschung den „törichten Frankfurter Putsch“ (Michael Doeberl) mehr als dilettantisch geplanten und durchaus naiven Studentenstreich (Hans-Ulrich Wehler) einordnete, der nach rund zwei Stunden niedergeschlagen werden konnte, wurde er zeitgenössisch als revolutionärer politischer Umsturzversuch sehr ernst genommen. Als Antwort auf den Wachensturm schlugen die reaktionären Kräfte zurück; es folgte eine Welle der „Demagogenverfolgung“, der viele deutsche Polenfreund:innen zum Opfer fielen, etwa der Publizist Friedrich Ludwig Weidig, Spiritus Rector der Polenhilfsstipendien an der Universität Gießen und zusammen mit Georg Büchner Mitautor des „Hessischen Landboten“.
Für die Pol:innen in Deutschland hatte der Aufstand ganz grundsätzlich negative Folgen. Lubański musste nach Frankreich fliehen und wurde Arzt in Nizza. Lelewel und Oborski wiederum suchten Zuflucht in der Schweiz. Doch auch Pol:innen, die sich nicht am Aufstand beteiligt hatten, bekamen die Folgen im ganzen deutschen Raum zu spüren, wurden sie doch fortan überall grundsätzlich verdächtigt. An deutschen Universitäten zu studieren, wurde fortan schwieriger, da diese in der Folge argwöhnisch beobachtet wurden.
Filip Emanuel Schuffert, April 2024
Weiterführende Literatur:
- Hofmann, Andreas C.: Deutsche Universitätspolitik im Vormärz (1815–1848). Ein Beitrag zur Neubewertung des Deutschen Bundes, Berlin 2019.
- Weitershaus, Friedrich Wilhelm: Verfolgte, Verurteilte und Verdächtige der Vormärzzeit in Oberhessen. Studenten, Bürger, Bauern gegen Reaktion und Restauration, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 62 (1977), S. 171–220.
- Molik, Witold: Polscy studenci na uniwersytetach niemieckich od końca XVIII do początku XX wieku, Poznań 2016.
- Hackmann, Jörg / Marta Kopij-Weiß: Nationen in Kontakt und Konflikt. Deutsch-polnische Beziehungen und Verflechtungen 1806–1918, Darmstadt 2014.
[5] Wagemann: Darlegung der Haupt-Resultate, S. 41.