Das Zeichen „P“

Abzeichen, Sammlung Porta Polonica
Dieses „P“-Zeichen hat Dr. Ryszard Mroziuk von der Polnischen Katholischen Mission in Dortmund dem LWL-Industriemuseum als Schenkung überlassen. Millionenfach wurden solche Zeichen während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland getragen.

Die Nationalsozialisten waren besessen von der Vorstellung, Menschen nach verschiedenen, vor allem „rassischen“ Kriterien zu kategorisieren. Allerdings sah man vielen dieser Menschen nicht an, welcher Kategorie sie angehörten. Um sicher zu gehen, dass innerhalb des ebenso absurden wie perfiden und letztlich tragischen Systems der rassischen Segregation „Minderwertige“ auch ja zu erkennen waren, wurden bald nach Kriegsbeginn verschiedene Kennzeichen eingeführt. Juden mussten sich in den besetzten Gebieten teils seit Herbst 1939, im Reichsgebiet seit 1941 den gelben Judenstern annähen, für polnische Zwangsarbeiter wurde im März 1940 das „P“-Zeichen geschaffen, und diejenigen Arbeitssklaven, die nach dem Überfall auf die Sowjetunion aus den neu besetzten Gebieten ins Reich geschafft wurden – darunter ebenfalls zahlreiche Polen –, hatten einen Stofffetzen mit dem weißen Wort „Ost“ auf blauem Grund zu tragen. Abgesehen davon gab es in den Konzentrationslagern eigene, ausgefeilte Kennzeichnungsregeln.

Während die jüdische Bevölkerung im Reichsgebiet rasch aus dem öffentlichen Leben verdrängt und schließlich deportiert und vernichtet wurde, die Zahl der „Judensterne“ an Blusen und Sakkos also bald sank, stieg die Zahl der „P“s: Millionenfach wurden Menschen aus den polnischen Gebieten nach Westen gebracht, um in landwirtschaftlichen Betrieben sowie in der Industrie deutsche Männer zu ersetzen, die an der Front kämpften oder bereits gefallen waren. Insgesamt dürften so während des Zweiten Weltkriegs rund 2,8 Millionen Polen innerhalb der Reichsgrenzen gearbeitet haben, die zu etwa 95% zwangsrekrutiert worden waren.

Die Kennzeichnung der Polen wurde mit den „Polenerlassen“ vom 8. März 1940 und verschiedenen zugehörigen Verordnungen geregelt. Es hieß hier:  „Vom ersten Tage des Arbeitseinsatzes an muß sichergestellt sein, daß der polnische Arbeiter zu jeder Zeit und von jedermann als solcher erkannt wird. Die Kennzeichnung dient ausschließlich dieser Notwendigkeit. Eine Diffamierung soll damit nicht beabsichtigt sein.“ Aber natürlich war genau dies der Fall. Das Zeichen, laut Polizeiverordnung „auf der rechten Brustseite jedes Kleidungsstückes (…) stets sichtbar zu tragen“, bestand „aus einem auf der Spitze stehenden Quadrat mit 5 cm langen Seiten und zeigt bei 1/2 cm breiter violetter Umrandung auf gelbem Grunde ein 2 1/2 cm hohes violettes P.“ Durch die eigenartige Wahl von Farbe und Form sollte vermutlich jede Assoziation mit polnischen nationalen Symbolen vermieden werden. Die „Petka“, wie das Kennzeichen von den Polen genannt wurde, stigmatisierte die Zwangsarbeiter in der Öffentlichkeit, weshalb sie immer wieder versuchten, es außerhalb ihrer Arbeitsstätten etwa unter dem Mantelaufschlag zu verbergen oder ganz abzunehmen. Das konnte böse enden. Zbyszko Matuszewski erinnert sich: „o weh, wenn du hast vergessen deine ‚P‘. Erst mußt du Strafe zahlen, zehn Mark. Das zweite Mal schon mehr. Und wenn sie dich noch öfter erwischen, fährst ab – ins Straflager. No, mich haben die nicht so oft erwischt. Hab ich nur Strafe zahlen missen.“[1] Tatsächlich war Ende 1941 verfügt worden: „(…) wenn sie mehrfach ohne P-Kennzeichen getroffen werden, [sind sie] den Staatspolizeileitstellen zur weiteren Behandlung zuzuführen“. Was unter „weiterer Behandlung“ zu verstehen war, blieb vage, konnte aber das Schlimmste bedeuten. Dennoch blieb der Anreiz groß, ohne „P“ in die Stadt zu gehen, vielleicht sogar – was wie vieles andere verboten war – ins Kino: „Wir junge Mädchen haben das ‚P‘ ja meistens versteckt“, meinte Irina G.[2]

 

[1] Christoph U. Schminck-Gustavus (Hg.): Hungern für Hitler. Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter im Deutschen Reich 1940-1945. Hamburg 1984, S. 11.

[2] Ebd, S. 96.

Julian Banaś, der im Volkswagenwerk arbeiten musste, berichtet ausführlich über seinen Umgang mit dem Zeichen: „Das Lager hatte zwei Tore und zwei Wachen. (…) [Dort] wurde kontrolliert, ob das ‚P‘ angenäht war. Das ‚P‘ war eine Diskriminierung. Ich schämte mich nicht, das ‚P‘ zu tragen, weil ich ein Pole war. Aber ich trug das ‚P‘ nur deswegen, weil ich keinen Tritt für eine beliebige Sache bekommen und mir keine unangenehmen oder beleidigenden Bemerkungen anhören wollte. Da der Werkschutz immer nachprüfte, ob das ‚P‘ angenäht war, umnähte ich das Stoffteil mit dem Buchstaben ‚P‘ mit einem bunten Faden, der eigentlich gar nicht passte, ja sogar hervorstach. Aber man sah, dass es angenäht war. Und das Zeichen befestigte ich dann mit einer Stecknadel. Sobald ich an der Wache vorbei war, faltete ich es zusammen und steckte es in die Tasche!“[3]

In einigen Fabriken gab es noch ausgeklügeltere Kennzeichnungen, so etwa auf der Elbinger Schichau-Werft. Jan Uskwarek, der dort 1943 arbeiten musste, erinnert sich an eine unfreiwillig komische Szene, die auch böse hätte enden können. Er hatte neben seinem „P“ auch ein „A“ für „Ausländer“ zu tragen – in jeder Fabrikhalle hatten diese „A“s eine andere Farbe. Eines Tages kroch gerade bei einer Kontrolle unter einem dieser Aufnäher eine Wanze hervor. „Der Meister zeigte sie mir mit seinem Bleistift und fragte, ob dies ein Beweis für polnische Reinlichkeit sein solle. Beleidigt entgegnete ich, dass dies nicht meine Schuld sei. ‚Und wessen Schuld soll es dann sein‘, brüllte er mich, rot vor Zorn, an.“[4]  Zum Glück eskalierte die Situation nicht weiter, und später erklärte Uskwarek seinem Meister den Grund für das Auftauchen der Wanze – die Zwangsarbeiter erhielten nur ein kleines Stück miserable Seife im Monat, das auch fürs Wäschewaschen reichen musste, und die hygienischen Zustände in den Lagerbaracken waren alles andere als gut.

Die Erfahrungen polnischer Zwangsarbeiter im Reich waren ambivalent: In der Öffentlichkeit stigmatisiert und durch zahlreiche Vorschriften diskriminiert, konnten sie es besser oder schlechter treffen. In der Industrie erging es ihnen oft schlechter, hier waren sie in Lagern eingesperrt und der Willkür von Aufsehern ausgesetzt, außerdem wurde die Arbeit durch die sich mehrenden Bombenangriffe auf deutsche Fabriken immer gefährlicher. Auf dem Land war die Arbeit zwar auch schwer, aber je nach dem, zu welchem Bauern man geriet, konnte der Aufenthalt auch durchaus erträglich sein, nicht selten durften die Polen sogar mit der Bauersfamilie am Tisch essen, was eigentlich streng verboten war. Ebenfalls verboten waren Liebesbeziehungen zwischen Deutschen und Polen: Wer sich als Pole mit Bäuerinnen (deren Männer im Krieg waren) oder Mägden einließ, dem drohte der Galgen, während die deutschen Frauen vielfach öffentlich als „Polenflittchen“ an den Pranger gestellt und dann in ein Konzentrationslager eingewiesen wurden. Als gegen Kriegsende der Arbeitskräftemangel in der deutschen Industrie immer größer wurde, versuchte man, die Behandlung der Arbeitssklaven zu verbessern, obwohl die schlechte Lebensmittelversorgung dem oft entgegenstand. Zur Einführung eines neuen Polen-Abzeichens, das vom Reichssicherheitshauptamt im Januar 1945 vorgeschlagen wurde – einer gelben Ähre auf weiß-rotem Schild –, kam es nicht mehr. Eine Bilanz des Zwangsarbeitereinsatzes ist schwer zu ziehen, zu unterschiedlich sind die individuellen Schicksale. Immerhin führte er dazu, dass sich eine bis dahin ungekannte Zahl von Polen in den westlichen Gegenden des Reichs aufhielten, viele Deutsche sich vom Fleiß der Arbeitssklaven überzeugen konnten und viele Polen bei allem Leid in deutschen Fabriken und auf deutschen Höfen auch etwas lernten, was sie später, zurück in der Heimat, nutzbringend verwenden konnten. Eine Entschädigung der polnischen – und sonstigen – Zwangsarbeiter durch die Bundesrepublik Deutschland begann erst im Jahre 1992: Weit mehr als eine Milliarde Euro wurden bis 2007 über die Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung ausgezahlt.

 

Peter Oliver Loew, November 2014

 

[3] Manfred Grieger (u.a., Hg.): Abfahrt ins Ungewisse. Drei Polen berichten über ihre Zeit als Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk von Herbst 1942 bis Sommer 1945. Wolfsburg 2004, S. 33.

[4] Ewa Kubaczyk (Hg.): Ostpreußen. Wspomnienia Polaków wywiezionych na roboty przymusowe do Prus Wschodnich w latach 1939-1945. Warszawa 2010, S. 188.

Mediathek
  • Plakat „P“ des Volksbunds für das Deutschtum im Ausland

    Sammlung Porta Polonica [aus BPK]
  • Ryszard Mroziuk, handschriftliche Notiz zu der Porta Polonica überlassenen „P“-Plakette

    „Dar Pana Wiktora Opińskiego, więźnia i przymusowego robotnika” [„Schenkung von Herrn Wiktor Opiński, Häftling und Zwangsarbeiter“] mit dem Signet der Polnischen Katholischen Mission in Dortmund (Vord...
  • Notiz von Ryszard Mroziuk zur „P“-Plakette

    Rückseite mit Stempel der Polnischen Katholischen Mission, Übergabedatum und Kontaktdaten
  • Das P-Zeichen - Hörspiel von "COSMO Radio po polsku"

    In Zusammenarbeit mit "COSMO Radio po polsku" präsentieren wir Hörspiele zu ausgewählten Themen unseres Portals.