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Janina Musiałczyk – W drodze, unterwegs

Janina Musiałczyk, 2023

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  • Abb. 1: Begegnungen unterwegs 35, 1995 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 36x47,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 2: Hier und dort 20, 1984 - Schwarze und farbige Tusche auf Papier, 31,5x32 cm, Privatbesitz
  • Abb. 3: Hier und dort 21, 1984 - Schwarze und farbige Tusche auf Papier, 31,5x32 cm, Privatbesitz
  • Abb. 4: Geteilte Landschaft, gestaltete Landschaft 19, 1983 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 25x32 cm, Privatbesitz
  • Abb. 5: Unterwegs 13, 1996 - Acryl auf Leinwand, 46x33 cm, Privatbesitz
  • Abb. 6: Unterwegs 1, 1996 - Acryl auf Leinwand, 46x33 cm, Privatbesitz
  • Abb. 7: Hier und dort 8, 1986 - Gouache, Ölkreide auf Papier, 22x31,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 8: Menschen, Grenzen, Landschaften 30, 1986 - Gouache, Aquarell, weiße und schwarze Tusche, Mischtechnik auf Papier, 29,5x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 9: Hier und dort 25, 1984 - Schwarze Tusche auf Papier, 53x70 cm, Privatbesitz
  • Abb. 10: Hier und dort 10, 1986 - Buntstifte auf Papier, 24x32 cm, Privatbesitz
  • Abb. 11: Hier und dort 11, 1986 - Aquarell, schwarze Tusche auf Papier, 23,5x31 cm, Privatbesitz
  • Abb. 12: Hier und dort 22, 1984 - Schwarze und farbige Tusche auf Papier, 45x63 cm, Privatbesitz
  • Abb. 13: Hier und dort 23, 1984 - Schwarze Tusche auf Papier, 35x50 cm, Privatbesitz
  • Abb. 14: Hier und dort 24, 1984 - Schwarze und weiße Tusche auf Papier, 50x70 cm, Privatbesitz
  • Abb. 15: Hier und dort 18, 1983 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 20x29 cm, Privatbesitz
  • Abb. 16: Hier und dort 6, 1986 - Schwarze und weiße Tusche, Aquarell auf Papier, 27x37,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 17: Fortgang, Exodus 13, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 18: Begegnungen unterwegs (II) 3, 1999 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm
  • Abb. 19: Begegnungen unterwegs (II) 2, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 30,5x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 20: Begegnungen unterwegs (II) 3, 2000 - Schwarze Tusche, Aquarell auf Papier, 29x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 21: Begegnungen unterwegs (III) 3, 2013 - Schwarze, weiße Tusche, Gouache auf Papier, 29x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 22: Menschen, Grenzen, Landschaften 4, 1988 - Pastellkreiden auf Papier, 35x45 cm, Privatbesitz
  • Abb. 23: Begegnungen unterwegs (II) 6, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 29x39 cm, Privatbesitz
  • Abb. 24: Hier und dort 23, 1984 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 20x28 cm, Privatbesitz
  • Abb. 25: Die Erde 5, 1974 - Schwarze Tusche auf Papier, 34x47 cm, Privatbesitz
  • Abb. 26: Die Erde 6, 1974 - Schwarze Tusche auf Papier, 40x50 cm, Privatbesitz
  • Abb. 27: Zusammen 6, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 28: Zusammen 8, 2000 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 29: Zusammen 4, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x40,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 30: Es taumelt (II) 3, 2001 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 31: Es taumelt (II) 6, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 32: Kommen, werden, gehen 28, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 70x50 cm, Privatbesitz
  • Abb. 33: Kommen, werden, gehen 21, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 34: Kommen, werden, gehen 13, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 35: Kommen, werden, gehen 20, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 36: Kommen, werden, gehen 15, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 37: Kommen, werden, gehen 12, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 38: Kommen, werden, gehen 29, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 58,5x80 cm, Privatbesitz
  • Abb. 39: Kommen, werden, gehen 30, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 39,5x56,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 40: Es taumelt 5, 1995 - Schwarze Tusche auf Papier, 29,5x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 41: Es taumelt 4, 1995 - Schwarze Tusche auf Papier, 29,5x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 42: Kommen, werden, gehen 27, 1993 - Schwarze Tusche auf Papier, 42x29,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 43: Mieträume 4, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 44: Es taumelt 21, 1996 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 45: Fortgang, Exodus 23, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 46: Fortgang, Exodus 41, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 47: Fortgang, Exodus 18, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Emigrationsmuseum Gdynia/Muzeum Emigracji w Gdyni
  • Abb. 48: Fortgang, Exodus 40, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 49: Fortgang, Exodus 61, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x41 cm, Privatbesitz
  • Abb. 50: Begegnungen unterwegs (III) 8, 2011 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 28x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 51: Begegnungen unterwegs (III) 12, 2012 - Schwarze Tusche, Gouache auf Papier, 28x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 52: Begegnungen unterwegs (II) 14, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 53: Begegnungen unterwegs (II) 17, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 54: Es taumelt 36, 1995 - Schwarze Tusche auf Papier, 29x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 55: Hier und dort 8, 1985 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 56: Von hier bis dort 3, 1996 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 57: Von hier bis dort 2, 1996 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 58: Kommen, werden, gehen (II) 39, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 59: Es taumelt 7, 1995 - Schwarze Tusche auf Papier, 29x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 60: Begegnungen unterwegs 12, 1995 - Buntstifte auf Papier, 29,5x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 61: Auf Reisen 23, 2000 - Schwarze Tusche auf Papier, 24x30 cm, Privatbesitz
  • Abb. 62: Begegnungen unterwegs (II) 29, 2000 - Bleistift, Buntstifte, schwarze Tusche auf Papier, 12x12 cm, Privatbesitz
  • Abb. 63: Unterwegs 9, 1998 - Schwarze Tusche auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 64: Geister und Häuser 13, 2015 - Acrylfarbe, Buntstifte auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 65: Geister und Häuser 3, 2015 - Acrylfarbe, Buntstifte auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 66: Geister und Häuser 16, 2015 - Acrylfarbe, Buntstifte auf Papier, 30x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 67: Begegnungen unterwegs 22, 1996 - Schwarze Tusche auf Papier, 31x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 68: Begegnungen unterwegs 24, 1996 - Schwarze Tusche auf Papier, 32x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 69: Begegnungen unterwegs 37, 1995 - Schwarze Tusche, Acryl, Kreide auf Papier, 29,5x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 70: Menschen, Grenzen, Landschaften 5, 1988 - Gouache, Buntstifte auf Papier, 31x39,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 71: Menschen, Grenzen, Landschaften 6, 1988 - Schwarze Tusche, Gouache, Kreide auf Papier, 31x47 cm, Privatbesitz
  • Abb. 72: Menschen, Grenzen, Landschaften 1, 1990 - Schwarze Tusche, Kreide, Buntstifte, Acryl auf Papier, 21x29 cm, Privatbesitz
  • Abb. 73: Menschen, Grenzen, Landschaften 5, 1987 - Schwarze Tusche, Bleistift, Acryl auf getöntem Papier, 30x44 cm, Privatbesitz
  • Abb. 74: ’81 13, 1981 - Bleistift, schwarze Tusche auf Papier, 16x24 cm, Privatbesitz
  • Abb. 75: Für den Jungen 38, 2000 - Bleistift auf Papier, 29x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 76: Für den Jungen 32, 1998 - Bleistift auf Papier, 29x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 77: Für den Jungen 35, 1998 - Bleistift auf Papier, 29,7x42 cm, Privatbesitz
  • Abb. 78: Weiter 15, 2021 - Acryl auf Leinwand, 30x30 cm, Privatbesitz
  • Abb. 79: Stufen (II) 9, 2019 - Acryl auf Leinwand, 40x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 80: Stufen 41, 2006 - Acryl auf Leinwand, 40x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 81: Stufen (II) 03, 2019 - Acryl auf Leinwand, 70x50 cm, Privatbesitz
  • Abb. 82: Stufen 7, 2009 - Acryl auf Leinwand, 70x50 cm, Privatbesitz
  • Abb. 83: Stufen 41, 2006 - Acryl auf Leinwand, 40x40 cm, Privatbesitz
  • Abb. 84: Stufen 41, 2006 - Acryl auf Leinwand, 24x30 cm, Privatbesitz
  • Abb. 85: Fortgang, Exodus 44, 2002 - Acryl auf Leinwand, 50x70 cm, Privatbesitz
  • Abb. 86: Mieträume 35, 2002 - Acryl auf Leinwand, 54x65 cm, Privatbesitz
  • Abb. 87: Stufen 33, 2006 - Acryl auf Leinwand, 24x30 cm, Privatbesitz
  • Abb. 88: Episoden A, 2000–2017 - Mischtechnik auf Papier, jeweils 15x17,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 89: Episoden B, 2000–2017 - Mischtechnik auf Papier, jeweils 15x17,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 90: Episoden C, 2000–2017 - Mischtechnik auf Papier, jeweils 15x17,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 91: Episoden D, 2000–2017 - Mischtechnik auf Papier, jeweils 15x17,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 92: Episoden E, 2000–2017 - Mischtechnik auf Papier, jeweils 15x17,5 cm, Privatbesitz
  • Abb. 93: Seh nicht, also ist nicht 1/2, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 1/2
  • Abb. 94: Seh nicht, also ist nicht 3/4, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 3/4
  • Abb. 95: Seh nicht, also ist nicht 5/6, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 5/6
  • Abb. 96: Seh nicht, also ist nicht 7/8, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 7/8
  • Abb. 97: Seh nicht, also ist nicht 11/12, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 11/12
  • Abb. 98: Seh nicht, also ist nicht 13/14, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 13/14
  • Abb. 99: Seh nicht, also ist nicht 15/16, 2022 - Nie widzę, więc nie ma, Hamburg 2022. Doppelseite 15/16
Janina Musiałczyk, 2023. Photo: Krzysztof Nast
Janina Musiałczyk, 2023

Doch Musiałczyks Bildsujets künden nicht ausschließlich von „etwas Unheilvollem, vom Antagonismus, von einer Gegensätzlichkeit, die unüberbrückbar ist, vom bösen Ende“ (Klemm). In ihrer seit Mitte der Neunzigerjahre entstandenen Folge „Mieträume“, ausgeführt als Tuschezeichnungen und als Leinwandgemälde mit unterschiedlichen Techniken, dominieren versöhnlichere Pastelltöne, die diffuse Stimmungen erzeugen. In gitterartigen Strukturen, die an Hochhaussiedlungen erinnern, kommen Figuren, die statisch in unterschiedliche Richtungen blicken, zur Ruhe.[16] Gleichwohl finden sich die Menschen systematisch aufgereiht und eingesperrt in kastenartigen Verliesen. Es sind neue, mit Dächern versehene Behausungen, in die sie forsch hineinschreiten, aus denen ein Entrinnen jedoch unmöglich scheint (2002, Abb. 86 . ). In dunklen Momenten wirken diese „Mieträume“ (1998, Abb. 43 . ) als einsamer Mittelpunkt für einen strudelartigen Reigen des Lebens, der die ekstatische Freude am Dasein, die Henri Matisse zeigte,[17] in den Schrecken unaufhörlicher Vereinsamung verwandelt, wie ihn Edvard Munch in Gemälden und Grafiken thematisierte.[18]

Eher versöhnlich erscheint auch die Folge „Für den Jungen“ (1998–2000, Abb. 75–77 . ), in der die Künstlerin für einen abseits stehenden und vereinsamten Knaben, den sie in einem Fotoalbum entdeckte, ein Wohnhaus und eine schützende Familie erfand. In der späteren Serie „Geister und Häuser“ (2015, Abb. 64–66 . ) treten die eigenen Schrecken aus der Kindheit wieder hervor: „Abends vor dem Einschlafen“, erinnerte sich Musiałczyk an das Jahr 1948, „rücke ich die Möbel, verschiebe sie wie Holzklötzchen. Es genügt, die Kredenz in die Zimmermitte vorzuschieben und dort, dahinter habe ich meinen Raum.“[19] Auch ihre Angst vor Häusern und Innenräumen, in denen die Geister der Vergangenheit wohnen und die Schrecken der Gegenwart zuhause sind, erinnert an Bildthemen von Edvard Munch.[20]

Kunstschaffende des Surrealismus wie René Magritte, Paul Delvaux und Giorgio de Chirico kreierten aus kulissenartigen, verlassenen Gebäuden und Interieurs traumartige, angsterfüllte Zwischenwelten, in denen sich Tag und Nacht, Innen- und Außenwelt,[21] vergangene und gegenwärtige Zeiten[22] vermischen, in denen die Zeit stehen bleibt[23] oder erschreckende Erlebnisse aus der Kindheit heraufbeschworen werden.[24] In Musiałczyks Bildsujets erkannte die Hamburger Kunstjournalistin Evelyn Preuß eine von Gefühlstiefe durchglühte „Variante des polnischen Surrealismus“.[25] Der Kölner Kunsthistoriker Wolfgang Till Busse bemerkte eine „besondere poetisch-surreale Tonlage“, die ihren Ursprung in einem unterbewussten und von äußeren Einflüssen ungestörten Erleben habe, wenn „die Hand sich wie von selbst bewegt. Damit folgt sie einer von den Surrealisten in den 1920er Jahren entwickelten Technik, der Écriture automatique.“[26]

Eine obsessive Einstellung zu Innenräumen und Behausungen entwickelte der Schriftsteller Franz Kafka, der 1923 schwer krank aus der auf ihn einschüchternd und bedrohlich wirkenden Prager Wohnung der Eltern nach Berlin floh, um dort mit seiner neuen Lebensgefährtin Dora Diamant einen eigenen Hausstand zu gründen. Hin und her gerissen zwischen befreiender Idylle und finanzieller Bedrängnis musste er auch dort immer neue Unterkünfte suchen, bis er die letzte aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr verlassen konnte. Schon zuvor hatte er in seinen Romanen und Novellen eine Mietwohnung in einer entlegenen nordamerikanischen Vorstadtstraße als ein von einer Prostituierten beherrschtes Gefängnis,[27] weit verzweigte Dachböden mit Advokatenzimmern und Verhörräumen als Grenzerfahrung der menschlichen Existenz und Vorstufe zur Exekution beschrieben.[28] Nicht zuletzt fand die Verwandlung des Gregor Samsa zu einem Ungeziefer im Zimmer von dessen elterlicher Wohnung statt.[29] Auch die Berliner Unterkünfte wurden für Kafka zu Schreckensräumen, aus deren erster eine missgünstige Vermieterin ihn und Dora hinausekelte[30] und deren letzte ihn an einen unterirdischen, labyrinthähnlichen Dachsbau erinnerte, in dem grabende Geräusche ihn in eine Paranoia versetzten.[31]

Musiałczyk fand Wege der Versöhnung. In einem ihrer Gedichte, die in den Jahren von 2001 bis 2014 nach Reisen zwischen Hamburg und Łódź entstanden, erkannte sie, dass der „schatten an der wand / um die tür / vielleicht immer / hier schon gewesen / hat zwei beine / und zwei arme“ in der Nacht verschwand und am Morgen wieder erschien. Die nur bei Tageslicht sichtbare Spukerscheinung war nichts weiter als ein Abbild ihrer selbst: „schatten an der wand / kopf ganz / zerzaust“.[32] In den gleichzeitigen und seither geschaffenen Gemälden der Serie „Stufen“ (2006–19, Abb. 79–83 . , 87 . ) zeigt sie Häuser, die, auf geometrische Grundformen reduziert, mit leuchtenden, geradezu glühenden Farben Sicherheit und Lebensfreude vermitteln. In einem 2015 geführten Interview anlässlich ihrer Ausstellung Szukając formy znajduję anegdotę (dt. Auf der Suche nach Form finde ich die Anekdote) in der Warschauer Galeria Nieformalna bekannte sie: „Die vier Wände sind wichtig – sicher und still. Da hinein drängt sich kein Lärm der Welt.“[33] Mit einem richtigen Zuhause, so sagte sie später, verbinde sie „Sicherheit. Unabhängigkeit. […] Man hat Raum für sich und Ruhe vor den Unruhen der Welt“. Die Suche nach diesem Ort, sei jedoch „oft eine Belastung und ein mühsamer Weg“.[34]

 

[16] Aus der Reihe „Mieträume“, 1995, Acryl, Stifte, Stempel auf Leinwand, 54 x 65 cm; Aus der Reihe „Mieträume“, 1995, Acryl, Stifte, Stempel auf Leinwand, 40 x 50 cm; Aus der Reihe „Mieträume“, 1997, Acryl, Collage auf Leinwand, 50 x 60 cm; Aus der Reihe „Mieträume“, 1997, Acryl, Collage auf Leinwand, 60 x 80 cm; alle in: Zeichnungen und Bilder 1998 (siehe Anm. 11), Nr. 11–14, 16.

[17] Henri Matisse: Tanz (I), 1909, Öl auf Leinwand, 259,7 x 390,1 cm, Museum of Modern Art, New York.

[18] Vergleiche unter anderem Edvard Munch: Der Tanz des Lebens, 1925, Öl auf Leinwand, 143 x 208 cm, Munch-museet, Oslo.

[19] Zeichnungen und Texte 2001 (siehe Anmerkung 1), Seite 8.

[20] Edvard Munch: Roter, wilder Wein, 1898–1900, Öl auf Leinwand, 119,5 x 121 cm, Munch-museet, Oslo; Abend auf Karl Johan, 1892, Öl auf Leinwand, 84,5 x 121 cm, Bergen Kunstmuseum; Der Sturm, 1893, Öl auf Leinwand, 92 x 131 cm, Museum of Modern Art, New York; Der Tod im Krankenzimmer, ca. 1893, Tempera und Farbstifte auf Leinwand, 152,5 x 169,5 cm, Nationalmuseum Oslo; Eifersucht, 1907, Öl auf Leinwand, 57,5 x 84,5 cm, Munch-museet, Oslo.

[21] René Magritte: Das Reich der Lichter (L'empire des lumières), 1954, Öl auf Leinwand, 146 x 114 cm, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel; Der Schlüssel der Felder (La Clef des champs), 1936, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid.

[22] Paul Delvaux: Dämmerung über der Stadt (L’aube sur la ville), 1940, Öl auf Leinwand, 175 x 202 cm, Belfius Art Collection, Brüssel.

[23] René Magritte: Time Transfixed (La Durée poignardée), 1938, Öl auf Leinwand, The Art Institute of Chicago.

[24] Giorgio de Chirico: Geheimnis und Melancholie einer Straße (Mistero e malinconia di una strada), 1914, Öl auf Leinwand, 87 x 71,5 cm, Privatsammlung.

[25] Evelyn Preuß: Aus Wiesen schauen Gesichter. Janina Musiałczyks Bilder behandeln Seelenzustände, in: Hamburger Abendblatt vom 19.5.1988.

[26] Wolfgang Till Busse: Ungebeten. Agata Schubert-Hauck & Janina Musiałczyk, Eröffnungsrede in der Galerie Kunstraub99, Köln, am 14.1.2016.

[27] Franz Kafka: Amerika – Ein Asyl, 1911–14.

[28] Franz Kafka: Der Prozess, 1914/15.

[29] Franz Kafka: Die Verwandlung, 1912.

[30] Franz Kafka: Eine kleine Frau, 1923.

[31] Franz Kafka: Der Bau, 1923.

[32] schatten an der wand ..., 5. April 2006, in Janina Musiałczyk: w drodze_unterwegs (W DRODZE_trzy zeszyty – UNTERWEGS_drei hefte, Heft 2), Selbstverlag, Hamburg 2015.

[33] Porysować cały świat (dt. Die ganze Welt zeichnen), Janina Musiałczyk im Gespräch mit Stanisław Gieżyński, in: Weranda. Najpiekniejsze polskie domy, rezydencje, ogrody i sztuka, Nr. 11/155, November 2015, Seite 50.

[34] Gespräch anlässlich eines Besuchs der Modedesignerin und freien Redakteurin Larissa Wasserziehr. Vergleiche „Zu Besuch bei Künstlerin Janina Musialczyk“, 12. Mai 2019, auf https://derblauedistelfink.de/zu-besuch-bei-kuenstlerin-janina-musialczyk/ (zuletzt aufgerufen am 25.10.2023).