Broches, Raphael
Broches, Raphael, Dr. phil., polnischer Violinist. Kindheit, Abitur, erste musikalische Ausbildung und Studium in Hamburg. 1936/37 in Tel Aviv als Mitglied des von Bronisław Huberman gegründeten Palestine Orchestra. 1937 Rückkehr nach Hamburg um zu promovieren. 1938 im Zuge der „Polenaktion“ deportiert. 1940/41 im Warschauer Getto, danach verschollen. *8.2.1906 Warschau, †1941 im Warschauer Getto verschollen, vermutlich im KZ Treblinka ermordet. Sohn des Optikers Salomon Broches (1876 Vilnius-1939 im Warschauer Getto umgekommen) und dessen Ehefrau Nadja (Nechama), geborene Gleichenhaus (1880 Minsk-1936 Hamburg). Vor dem Ersten Weltkrieg kommt Raphael mit seinen Eltern und den beiden jüngeren Brüdern, Emanuel (*1909) und Daniel (*1910), nach Hamburg. Aufgrund seines Violinspiels gilt er bereits mit acht Jahren als Wunderkind. Während der Kriegszeit lebt die Familie wieder in Polen und kehrt 1919 nach Hamburg zurück. Sie wohnt in der Grindelallee 115, wo sich auch das Optikergeschäft des Vaters befindet. Raphael besucht die Oberrealschule vor dem Holstentor an der Karolinenstraße/Glacischaussee, die er 1928 mit dem Abitur abschließt. Anschließend erhält er eine musikalische Ausbildung bei Heinrich Bandler (1870-1931), Konzertmeister und erster Violinist des Philharmonischen Orchesters Hamburg. 1928-31 studiert er an der Hamburger Universität Musikwissenschaft bei Walther Vetter (1891-1967) und Wilhelm Heinitz (1883-1963) sowie französische Philologie und wechselt dann an das Staatliche Konservatorium in Straßburg. 1933-35 studiert er in Paris an der École normale de Musique de Paris als Schüler des Violinvirtuosen Jacques Thibaud (1880-1953). Im April 1935 kehrt er nach Hamburg zurück. Im September bewirbt während eines Werbeabends für den Jüdischen Kulturbund, in dessen Orchestervereinigung er tätig ist, erfolgreich für einen Platz in dem von Bronisław Huberman (1882-1947) gegründeten Palestine Orchestra in Tel Aviv. Als er im Oktober 1936 seine Stelle im Britischen Mandatsgebiet Palästina antreten will, stirbt seine Mutter, woraufhin er die Reise verschiebt. Obwohl seine Doktorprüfung auf den Monat Dezember festgesetzt wird, reist B. dann Ende Dezember 1936 nach Palästina um seine Orchesterstelle nicht zu verlieren. Doch schon Mitte Januar 1937 kehrt er in Absprache mit Huberman nach Hamburg zurück um an der Universität seine musikwissenschaftliche Dissertation fertigzustellen und die Promotion mit dem Rigorosum abzuschließen. Anders als deutsche dürfen ausländische Juden noch promovieren; Raphael B. hat die polnische Staatsangehörigkeit. Aufgrund eines Gutachterstreits wechselt B. seine Studienfächer zu Phonetik und Vergleichende Musikwissenschaft, da aus diesen bereits positive Gutachten über seine Arbeit vorliegen. Zunächst scheitert er im Rigorosum an seinem Nebenfach Romanistik, kann jedoch im Juni 1938 alle Prüfungen erfolgreich abschließen und wird im August zum Doktor der Philosophie promoviert. Durch die Verzögerung ist sein Visum für Palästina abgelaufen und kann in der Folge nicht mehr erneuert werden, wodurch sein erneuter Dienstantritt im Palestine Orchestra im November 1938 scheitert. Der Vater Salomon Broches verliert im Februar 1938 die Zulassung für sein Optikergeschäft; im Frühjahr 1939 wird er Olga Elias (1891 Hamburg-nach ihrer Abschiebung 1939 nach Zbąszyń verschollen) heiraten. Im Zuge der „Polenaktion“ werden Salomon und Raphael B. am 28.10.1938 zusammen mit etwa 17.000 polnischen Juden aus dem deutschen Reichsgebiet nach Zbąszyń abgeschoben, Olga Broches, geborene Elias, eventuell erst am 24.7.1939, und dort interniert. Emanuel B. kann zuvor nach Frankreich, Daniel B. nach Palästina fliehen. Ein erneuter Versuch des Palestine Orchestra im Februar 1939, Raphael B. ein Rückreise-Visum nach Palästina zu besorgen, hat keinen Erfolg. Samuel und Raphael B. bleiben bis zum Sommer 1939 in Zbąszyń interniert. 1940 teilt Raphael seinen Brüdern auf einer Postkarte aus dem Warschauer Getto mit, dass der Vater verstorben sei. 1941 ist er Mitglied eines Getto-Orchesters. Nach dessen Auflösung verliert sich seine Spur; man nimmt an, dass er zusammen mit den Musikern dieses Orchesters in das KZ Treblinka deportiert und dort ermordet wurde.
Eigene Schriften:
Die Korrelation von Musik und Bewegung und das Problem der geigerischen Nachgestaltung, Philosophische Dissertation, Hansische Universität, Hamburg 1938 (dort Lebenslauf; Staats-und Universitätsbibliothek Hamburg, HBG D.PHIL 231EX1; Musikwissenschaftliches Institut, MTc 900)
Stolpersteine:
2011 für Salomon, Olga und Raphael Broches: Grindelallee 115, Hamburg
2011 für Raphael Broches: vor dem Hauptgebäude der Universität Hamburg, Edmund-Siemers-Allee 1, Hamburg
Literatur:
Peter Petersen: Musikwissenschaft in Hamburg 1933 bis 1945, in: Eckart Krause und andere: Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933-1945, Teil II: Philosophische Fakultät. Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Berlin, Hamburg 1991, Seite 634
Barbara Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund in Hamburg 1934-1941, Stuttgart 1997, Seite 246, 321, 429, 467 f.
Barbara von der Lühe: Die Musik war unsere Rettung. Die deutschsprachigen Gründungsmitglieder des Palestine Orchestra = Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, Bd. 58, Tübingen 1998, Seite 94 f., 115 f., 230-32
Online:
Melanie Pieper, auf Stolpersteine Hamburg, http://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=7&BIO_ID=3808 (Stand: Juli 2017; dort Auflistung der Dokumente in Hamburger Archiven)
Barbara Müller-Wesemann, Sophie Fetthauer: Raphael Broches, in: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, Universität Hamburg, 2007 (https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002396)
Elisa Ritz: Ein Stolpern vor der Vorlesung, auf Deutschlandstipendium, Universität Hamburg, https://deutschlandstipendium.blogs.uni-hamburg.de/ein-stolpern-vor-der-vorlesung-2/
Gedenkblatt in der Zentralen Datenbank der Namen der Holocaustopfer, Yad Vashem, https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=de&s_lastName=Broches&s_firstName=Raphael&s_place=&s_dateOfBirth=
Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung …, Bundesarchiv, https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de848600
(alle Links wurden zuletzt im Oktober 2019 aufgerufen)
Axel Feuß, Oktober 2019