Leon Dudas und Elisabeth Brauer: Ihre Liebe gegen die NS-Ideologie
Dass im nordpfälzischen Kerzenheim bei Kirchheimbolanden am 22. Dezember 1942 der polnische Zwangsarbeiter Leon Dudas erhängt wurde, weil er mit einer deutschen Frau verkehrt hatte, ist in der Forschung bereits seit Längerem bekannt;[1] erst im Jahr 2021 erschien jedoch ein ausführlicher Bericht über die Hintergründe dieses Verbrechens, verfasst von Michael Wiesheu, der seit Jahren in der Stolperstein-Initiative in Kaiserslautern aktiv ist.[2] Auch in diesem Fall ist es somit erneut dem lokalen Engagement und einem regional verankerten Interesse an der Geschichte des NS-Unrechtsstaates und seiner Opfer zu verdanken, dass die Geschichte der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aufgearbeitet wird. Wiesheu, der im Zuge seiner Recherche zu Kaiserslauterer KZ-Opfern zufällig auf das Verbrechen an Leon Dudas in seinem eigenem Heimatdorf Kerzenheim gestoßen war, recherchierte den Werdegang der Ereignisse.[3]
Leon Dudas wurde am 21. Juli 1916 im galizischen Burkanów[4] bei Podhajce, nordöstlich von Stanislau (pl. Stanisławów), dem heutigen ukrainischen Iwano-Frankiwsk geboren. In der Zwischenkriegszeit hatte dieses Gebiet zu Polen gehört und verblieb nach dem Zweiten Weltkrieg bei der Sowjetunion.
Als Kriegsgefangener wurde Dudas nach dem deutschen Überfall auf Polen ins Deutsche Reich verbracht und war ab Oktober 1941 als „Zivilarbeiter“ registriert. Wiesheu schilderte die Ereignisse, die das gemeinsame Schicksal von Dudas und Brauer besiegeln sollten:
„[Dudas] wohnte und arbeitete auf dem Bauernhof des Kerzenheimer Ortsbauernführers David Schneider. Bei der Arbeit lernte er die 30-jährige Elisabeth Brauer kennen. Frau Brauer hatte einen 6-jährigen Sohn und war Witwe, nachdem ihr Mann im Juli 1941 an der Ostfront gefallen war. Sie trafen sich im Oktober 1941 wiederholt und vermutlich auch in den Monaten danach, obwohl sie wussten, dass intime Beziehungen zwischen Polen und Deutschen seit den sogenannten Polenerlassen vom 8. März 1940 schwer bestraft wurden. Bei einem heimlichen Treffen am Nachmittag des 22. September 1942 in einem Wäldchen in der Kerzenheimer Feldgemarkung Mittersthal wurden sie vom Feldhüter Philipp Bach beobachtet und sofort an die Polizei verraten.“[5]
[1] https://www.zwangsarbeit.rlp.geschichte.uni-mainz.de/F_Bruechert01a.htm (zuletzt aufgerufen am 5.3.2022).
[2] Wiesheu, Michael: Bericht über die Ermordung des Leon Dudas in Kerzenheim am 22. Dezember 1942. In: Kaiserlauterer Jahrbuch für pfälzische Geschichte und Volkskunde. Band 17-19 (2017-19), 54/56, 2021, S. 423-427.
[3] Ebd., S. 423.
[5] Wiesheu (2021), S. 423.
Sowohl Dudas als auch Brauer wurden in der Folge zu ihrem Verhältnis zueinander verhört, gaben dem Druck nach und gestanden ihre intime Beziehung. Noch am 22. September wurde Dudas nach Frankenthal überführt und dort inhaftiert. Das NS-Regime machte sich dabei nicht allein an der Ermordung Leon Dudas’ schuldig, sondern es trieb auch Elisabeth Brauer in einen qualvollen Freitod, wodurch sie sich einer Inhaftierung im KZ entzog: „Nach ihrer Vernehmung trank Elisabeth Brauer noch am gleichen Tag Essigessenz und wurde mit schlimmsten Verätzungen in das Krankenhaus Kirchheimbolanden eingeliefert, wo sie einen Tag später, am 23. September 1942 verstarb.“[6] Im November 1942 wurde dann durch die SS in Bezug auf Dudas auf „Sonderbehandlung“ entschieden, nachdem die Möglichkeit einer Eindeutschung auch in seinem Fall abgelehnt worden war.[7]
Die für den 22. Dezember 1942 angesetzte Hinrichtung war nicht allein deshalb besonders perfide, weil sie kurz vor dem Weihnachtsfest stattfand, sondern weil sie darüber hinaus in der Nähe des Ortes, an dem das sich heimlich treffende Paar entdeckt worden war, vollstreckt wurde und weil auch in diesem Fall zwei polnische Landsleute dazu gezwungen worden waren, die Hinrichtung auszuführen. Weitere polnische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Umgebung mussten dem Geschehen ebenfalls beiwohnen.[8] In diesem gesonderten Fall blieb das Verbrechen allerdings nicht ungesühnt, zumindest wurde der Feldhüter Bach, der beide denunziert hatte, am 11. Mai 1948 „durch das Tribunal General der Militärregierung der französischen Besatzungszone in Rastatt wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt.“[9]
Auf der Suche nach einem sichtbaren Erinnerungszeichen
Was geschah allerdings mit Dudas Leichnam? In den Arolsen Archives findet sich unter den „Personenstandsurkunden Westzone allgemein“ ein Dokument, das von der Heidelberger Friedhofsverwaltung am 20. September 1949 ausgestellt worden war. Ohne Angabe der Todesursache und des Bestattungstages geht aus ihm hervor, dass Dudas „auf dem Bergfriedhof Heidelberg feuer bestattet“ wurde.[10] Der Grund dafür, dass der verstorbene Dudas nach Heidelberg transportiert wurde, kann der gewesen sein, dass er in der dortigen Anatomie noch geschändet wurde: „Es war gängige Praxis der Nazis, die Universitäten und anatomische Institute mit den Leichen ihrer Opfer zu ‚versorgen‘.“[11] Anschließend äscherte man den Leichnam ein und bestattete ihn anonym auf dem Heidelberger Bergfriedhof. Dort existiert zwar eine Gedenkstätte an die Opfer der NS-Justiz,[12] an Dudas erinnert dort aber nichts unmittelbar. Auch in Kerzenheim fehlt es bisher an einem sichtbaren Zeichen. Doch ist es möglich, dass eine Initiative um Michael Wiesheu sich dieser Leerstelle in der Erinnerungskultur des Ortes Kerzenheim erfolgreich wird annehmen können, sodass die immaterielle Erinnerung unter den letzten noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen um einen Erinnerungsort im physischen Raum ergänzt werden würde.
Christof Schimsheimer, März 2022