Herkunft als Netz – Die Regisseurin Emilie Girardin
Für Emilie Girardin ist eine antirassistische Haltung zentral, gerade weil die europäische Kultur ihren Rassismus noch nicht überwunden hat. So gesehen sind ihre Stoffe immer auch politisch, aber nicht als abstrakte Parabeln, sondern angebunden an reale Menschen und Emotionen.
Entsprechend arbeitet Girardin im Bereich der Dokufiktion. Ihr erster Film und ihr aktuelles Projekt sind also zum Teil dokumentarisch, zum Teil fiktiv. Sie entwickelt die Drehbücher gemeinsam mit und für Menschen, die sie persönlich kennt. Ihre Arbeitsweise erklärt sie dabei so: „Ich arbeite viel mit Improvisation, was auf meiner Erfahrung im Theater basiert, aber auch dem Wunsch folgt, meine Darsteller:innen über das Erzählte mitentscheiden zu lassen.“ Für Girardin ist Film eine kollektive Kunst und sie will die Teilhabe schon beim Schreibprozess fördern. Aus der spezifischen Mischung aus Improvisation, Auto-Fiktion, Fiktion und Wirklichkeit soll eine besondere Form des Realismus entstehen. Eine natürliche, alltagsnahe Sprache und auch Mehrsprachigkeit sind Kennzeichen von Girardins bisherigem Schaffen. Als Vorbilder nennt sie drei polnische Filmschaffende: Krzysztof Kieślowski (1941–1996), Wojciech Has (1925–2000) und Małgorzata Szumowska (*1973).
Ein zweiter, ebenfalls dokufiktionaler Langfilm von Emilie Girardin befindet sich bereits in der Postproduktion. In „Die Eine tanzt, die Andere nicht“, porträtiert sie die Freundschaft zweier aus ihrer Heimat migrierter Frauen, die ins Wanken gerät, als eine der beiden ungewollt schwanger wird.
Auch wenn dieser Film nicht in Polen spielt, bleibt die Regisseurin und Autorin dem Herkunftsland ihrer Mutter verbunden. Sie sagt: „Ich fahre mindestens vier Mal im Jahr nach Polen. Manchmal wegen konkreter Projekte wie zum Beispiel für die Deutsch-Polnische Gesellschaft Hamburg, deren 50. Jubiläum ich mitgestaltet habe. Manchmal aber auch einfach so, um meine Mutter, meinen Opa und meine Freunde in Katowice und Warszawa zu besuchen.“
Für die deutsch-polnischen Beziehungen wünscht sie sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte, um sich stärker anzunähern und Projektionen und Vorurteile gegenüber dem jeweils anderen Land abzubauen. Auch wünscht sich Emilie Girardin mehr interkulturellen Austausch und Plattformen für polnische Künste in Deutschland.
Anselm Neft, Februar 2024
Die Künstlerin im Netz:
www.emilie-girardin.com