Der Journalist Jan Aleksander Karon
Als ein weiteres Thema hat Karon etwas entdeckt, das er „Zeitgeist-Kritik“ nennt. In seinen Augen sei es nötig, zu widersprechen, wenn sich zu viele Menschen auf eine undifferenzierte Sichtweise einigen. Aufsehen erregte Karon beispielsweise im Juni 2021 mit einem persönlichen Essay in der Berliner Zeitung, in dem er seine eigene linke Bubble kritisierte. Es wird deutlich: Die Ziele seiner „woken Generation“ findet Karon oft richtig, die Prämissen und die Art des Diskurses hält er jedoch für mehr als fragwürdig. Ihn stört, dass ein fast ausschließlich bürgerliches Milieu den Ton angibt, das einen Tonfall zwischen „Doktorarbeit-Duktus und Sektenführer“ nutzt, dabei aber so tut, als spräche es für alle. Laut Karon fühlen sich aber viele Menschen mit ausländischen Wurzeln durch solche Stimmen keineswegs vertreten und auch nicht in ihrer politischen und religiösen Vielfalt anerkannt. Die Reaktionen auf den Artikel untermauerten seine Sichtweise.
Jan Karon möchte auch mit dem in linken Kreisen verbreiteten Klischee brechen, dass jeder Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland ein zutiefst unfaires und rassistisches Land sieht, indem es von Nazis nur so wimmelt. „In meinen Augen ist diese Heimat kein Alptraum“, paraphrasiert Karon den Buchtitel einer Anthologie namens „Eure Heimat ist unser Alptraum“. Vielmehr meint Karon, dass Deutschland in erster Linie ein Hort von Wohlstand, Freiheit und Sicherheit ist und zugewanderten Menschen Chancen bietet, die sie andernorts in der Regel nicht haben.
Dabei ist Jan Karon selbst „antideutsch“ aufgewachsen, sagt er, zumindest in dem Sinne, dass die deutsch-polnische Geschichte Anlass dafür gab, Patriotismus zu misstrauen und für seine Eltern durchaus widersprüchlich war. Die unvorstellbaren Gräuel der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkrieges waren in Karons Familie prägende Themen. Entsprechend hatte Karon lange Zeit Schwierigkeiten damit, sich mit dem Land seiner Geburt zu identifizieren. „Inzwischen hat sich das verändert“, sagt er. „Ich bin diesem Land für vieles dankbar.“ Karon bezeichnet die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland im internationalen Vergleich als beispiellos und sieht in erster Linie ein tolerantes und freies Land, das Chancen bietet. Dennoch fühlt er sich vor allem als Pole. „Inzwischen aber auch als Deutscher“, sagt er. „Ich habe kein Problem damit, zu sagen, dass ich beide Länder liebe, obwohl sie mir aus verschiedenen Gründen und unabhängig von meiner Zugehörigkeit auch Kopfschmerzen bereiten.“
Polen hat sich in Karons Augen in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich klar zum Besseren entwickelt. Mindestens einmal im Jahr reist er in die alte Heimat seiner Eltern. „Die Polen sind auch weltoffener geworden“, sagt er, „und sprachbegabter. Die Innenstädte sind inzwischen modern, die Digitalisierung vorangeschritten, die Infrastruktur deutlich ausgebaut und man merkt, dass es den Menschen wirtschaftlich viel besser geht.“
Andererseits betrachtet Karon wie so viele jüngere Leute die zunehmenden Repressionen durch die PiS-Partei und den reaktionären Backlash in Polen mit Sorge. Allerdings wünscht er auch den Menschen in Deutschland mehr Sensibilität und historische Bildung in Bezug auf Polen. „Man kann nur sehr ungenau über Mentalitäten urteilen, wenn man sich nicht in sie hineinversetzen kann“, sagt Karon. „Und dazu gehört, zu verstehen, wie die Geschichte, die Wirtschaft, die Religion, das politische System und das Selbstverständnis die Bevölkerung geprägt haben und prägen.“ Den Polinnen und Polen empfiehlt Karon, den Deutschen eine Chance zu geben und sich nicht von Ressentiments und Angst vor Abwertung leiten zu lassen. Er sagt: „Viele meiner deutschen Mitmenschen zeigen Interesse an Polen, wenn man es auch nur ein bisschen in ihnen weckt. Und sie würden sich freuen, Land und Leute besser kennen zu lernen.“
Anselm Neft, Juli 2021
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