Polen-Witze in Deutschland: Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit
Stereotype sind lästig, denn einmal laut ausgesprochen vergiften sie jede Beziehung, auch eine aufkeimende Völkerfreundschaft. Trotzdem fällt kein Vorurteil einfach vom Himmel, sondern geht ihm mindestens ein Präzedenzfall voraus. Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte deutscher Stereotype gegen Polen (als Nation und als Bevölkerung) spürten Matthias Barełkowski und Peter Oliver Loew in ihrem Beitrag „Polenbilder in den deutschen Lebenswelten“ kenntnisreich und oft polemisch nach.[1] Wie aber kam es zu dem Polen-Witz in seiner heutigen Form? Im Bestseller „Soll das ein Witz sein?“ schreibt Hellmuth Karasek: „Der Wiedervereinigung, als auch die Grenzen zu Polen durchlässig wurden und viele unserer Nachbarn versuchten, in Deutschland nicht nur legal zu Geld zu kommen, verdanken die Polenwitze ihre Existenz.“[2]
Die polnische Automafia hat ebenso real existiert wie die Kriminalitätswelle, die nach dem Ende des Sozialismus weite Teile des östlichen Europas überrollte und für eine weitreichende Migrationsbewegung sorgte. Umso absurder mutet es an, dass vereinzelte deutsche und polnische Psychologen und Soziologen in Polen-Witzen einen „unbewussten Entlastungsmechanismus für die deutsche Schuld“ sehen. Die beispiellose Kriminalisierung eines ganzen Volks verdränge das Wissen um den eigenen Besatzungsterror, der die Auslöschung Polens als Kulturnation vorsah. Oder wie ein polnischer Soziologe gesagt haben soll, vollziehe sich diese Entlastung frei nach dem Motto: „Wenn die Polen klauen, so kann es doch nicht so schlimm gewesen sein, dass unsere Großväter sie im Krieg ein wenig diszipliniert haben.“[3]
Doch kommt es tatsächlich zur Geschichtsklitterung und „beispiellosen Kriminalisierung eines ganzen Volks“? Oder funktionieren Polen-Witze in Deutschland nicht vielmehr nach demselben Prinzip wie etwa Blondinen-, Manta-Fahrer- und Ostfriesen-Witze?
Beginnen wir mit einer Definition des Witzes, ehe wir uns ehrfürchtig dem Großmeister Harald Schmidt nähern. Witze gehören zur Kategorie der mündlichen Überlieferungen, die meist keinen nachweisbaren Autor haben und stets vom menschlichen Zusammenleben handeln. Erst mit der Verschriftlichung oder sonstigen medialen Dokumentation werden mündliche Überlieferungen greif- und damit angreifbar. Als herausragendes Beispiel sei die inhaltliche Überarbeitung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm genannt: Nachdem die erste Auflage dem Biedermeier-Zeitgeist allzu derb und gar nicht jugendfrei daherkam, überarbeiteten die gebürtigen Hanauer Jacob und Wilhelm ihre Texte – die ursprünglich sehr wohl für ein erwachsenes Publikum gedacht waren – zur heute weltweit bekannten „Gattung Grimm“. Doch auch diese Textfassung war und ist nicht vor weiteren Sparmaßnahmen gefeit. Während der Kanon immer kleiner wird, weiß heute kaum noch jemand, welches Geflügel Hänsel und Gretel nach Hause geleitete.[4] Doch das nur am Rande.
Die deutschen Publizisten Jakob Hein und Jürgen Witte unterscheiden drei Formen es Humors. Die bei weitem schwächste davon ist der Spott: „Der Spötter macht sich über jemanden lustig und erhöht damit sich und die Lacher über das Objekt seines Scherzes. Ein typisches Beispiel hierfür sind rassistische und sexistische Witze. Obwohl dies die niederste, die ärgerlichste Art von Humor ist, ist sie doch unausrottbar. Denn der Lachende erhält durch solche Witze die verlockende Einladung, zumindest für die Dauer seines Lachens der Stärkere, der Macht ausübende zu sein. Da die meisten Menschen in der Realität ihre Grenze und Schwächen erleben, ist diese Versuchung der Macht nahezu unwiderstehlich. (…) Schon die lediglich etwas andere Spielart des Humors, das Sich-selbst-Auslachen, hat diese Schwächen nicht: Es ist das Lachen über das Starke. Hier macht sich der Witzeerzähler zum Sprachrohr der Schwachen und zeigt die Schwächen des Starken auf. Auch kann sich der Lachende über das Objekt der Lächerlichkeit erheben, jedoch als Schwacher, im Bewusstsein eigener Grenzen. (…) Die zweite Form des Humors ist es, die Widersprüchlichkeit des Lebens vorzuführen. (…) In Witzen über die Widersprüchlichkeit des Lebens decken wir diese lachend auf, stellen sie aber auch infrage. (…) Schließlich gibt es den Humor zur Verminderung von Spannungen. Nichts kann eine steife Atmosphäre so gut lockern wie ein gelungener Witz über ebenjene Steifheit.“[5]
Ein klarer Beweis dafür, dass die Polen nicht im All waren: Der große Wagen ist noch oben.
Bei Lichte betrachtet lassen sich Polen-Witze, deren Hauptmotiv der Diebstahl ist, keiner dieser Kategorien eindeutig zuordnen. Auf den ersten Blick erhebt sich der arrogante, in Lohn und Brot stehende Deutsche über den kriminellen Polen. Auf den zweiten Blick fügt sich der beklaute Deutsche in seine Ohnmacht gegenüber der skrupellosen Automafia. Auf den dritten Blick sind Mitglieder der Automafia nur die tüchtigen Angestellten eines gut funktionierenden Gewerbes. Schließlich entlarven solche Witze den aufgesetzten Charakter des elitären Kunst- und Kulturbetriebs in der Bundesrepublik Deutschland. Denn Harald Schmidt verballhornt weniger die Polen, als vielmehr das deutsche Bildungsbürgertum mit seinen „täglichen Polen-Witzen“, „die eigentlich für sein Publikum zu primitiv waren, das dann aber doch lachen musste, in der Hoffnung, dass ein Polenwitz aus dem Munde des anerkannten Hochkomikers Schmidt nicht doch etwas Besseres sei.“[6] In diesem Sinne greifen alle vier gängigen Theorien der Humorwissenschaft: Humor als Katharsis, Humor als Demonstration von Überlegenheit und Aggression, Humor zur Festigung von sozialen Bindungen und Humor als Resultat von Inkongruenz-, also Widerspruchserfahrungen.[7]
Damit ist die Funktionsweise des Polen-Witzes zerlegt und auch der „tägliche Polenwitz“ wurde bereits 1997 aus der Harald Schmidt Show verbannt – vorausgegangen war ein Gespräch zwischen Harald Schmidt und dem damaligen polnischen Botschafter Andrzej Byrt. Leider zu spät, die Vorurteile hatten sich längst festgesetzt. Womit ist die ausgesprochene Langlebigkeit deutscher Polen-Witze zu erklären? Der Deutsche glaubt ja wohl nicht mehr an die Mär vom „slawischen Untermensch“!?
[1] Barełkowski, Matthias & Loew, Peter Oliver: Polenbilder in den deutschen Lebenswelten. URL: https://www.porta-polonica.de/de/lexikon/polenbilder-den-deutschen-lebenswelten.
[2] Karasek, Hellmuth: Soll das ein Witz sein? Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Heyne 2014, S. 367.
[3] Vgl. Urban, Thomas: Deutsch-polnische Klischees in den Medien. (23.03.2009) URL: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutsch-polnische-beziehungen/39765/klischees (08.08.2019).
[4] Auflösung: Nachdem sich Hänsel und Gretel aus der Gewalt der Hexe befreit und ihre Taschen voll Edelsteine gefüllt hatten, stießen sie auf dem Heimweg auf einen See. Darauf schwamm eine weiße Ente, die die mit Edelsteinen beladenen Kinder jedoch nicht zusammen, sondern nur einzeln übersetzen konnte. Erst danach gelang es ihnen, den Wald zu verlassen und zum geliebten Vater zurückzukehren.
[5] Hein, Jakob & Witte, Jürgen: Deutsche und Humor. Geschichte einer Feindschaft. Berlin: Galiani 2013, S. 41-44.
[6] Ebd., S. 82f.
[7] Titze, Michael & Eschenröder, Christof T.: Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. 6. Auflage. Frankfurt am Main: Fischer 2013. S. 37-54.
Unternehmen wir einen Exkurs zum Langzeiteffekt von interkulturellen Begegnungen. Ein Tourist im Ausland lernt in der Regel weniger über die neue, fremde Kultur als über die eigene Herkunft. Die eigenen Lebensentwürfe, Werte und Erwartungen galten stets als unfehlbar, doch die Erfahrung von allerlei Widersprüchen führt zu ihrer Hinterfragung. Wer bin ich? Woher komme ich? Plötzlich stärkt sich das Bewusstsein für das eigene Selbst und das Ergebnis ist die Herausbildung einer kulturellen Identität. Wenn erstmals „zwei Welten aufeinanderprallen“ kommt es unvermeidlich zum „Kulturschock“ und um diesen Schock in sozial verträgliche Bahnen zu lenken, erweist sich das Gelächter als Ventil und dienen Witze zur Kompensation der eigenen Unsicherheit.
Witze verraten weniger über den Bewitzelten als über den Witzelnden, so auch die deutschen Polen-Witze. Sie wollen und können nicht „das spezifisch Polnische“ dingfest machen, offenbaren dafür aber die Erwartungen und Sorgen der Deutschen. Nach der Wiedervereinigung schnellten überall in Deutschland die Arbeitslosenzahlen in die Höhe, viele sahen sich um ihre Existenz und um ihre Lebensleistung betrogen. Die Nachkriegszeit war endgültig vorüber, doch zurück blieb die Brüchigkeit der kulturellen Identität der Deutschen, wie Irene Götz in ihrer Habilitationsschrift nachweist.[8] In diesem historischen Kontext erweisen stumpfe Witze über vermeintliche Marotten der polnischen Nachbarn einen Disziplinierungseffekt. Schon erhebt sich der Zeigefinger: „Hier wird nicht herumgelungert und auch nicht ständig gesoffen! Haltet gefälligst das protestantische Arbeitsethos hoch und entsagt auf der Stelle allen irdischen Freuden!“
Polnische Spargelstecher sind so gut: Den holzigen Spargel verlegen die abends unaufgefordert als Parkett.
In Polen gibt es jetzt auch Viagra. Viele Polen nehmen es gar nicht selbst, weil – sie haben in der Hose keinen Platz für noch ’ne zweite Brechstange.
Harald Schmidt jedenfalls scheint seine berühmt-berüchtigten Polen-Witze nicht zu bereuen. Doch im Juni 2019 erklärt er bei einem Interview: „Heute würde ich mir sehr genau überlegen, was ich auf einer Bühne mache. (…) Mit den heutigen Maßstäben, auch der political correctness, der Sprachpolizei und des linksliberalen Mainstreams, hätte ich meine Show nach einer Woche abgenommen bekommen.“[9] Wer ist jetzt humorlos? Der Zeitgeist hat sich verändert, Minderheiten-Witze wie auch Polen-Witze gelten als hochgradig rassistisch und als eine Gefahr für die Völkerfreundschaft.
Nicht, dass es ein „Recht auf Polen-Witze“ gibt, sehr wohl aber Beispiele für sozial akzeptierte Polen-Witze. Wenden wir dafür den Blick nach recht, was bei frontaler Ansicht der Weltkarte bedeutet: ins östliche Europa. Dort erfahren sämtliche Auswüchse des Nationalismus ihre Subversion. Dort scharen sich die Erben des Sozialismus gehässig zusammen. Dort sind alle Slawen.
Diese Slawen nimmt die „panslawistische“ Unterhaltungswebsite slavorum.org (kurz für: slavic forum) mit Memes und anderen Scherzbeiträgen gnadenlos auf die Schippe. Geistreich oder auch plump karikierte Gemeinsamkeiten und geteilte Lebenserfahrungen all dieser Völker und Nationen sind beispielsweise: die miserable Beschaffenheit von Verkehrsstraßen, verstörend-brillanter Erfinderreichtum mangels ausreichender finanzieller Rücklagen für Neuanschaffungen (has Slavicscience gone too far?), die stehender Ovationen würdigen Häkel-Fertigkeiten Kopftuch-tragender Babuschkas, gewaltige Essensmengen sowie allzu eitle Frauenzimmer, die mit Highheels in der Tatra wandern gehen oder regelmäßig das Ranking der absurdesten Brautkleider anführen (blyatiful). Doch auch nationale „Spezialitäten“ und Marotten werden berücksichtigt. So kursieren zum „großen Bruder“ Russland stets Bezüge zu dreigestreiften Trainingsanzügen oder handzahmen Bären, zur ikonischen „Russenhocke“ (nichts für schwache Knie) und selbstverständlich Anekdoten rund um Vladimir Vladimirovič. Im ehemaligen Jugoslawien wiederum scheint Schulmedizin als verdammungswürdiges Hexenwerk zu gelten, sodass jedwede Wehwehchen mit einem Wickel aus Kohlblättern bekämpft werden. Ob das helfen kann?
Was aber sind die Marotten der Polen? Dazu gehört die Liebe zu deftigem Essen und Wurstwaren jedweder Couleur (siehe Abb. 1,2 und 3). Weitere Memes drehen sich um die Teilungen Polens und den polnischen Nationalstolz (siehe Abb. 4, 5 und 6). Bemerkenswert ist die Kompilation von Schlagzeilen zu den Abenteuern des „polish man“ (siehe Abb. 7) und schließlich drehen sich zahlreiche Memes um die Fallstricke des polnischen Spracherwerbs (siehe Abb. 8, 9 und 10).
Apropos, Sprache. Dass ausgerechnet das Englische zur lingua franca von Slavorum auserkoren wurde, hat gleich zwei praktische Vorteile. Einerseits bietet das Englische als weltweit häufigste Zweitsprache eine neutrale Metaebene, auf der der Kulturaustausch stattfindet – das wäre mit der emotional vorbelasteten, von weiten Teilen der post-sowjetischen Bevölkerung Osteuropas zurückgedrängten russischen Sprache schwieriger. Andererseits, und das scheint das Hauptanliegen von Slavorum zu sein, können nationale, kulturelle oder sprachliche Marotten (sich seiner) selbst-bewusst artikuliert werden. Denn Selbstironie führt wohl kaum zu denselben Debatten um Nationalehre und Stolz, wie sie Witze von Dritten befeuert hätten.
Was aber sagt das über den heutigen Zeitgeist? Die deutsche Redewendung „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“ scheint inzwischen obsolet. Dabei hat beides durchaus seine Daseins-Berechtigung, nämlich sich ihrer kulturellen Identität rückversichernde deutsche Polen-Witze à la Harald Schmidt als auch polnische beziehungsweise „panslawistische“ Selbstironie auf slavorum.org. Nicht umsonst heißt es: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. Fegen wir endlich die nationalen Animositäten beiseite und trinken auf die Völkerfreundschaft! Na zdrowie!
Zu-ga-be! Zu-ga-be! Und weil es so schön war, kommt hier noch ein etwas längerer Polen-Witz aus Deutschland:
Kommt das kleine Teufelchen nach Afrika: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen Eimerchen und möchte klauen.“ – „Was willst du hier klauen? Wir haben ja selber nichts.“
Geht das kleine Teufelchen nach Deutschland: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen Eimerchen und möchte klauen.“ – „Keinen Zweck, wir Deutschen haben alles versichert.“
Geht das kleine Teufelchen nach Polen: „Guten Tag, ich bin das kleine Teufelchen mit dem kleinen ... huch ... wo ist denn mein kleines Eimerchen?“
Tatjana Schmalz, August 2019
[8] Vgl. Götz, Irene: Deutsche Identitäten. Die Wiederentdeckung des Nationalen nach 1989 ( = alltag & kultur 14). Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2011.
[9] Globetrotter (Hrsg.): HARALD SCHMIDT im Gespräch mit Peter Fässlacher. URL: (Veröffentlicht am 04.07.2019) https://www.youtube.com/watch?v=ZN_Tr13_qUQ (Verwendet am 04.07.2019).