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Krystyna Wituska (1920–1944)

Krystyna Wituska, 1938.
Krystyna Wituska, 1938.

Krystyna Wituska wurde am 12. Mai 1920 geboren, kaum zwei Jahre nachdem Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Sie kam in der Nähe von Łódź im Dorf Jeżew als Tochter einer dort seit über zweihundert Jahren ansässigen reichen Familie zur Welt. Ihre Eltern, Feliks und Maria, geb. Orzechowska, waren Gutsbesitzer in Jeżew und Kłoniszew, wo sie eine moderne Landwirtschaft mit Feldern, einer Obstplantage und hunderten Zuchttieren betrieben. 1938 stiftete Feliks Wituski den Kindern seiner Arbeiter, die auf den Feldern halfen, eine Schule. Die Ehe der Eltern von Krystyna war vor allem auf Vernunft gegründet: sie wurde aus Torschlusspanik von den Familien eingefädelt, wobei letztlich die beträchtliche Mitgift, die Feliks von den Brauteltern versprochen wurde, über die Verheiratung entschied.

Krystynas Kindheit war eine Idylle. Die warmen Monate verbrachte sie mit ihrer ein Jahr älteren Schwester Halina tagsüber draußen, wobei der Vater seine Töchter in die Geheimnisse der Natur eingeführt hat. Die Kinder vertrieben sich die Zeit unter anderem im eigenen Gehege mit Kanarienvögeln, Hirschen und anderen Tieren. Beide Mädchen genossen von Anfang an eine umfassende Ausbildung, zu der gehörte, dass sie seit ihrem fünften Lebensjahr von einer Schweizer Lehrerin in Französisch unterrichtet wurden. Ein Jahr danach kamen sie auf eine private Schule nach Łódź. Mit zehn Jahren wechselten Krystyna und ihre ältere Schwester auf die katholische Klosterschule der Ursulinen in Posen (Poznań), einem Institut mit gutem Ruf und strengen Regeln. Fünf Jahre später gehen sie beide nach Warschau (Warszawa), um ihre schulische Ausbildung am Königin-Hedwig-Gymnasium (Gimnazjum Królowej Jadwigi) fortzusetzen. Da sich Krystynas Gesundheitszustand vor allem wegen ihrer Lungenschwäche zusehends verschlechterte, wird sie von den Eltern erst nach Zakopane und dann in den schweizerischen Kurort Neuchâtel geschickt. Kurz vor der Abreise verlobt sich Wituska heimlich mit Zbigniew Walc. Die Eltern der beiden Jugendlichen sind gegen die Beziehung und nennen sie „kindisch“. Doch getrennt voneinander entwickelt sich zwischen den Liebenden ein reger Briefverkehr. Das junge Paar schreibt sich jeden zweiten, dritten Tag (ein Teil dieser Briefe wird die Kriegswirren überstehen und sich im Kamin des Gutshauses in Jeżew versteckt wiederfinden – Anm. d. Autorin).

Im Sommer 1939 kehrt Krystyna Wituska gegen den Willen der Eltern aus der Schweiz nach Jeżew zurück. Die Stimmung in Polen ist angespannt und es wird viel über den heraufziehenden Krieg gesprochen. Doch die drohende Gefahr ist noch latent. Kurz nach dem Ausbruch des Kriegs ändert sich für die Familie Wituski dann alles: sie wird von den Nazis enteignet und muss ihre Besitztümer verlassen. An ihrer Stelle bezieht ein deutscher Besitzer das Gut – ein glühender Anhänger der Nazi-Ideologie. Feliks Wituski bekommt eine Arbeitsstelle in der Nähe von Łowicz. Die Mutter wohnt mit Krystyna in Warschau, die in einem Laden im Stadtteil Mokotów unterkommt, der Verwandten gehört. Nebenbei nimmt sie Deutschunterricht. Vermutlich im Herbst 1941 tritt Wituska dem konspirativen Związek Walki Zbrojnej (Verband für den bewaffneten Kampf) und später der Heimatarmee bei. Sie wählt den Decknamen „Kasia“ und wird für das Geheimdienstnetzwerk aktiv, das den Flughafen Okęcie ausspioniert. Später wird sie in Warschauer Kaffeehäusern auch mit Wehrmachtsoldaten flirten, um an die Namen ihrer Vorgesetzten zu kommen und Informationen über die deutschen Truppen zu erhalten. Nachdem Krystyna mindestens zwei Mal kurz davor stand, enttarnt zu werden, zieht sie sich zeitweilig zurück, um sich schließlich auf Drängen ihrer Vorgesetzten, die nicht auf sie verzichten wollen und sie auffordern, den Kampf gegen die Besatzer fortzusetzen, doch reaktivieren zu lassen.

Am 19. Oktober 1942 wird Wituska verhaftet. Ihr Verlobter Zbigniew Walc, Deckname Nik“, war zuvor schon im Juni in Neubrandenburg festgenommen worden, wo er als Zwangsarbeiter eingesetzt war. Er agierte auch für den polnischen Geheimdienst, indem er unter anderem Informationen über die Zahl der Zwangsarbeiter im Dritten Reich weitergab und über deren Stimmungslage berichtete. Bei der Durchsuchung von Walc findet die Gestapo Briefe von Krystyna. Dies steht damit im Zusammenhang, dass die Gestapo das Agentennetz in Deutschland seit Monaten ausheben will und nach und nach alle ihr bekannt werdenden Kontakte überprüft. Schließlich taucht die Gestapo auch in Wituskas Bleibe in Warschau auf. Bei der Wohnungsdurchsuchung werden Dokumente entdeckt, die Krystyna als Verschwörerin entlarven. Unter anderem wird ein Notizbuch sichergestellt, das die Anschriften der beiden Mitarbeiterinnen von Wituska enthält. Maria Kacprzyk und Wanda Kamińska werden daraufhin am nächsten Tag ebenfalls arrestiert und gemeinsam mit Krystyna ins Pawiak, das größte deutsche Gefängnis im besetzten Polen, verbracht, um nach mehrfachen Vernehmungen zu dritt in das Gestapo-Gefängnis am Alexanderplatz in Berlin überführt zu werden. Zbigniew Walc sitzt ebenfalls dort ein, wobei es den Verlobten gelingt, sich dort zwei Mal zu sehen. Nach den polizeilichen Ermittlungen werden die wegen Spionage angeklagten Frauen im Februar 1943 in das Gefängnis Moabit verlegt. Dort sollen sie ihren Prozess vor dem Reichskriegsgericht, dem höchsten Militärgericht, erwarten. Vor diesem Tribunal wurden nur die prominenten Fälle verhandelt, etwa wegen Spionage und anderer Taten im Auftrag des Feindes. Insgesamt kamen über 500 Polen vor das Reichskriegsgericht, von denen etwa 180 zum Tode verurteilt wurden.

Die Hauptverhandlung gegen die angeklagten Polinnen findet am 19. April 1943 in Berlin-Charlottenburg statt. Wanda Kamińska wird zu drei Jahren Straflager mit verschärften Haftbedingungen verurteilt. Das Urteil gegen Maria Kacprzyk lautet auf acht Jahre Straflager. Krystyna Wituska wird als einzige wegen „Spionage, Feindbegünstigung und Vorbereitung zum Hochverrat“ zum Tode verurteilt. Entscheidend für die Verhängung der Höchststrafe war die Tatsache, dass Wituska ihre konspirative Tätigkeit gestanden hatte, während ihre Mitangeklagten eine andere Verteidigungsstrategie verfolgten. Sie behaupteten vor Gericht, dass sie sich noch in der geheimdienstlichen Ausbildung befunden hätten und deshalb noch an keine wichtigen Informationen gelangt seien. Krystyna verzichtete bewusst auf eine vergleichbare Verteidigungslinie in der Annahme, das Gericht werde solchen Beteuerungen keinen Glauben schenken. Die milden Urteile gegen Kacprzyk und Kamińska veranlassen sie dann aber doch dazu, einen Versuch zu unternehmen, ihr Schicksal zu wenden – vergebens. Adolf Hitler, an den sie ein Gnadengesuch richtet, lehnt ihren Antrag ab.

Nachdem ihr Urteil rechtskräftig ist, kommt Wituska erneut nach Berlin Moabit, wo sie zusammen mit Maria Kasprzycka und Lena Dobrzycka in Zelle 18 auf die Vollstreckung ihrer Strafen wartet. Wanda Kamińska wurde in eine andere Zelle verlegt. Daraufhin beginnt im August 1943 ein regelmäßiger Briefwechsel der drei Verurteilten in Zelle 18 mit der 16jährigen Helga Grimpe, der Tochter der Gefängniswärterin Hedwig Grimpe. Helga ist beeindruckt von der Solidarität der gefangenen Frauen, von ihrer Fröhlichkeit und von der Aussöhnung mit ihrem Schicksal. Sie redet sie als „Kleeblatt“ an. Außerdem besorgt sie ihnen Medikamente, Zigaretten und Äpfel, die ihre Mutter den Gefangenen zukommen lässt. Helgas Schreiben werden von den Frauen sofort nach der Lektüre in der Toilette weggespült. Die 16jährige hingegen bewahrt die Kassiber der Frauen sorgfältig auf. Sie enthalten Bitten um bestimmte Dinge, vor allem aber Dankesworte für die Hilfe, die ihnen zu Teil wird. Helgas Mutter Hedwig, die Wärterin in dem Gefängnis ist, wird von den jungen Frauen „Sonnenschein“ genannt. Das Konvolut der aufbewahrten Briefe wird 60 Jahre später für Simone Trieder und Lars Skowronski die Grundlage für ihr Buch „Zelle Nr. 18 – eine Geschichte von Mut und Freundschaft“ sein, ein Bericht über die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen drei polnischen Häftlingsfrauen und der jungen Tochter einer Wärterin. Die Quellen befinden sich heute im Archiv des Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken).

Auch Krystynas Briefe an ihre Eltern und ihre Schwester haben den Krieg überstanden. Sie drehen sich um die Freuden an Kleinigkeiten: am Frühling, am Vogelgezwitscher und an der Möglichkeit, sich die Haare waschen zu können. Wituska hat sich in ihr Schicksal ergeben. Sie lamentiert nicht, obwohl sie sich durchaus nach Freiheit und nach ihrer Familie sehnt. In dem Brief an ihre Eltern vom 9. Mai 1943 schreibt sie: 

„Geliebte Eltern! Ich hoffe, dass die Zensur nichts dagegen hat, dass ich diese letzten Briefe nach Hause auf Polnisch schreibe. Eure lieben und berührenden Briefe habe ich schon erhalten. Natürlich musste ich bei dieser Gelegenheit ein wenig weinen, weil ihr mir so leid tut und ich mir ständig vorwerfe, Euch wenig Freude bereitet zu haben - nur ewige Sorgen. Aber ich habe erleichtert aufgeatmet, als ich las, dass Ihr nicht verzweifelt seid und die Hoffnung nicht aufgegeben habt. (...) Ich fühle mich großartig und ich bin fröhlich, deshalb habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen, weil ich daran denken muss, dass Ihr euch dort sorgt oder wer weiß was denkt, während ich hier eine so tolle Zeit habe. Wir sind hier jetzt zu Dritt und wir haben alle denselben Kummer. (…) Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schön es ist, wieder in junger Gesellschaft zu sein und sich so richtig austauschen zu können. Ich denke fast nie daran, was mich erwartet, denn wir haben einfach keine Zeit nachzudenken. Wir singen und scherzen den ganzen Tag, fast wie vergnügte Schulmädchen. Wir fühlen uns hier übrigens fast wie in einer Schule oder in einem Pensionat, weil eben auch vieles verboten ist und wir Angst vor einem Anschiss haben müssen. (…) Kopf hoch, liebes Muttilein, und habe keine Bange um mich, mein einziger Vatilein, ich bin nicht umsonst Eure Tochter und kann jedes Schicksal und jedes Unglück tapfer ertragen.“[1]

Im August 1943 sagt Wituska in dem Prozess gegen Zbigniew Walc als Zeugin aus. Damals sehen sich die beiden zum letzten Mal. Walc erhält am Ende ein mildes Urteil - ein Jahr Gefängnis unter Anrechnung der bereits abgesessenen sechs Monate. Allerdings wird er nach dem Strafvollzug von der Gestapo ins KZ Sachsenhausen verbracht und später in das Lager Rottleberode kommen, das Anfang April 1945 von den Nationalsozialisten evakuiert wird. Zbigniew Walc trifft daraufhin mit 400 anderen Häftlingen in Gardelegen ein. Am 14. April wird er mit tausend weiteren Lagerinsassen von den Nazis in eine Scheune getrieben, die anschließend angezündet wird. Walc und fast alle seiner Mitgefangenen kommen bei dem Massaker ums Leben. Kaum einen Tag später treffen US-amerikanische Truppen in Gardelegen ein.

 

[1] Anna Morawska, Krystyna Wituska (12.V.1920 - 26.VI.1944), in: Miesięcznik Znak, Jahrgang XXI, Nr. 9, Kraków 1969, S. 1159.

Als Zbigniew Walc in den Flammen stirbt, ist Krystyna Wituska schon fast ein Jahr tot. Das Todesurteil gegen sie wurde am 26. Juni 1944 im Gefängnis „Roter Ochse“ in Halle/Saale mit dem Fallbeil vollstreckt. Vor ihrem Tod schrieb Wituska einen Abschiedsabrief an die Eltern, in dem sie unter anderem die ihr freundlich gesonnene Wärterin Helga Grimpe erwähnt: 

„Geliebte Eltern! Diesen Brief werdet ihr nach meinem Tod erhalten. Er wird euch von einer Person zugeschickt, der wir zu großem Dank verpflichtet sind (Helga Grimpe). Sie war uns hier Freundin und Betreuerin zugleich. Sie versuchte unter Einsatz ihres Lebens, unsere Not so gut es ging zu lindern, sie teilte alles mit uns, was sie hatte, völlig selbstlos. (…) Während ich diesen Brief schreibe, weiß ich selbstverständlich nichts über den Ausgang meines Gnadengesuchs, aber ihr könnt mir glauben, ich bin vorbereitet auf den Tod und mache mir keine unnötigen Hoffnungen. Diese mehrmonatige Trennung hat meine Zuneigung zu euch noch verstärkt, so dass es mir schwer fallen wird, zu gehen und euch so traurig zurückzulassen. Glaubt mir aber, ich kann mit erhobenem Haupt und ohne Furcht in den Tod gehen. Dies ist meine letzte Pflicht euch und dem Land gegenüber. Das Gefängnis war für mich eine gute und manchmal auch eine schwere Schule des Lebens, aber es gab Tage, die so fröhlich und so sonnig waren. (…) Wir sterben am Vorabend des Sieges und mit dem Bewusstsein, dass wir nicht vergeblich gegen die Ungerechtigkeit und die Gewalt angegangen sind. Trauert nicht, liebste Eltern, sei tapfer, Muttilein. Denke, dass ich immer auf dich schaue und dass jede deiner Tränen mich schmerzt. Ich lächle dich an, wenn du mich anlächelst. Möge euch Gott für die Liebe und die Fürsorge belohnen, die ihr mir entgegengebracht habt! Lebt wohl, liebe Eltern, und auch du, Halinka. Eure Tina.“[2]

Der Leichnam von Krystyna Wituska wurde der Anatomie der Universität in Halle übergeben. 2014 wurde auf dem Gertraudenfriedhof in Halle, dort wo die Polin zusammen mit 60 weiteren Opfern des Naziregimes anonym bestattet wurde, eine Gedenkstele mit einer Gedenktafel und einem Reliefbild von Krystyna Wituska errichtet. Dies wäre ohne den einen Brief nicht möglich gewesen, den die überlebende Mitgefangene Maria Kacprzyk 2003 an das ehemalige Gefängnis und die heutige Gedenkstätte „Roter Ochse“ in der Hoffnung schrieb, Informationen über ihre ehemalige, an diesem Ort hingerichtete Freundin zu erhalten. Dieser Brief leitete die Forschungen ein, die Lars Skowronski, Historiker an der Gedenkstätte „Roter Ochse“, und die Publizistin Simone Trieder jahrelang betrieben haben. Die Ergebnisse mündeten in mehrere Publikationen ein, darunter zwei Bücher, die Krystyna Wituska, den anderen polnischen Häftlingsfrauen und Zbigniew Walc gewidmet sind. Die Erinnerungen von Maria Kacprzyk und der Frauen, die das Nazigefängnis überlebten, haben das würdige Andenken an Krystyna Wituska und die weiteren vom Hitlerregime hingerichteten Frauen, durch die symbolische Stele auf dem Gertraudenfriedhof möglich gemacht. Am 18. März 2010 wurde Krystyna Wituska posthum für ihre „besonderen Verdienste um die Unabhängigkeit Polens“ mit dem Kommandeurskreuz des Verdienstordens der Republik Polen ausgezeichnet.

 

Monika Stefanek, Februar 2021

 

 

Literatur:

S. Trieder, L. Skowronski, Zelle Nr. 18. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2014.

S. Trieder, Nik und Tina. Gefährliche Briefe 1938-1944, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2018.

A. Morawska, Krystyna Wituska (12.V.1920 - 26.VI.1944), in: Miesięcznik Znak, XXI (9), Kraków 1969.

P. Bukalska, Śmierć w Berlinie, in: Tygodnik Powszechny vom 19.04.2011.

 

[2] Ebenda, S. 1166.

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  • Krystyna Wituska

    1938
  • Stele mit Gedenktafel und dem Reliefbild von Krystyna Wituska, 2014 errichtet

    Gertraudenfriedhof in Halle
  • Reliefbild von Krystyna Wituska (Nahaufnahme)

    Gedenkstele auf dem Gertraudenfriedhof in Halle, 2014 errichtet