Von der Stadtverwaltung bis zum Bundestag
Über politische Partizipation und die Arbeit von Polinnen in der Verwaltung – zehn Kurzporträts
„Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil (rund 28,7 %) sind Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund sowohl im Bundestag als auch in den Landes- und Kommunalparlamenten deutlich unterrepräsentiert.“ Laut Recherchen haben 11,3 % der Bundestagsabgeordneten einen Migrationshintergrund, in den Landtagen sind es gar nur 7,2 % (MEDIENDIENST INTEGRATION, Stand Juni 2023). Die neueste Studie der Heinrich-Böll-Stiftung, für die Mandats- und Amtsträger:innen in 77 Großstädten und in den Bezirken in Berlin, Bremen und Hamburg befragt wurden, weist eine Quote von 13 % Menschen mit Migrationsbiografie in den kommunalen politischen Vertretungen aus. (Blätte, Dinnebier und Schmitz-Vardar: Vielfalt sucht Repräsentation. Amts- und Mandatsträger*innen in der Kommunalpolitik, Heinrich-Böll-Stiftung 2023, S.31).
In der Verwaltung des Bundes sieht die Situation grundsätzlich ähnlich aus: „(…) der Anteil der Beschäftigten mit Migrationsgeschichte in den Bundesministerien, Bundesbehörden und bei den Bundesgerichten beträgt nur 12 %. Zum Vergleich: In der Privatwirtschaft sind es 26 %“ (Arnu, Zajak und Gräfe-Geusch: Wie kommt die Vielfalt ins Amt? Diversitätsgestaltung im Bewerbungsprozess. DeZIM Project Report 6, Berlin: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) 2023, S.4).
Generell ist eine begrüßenswerte Entwicklung zu erkennen: „Kommunale Parlamente und Wahlämter der Verwaltungen werden migrantischer und weiblicher“ (Blätte, Dinnebier und Schmitz-Vardar (2023), S. 60). Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch immer zu wenig Menschen mit Migrationsbiografie sowohl in den Parlamenten als auch in der Verwaltung gibt. Das betrifft auch die in Deutschland lebenden ca. 2,1 Mio. Pol:innen (Vgl. Loew: Polinnen und Polen in Deutschland. Wege in die Sichtbarkeit, Porta Polonica 2020). Ebenso ist der Anteil von Frauen im Deutschen Bundestag (35 %), in den Landtagen (33 %) sowie in den kommunalen Parlamenten der Großstädte (39 %) noch immer deutlich niedriger als der Anteil der männlichen Amtsträger (Blätte, Dinnebier und Schmitz-Vardar (2023), S. 29). Auch gibt es zum Beispiel keine Frau mit Migrationsbiografie, die das Amt einer Oberbürgermeisterin ausübt (MEDIENDIENST INTEGRATION; Stand Juni 2023).
Dabei gibt es hervorragende Beispiele für das politisch-gesellschaftliche Engagement von Polinnen in Deutschland. Die hier präsentierten Kurzporträts machen zum einen unterschiedliche Möglichkeiten der Partizipation bzw. des Handelns in der Verwaltung und Politik auf verschiedenen Ebenen sichtbar, zum anderen können die persönlichen Geschichten der hier vorgestellten Frauen aus der polnischen Community als Role Models dienen.
Die zehn Kurzporträts basieren auf schriftlichen Interviews, Recherchen und zwei Gesprächen, die die Autorin persönlich mit Aldona Niemczyk und Magdalena Ziomek durchgeführt hat. Es ist die erste Gesprächsreihe, die exemplarisch zeigt, in welchen politisch-gesellschaftlichen und administrativen Strukturen Polinnen arbeiten und sich engagieren bzw. welche sie selbst gegründet haben – auf verschiedenen Ebenen: in der Kommune, der Stadt oder auf Bundesebene. Als Lesende sollen Sie so eine erste Orientierung bekommen, sich inspirieren lassen, Vernetzungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommen und im besten Fall dazu motiviert werden, sich selbst in der einen oder anderen Struktur zu engagieren.
Die Autorin bedankt sich bei allen, die sich die Zeit genommen haben, um ihre persönlichen Erfahrungen zu teilen.
Anna Stahl-Czechowska, November 2023
Einträge der Reihe in der Encyclopaedia Polonica:
- Agnieszka Brugger (*1985) – für Europa, Außenpolitik und Menschenrechte im Deutschen Bundestag
- Klaudia Hanisch (*1984) – für Partizipation und Chancengleichheit im Landkreis Göttingen und auf dem europäischen Arbeitsmarkt
- Anna Klimaszewska-Golan (*1974) – für Mehrsprachigkeit in der Verwaltung und die Geschichte der Pol:innen
- Anna Krenz (*1976) – für gesellschaftspolitische und historische Themen der Frauen in Berlin
- Katarzyna Lorenc (*1984) – für mehr kulturelle Angebote in polnischer Sprache in Essen
- Aldona Niemczyk (*1969) – für Frauen und Gleichstellung im Abgeordnetenhaus von Berlin
- Katarina Niewiedzial (*1977) – für mehr Menschen mit Migrationsbiografie in der Verwaltung
- Małgorzata Peuker-Minecka (*1983) – für einen guten Gesetzgebungsprozess im Bundeskanzleramt
- Katarzyna Werth (*1979) – für Partizipation, Soziales, Gleichstellung und EU-Themen an der deutsch-polnischen Grenze
- Magdalena Ziomek (*1974) – für mehr soziale Gerechtigkeit in der Wirtschaft
Anna Stahl-Czechowska – von 2018 bis Ende Mai 2021 leitete sie beim deutsch-polnischen Verein agitPolska e.V. das erste bundesweite Mentoringprogramm für Frauen mit polnischer Migrationsbiografie „PolMotion – Bewegung der polnischen Frauen“. Von 2020 bis Ende Mai 2021 war sie auch bei der EAF Berlin (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft) als Expertin in den Bereichen Migration, Politik und Gender tätig und hat dort u. a. ein online-Mentoringprogramm für Frauen mit Migrationsbiografie im Rahmen des Helene Weber-Kollegs durchgeführt sowie im EU-Projekt für Bürgermeisterinnen aus Polen, Deutschland, Österreich und Frankreich „Mayoress“ mitgewirkt. Einige ihrer Schwerpunkte sind die Migrationspolitik, deutsch-polnische Beziehungen und politische Partizipation von Frauen mit Migrationsgeschichte, für die sie sich u.a. als stellv. Vorsitzende des Landesintegrationsbeirats in Berlin engagiert hat. Seit dem 01.06.2021 arbeitet sie in der Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung und ist auch freiberuflich tätig. Darüber hinaus ist sie als Bürgerdeputierte im Ausschuss für Wirtschaft, Gleichstellung und Europa in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Berlin-Mitte tätig.