„Wenn die Beine nicht mehr tragen“ – Für eine Zeit Dachauer: Antoni Bryliński

Antoni Bryliński in der KZ-Gedenkstätte Dachau, 1995
Antoni Bryliński in der KZ-Gedenkstätte Dachau, 1995

Als Antoni Bryliński im Oktober 2009 Karin Korte, Mitarbeiterin des Projektes „Gedächtnisbuch“, ein Interview gibt, lächelt er verschmitzt und sagt: „Das Gedächtnis ist ein gute Sache, wenn man es noch hat.“ Bryliński hatte es und konnte detailliert seine Erlebnisse während des Krieges schildern.

Jetzt ist das Gesicht von Antoni Bryliński, der 2011 mit 92 Jahren starb, auf Plakaten abgebildet, die in der ganzen Stadt Dachau aufgehängt sind. Es ist die Fortsetzung der Plakatreihe „Für eine Zeit Dachauer“, die der Förderverein für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des KZ im April 2020 startete. Jeden Monat wird seitdem jeweils ein Porträt eines ehemaligen KZ-Häftlings in Dachau plakatiert. Insgesamt sind es zwölf Porträts. Im Januar widmet sich die Reihe Antoni Bryliński.

Dieser wird am 15. April 1918 im polnischen Wagrowiec, circa 50 Kilometer nordöstlich von Posen, geboren. Seine Kindheit ist nicht unbeschwert. Der Vater ist alt und krank, 1937 stirbt die Mutter. Antoni Bryliński muss mithelfen, die Familie durchzubringen und beginnt 1932 eine Lehre in einem Kolonialwarengeschäft. Später arbeitet er als Verkäufer im Getreidehandel, bis der Krieg beginnt. Nach der Besetzung durch die Deutschen wurde aus Wagrowiec „Eichenbrück“ und das deutsche Arbeitsamt übernimmt die Einteilung der Arbeitskräfte. Am 6. Mai 1940 wird Antoni Bryliński frühmorgens zum Arbeitsamt bestellt, wo sich etwa 100 polnische Männer in einer Reihe aufstellen müssen. Der deutsche Leiter des Arbeitsamtes schreitet die Reihe ab und sucht Männer aus. Dabei lässt er sich auch die Zähne der Männer zeigen - eine Beschau wie auf dem Viehmarkt. Die Ausgewählten müssen am nächsten Morgen zum Bahnhof und sollen als „Saisonarbeiter“ nach Deutschland gebracht werden. Antoni Bryliński ist einer von ihnen.

Er kommt zuerst nach Rehfelde nahe Berlin und muss auf einem Gut jahrelang Zwangsarbeit verrichten. Ende Juni 1944 werden er und sein Freund Zygmunt Czarnecki zum Verhör durch die Gestapo gerufen und nach Potsdam ins Gefängnis gebracht. Der Vorwurf lautet „Hören von Feindsendern“. In einer Einzelzelle müssen zehn Gefangene auf dem nackten Fußboden schlafen. Antoni bekommt große eitrige Geschwüre an den Beinen. Am 4. Oktober 1944 trifft er im Konzentrationslager Dachau ein. Die Häftlinge müssen vom Bahnhof zu Fuß ins Lager marschieren - dabei muss Antoni Bryliński von Kameraden getragen werden, weil er nicht mehr in der Lage ist selbst zu laufen. Er erhält die Häftlingsnummer 112731. Ein Mitgefangener sorgt dafür, dass er in den Krankenbau kommt. Wegen der eitrigen Phlegmone wird Antoni operiert. Obwohl die Wunden noch nicht verheilt sind, wird er auf Block 16 verlegt und leidet entsetzlichen Hunger.

Am 7. Februar 1945 wird Antoni Bryliński zusammen mit anderen von der SS aussortiert und in das Außenlager Augsburg-Pfersee gebracht. Dort angekommen, werden die Häftlinge vom Lagerältesten empfangen, der ihnen unmissverständlich droht: „Die Kur ist nun vorbei – hier regiert er“, sagt der Funktionshäftling und zeigt dabei auf einen Prügelstock. Fehlende Hygiene, Hunger und die schwere Arbeit lassen Antoni Bryliński erneut erkranken – die Geschwüre an den Beinen brechen wieder auf. Er kommt zurück nach Dachau und erlebt am 29. April 1945 die Befreiung des Lagers durch die US-Armee.

Im August 1945 kehrt Antoni Bryliński nach Polen zurück. Er arbeitet in verschiedenen Firmen als Büroangestellter und heiratet 1950 Irena Losiniecka, die auch Zwangsarbeiterin in Rehfelde war. Sie bekommen drei Kinder. Mehrfach besucht Antoni Brylińsk Dachau, zuletzt im Jahr 2010.

 

Süddeutsche Zeitung, Autor: SZ

(online: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/dachau-kz-zeitzeuge-1.51732…, veröffentlicht: 14. Januar 2021, 12:19 Uhr)