Das Glasperlenspiel der Kasia K.

Katarzyna Kincel-Ossolinski
Katarzyna Kincel-Ossolinski

Das Glück ist eine Investition in die Zukunft.

(„Szczęście jest inwestycją w przyszłość.“)

Krystian Lupa[1]

 

Im Nimmer - Land - Gobe, irgendwo am Rande eines Gobelinwaldes, halten zwei fesche Hirschkälber Ausschau nach dem Rotkäppchen. Oho! Da kommt es mit einem Körbchen voll seltsamer Ideen, weil der Wolf ... Oh, der Wolf, verfangen in unzüchtig verschlungenen Ranken, flirtet mit einer Elfe. Nein, daraus wird nichts, lieber Wolf! Den Satz vom Rücken auf den Ärmel kann man nicht kürzer haben und selbst wenn doch: dieser Ärmel gehörte immer schon der Hofhirtin, so dass du zum Abendbrot mit der Großmutter sicher zu spät sein wirst. Ich versuche mich an der Schilderung eines Mantels … Das tiefe, grün schimmernde Rot ist Seidensamt. Auf Schritt und Tritt lockt ein üppiges Bündel gläserner Weintrauben mit dem Duft sonnengewärmten Imperias, eines trockenen Primitivo und im Tarantella-Rhythmus. Kann man eine Damenhandtasche beschreiben?

Kasia Kincel schafft ihre Arbeiten mit einem an das Absurde grenzenden Humor. Ihr Markenzeichen ist das harmonische Miteinander vieler Merkmale eines Objekts. Im glitzernden Ohrring, dem Verschluss einer Tasche oder im Ärmel eines Mantels fängt sie die Stimmung eben jenes Augenblicks ein, der sich nie mehr einholen lässt. Diese Faszinationen wandelt die Künstlerin in Formen um, deren Eigenheit in der Dreidimensionalität besteht, ohne sich auf grundlegende Lebenssituationen zu beziehen und ohne die vorgefundenen Werte zu dekonstruieren. Den Überfluss an allem beherrscht sie königlich, in dem sie das scheinbare Chaos in subtile, autonome Existenzformen von Kunst verwandelt, die von schlichter Harmonie und symbiotischer Ruhe getragen sind, wobei sie sowohl naturalistische als auch surrealistische Elemente vereint.

Bunte Perlen, Glasperlen, Holztiere, Stoffreste unbekannten Ursprungs neben prachtvollen natürlich gefärbten Gobelins, Devotionalien jedweder Provenienz, goldene Fäden, Spitzenbänder und undefinierte Teile eines großen Ganzen … Dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten ist wesentlich für die Künstlerin, da er Wandlung verheißt. Die Verwandlung solchen Krempels in eine wohlklingende Assemblage wird durch die Haptik bestätigt, und zwar sowohl im Entstehungsprozess als auch in der Rezeption.

Jede Kleinigkeit, die Kasia mit ihren Händen und mit ihrem Herzen berührt, trägt dazu bei, die sichtbare Welt der Künstlerin verführerisch mit der Welt der Metapher zu verbinden; wenn wir hingegen diese Gegenstände berühren, nehmen wir ihre einzigartige Sinnlichkeit und ihre Energie wahr und ... lassen uns gern von ihnen betören. Vielleicht wird nicht jeder, der die magische Welt der Künstlerin betritt, immerdar in ihr bleiben, doch schon der kurze Aufenthalt wird eine Entspannung bewirken und die Möglichkeit anderer Bewusstseinszustände erweisen. Und er wird dafür sorgen, dass man sich vom uniformen Modekanon distanziert.

Kasias Arbeiten, aber auch sie selbst, entziehen sich allen Konventionen. Sie lassen sich keinem ästhetischen Fach zuordnen und nicht einmal in eine der Schubladen stecken, von denen sie in ihrer Werkstatt so viele hat. Vielleicht haben wir hier mit etwas zu tun, was der künstlerischen Freiheit des „Combine Painting“ und des „Action Painting“ entspricht?

Für Mondrian galt das weibliche Element als ästhetisch, konservativ und zurückhaltend, das männliche als kinetisch, kreativ, expressiv und progressiv. Nehmen wir also an, das weibliche Prinzip sei die Materie und das männliche die Spiritualität, so ist in den Arbeiten von Kasia Kincel festzustellen, dass sich unter der ephemeren Ebene der Magie eine äußerst durchdachte, ausgefeilte Form verbirgt. Und auch, wenn sie ihre einzigartige „Eigenwelt” verteidigt, geht sie dennoch einen Kompromiss mit ihren eigenen Absichten ein.

Hier ein persönlicher Kommentar zum Werk der Kasia Kincel-Ossolinski, ihr Credo als Künstlerin:

Am wichtigsten sei, dass die Umstände stimmen, um möglichst viel zu erzeugen. Früher gab sie dem Bedürfnis nach Menschen sowie der Sehnsucht nach Liebe hingebungsvoll nach und sie hat die Erwartungen anderer erfüllt, weil sie allen gefallen wollte. Sie ließ es zu, sich vom Zufall mitreißen zu lassen, sich in extreme Situationen zu begeben und dennoch eine Außenseiterin zu sein … Bis sie schließlich soweit war, zwischen Vergnügen und Glück zu wählen. Sie muss nichts mehr um jeden Preis tun. Je ruhiger das Leben, desto mehr Zeit bleibt für die Leidenschaft.

Nach dem Abschluss der Władysław-Strzemiński-Kunstakademie verließ sie ihre Heimatstadt Łódź in Richtung Italien und lebte an vielen Orten der Welt. In Berlin bleibt sie länger, aber für immer? Sie weiß, dass man ein Stück seines Fußbodens und der eigenen Wand überall gestalten kann. Vor allem der Wand, denn eines Tages kehrt Kasia vielleicht zur Malerei zurück? Die „blaue Phase”, mit der sie begonnen hat, nachdem sie ihrer früheren Beschäftigung mit der Fotografie den Rücken kehrte, hat sie mit einem Dutzend guter Bilder beendet.

Katarzyna Kincel-Ossolinski ist eine bedeutende, weltweit anerkannte Expertin auf dem Gebiet der Restaurierung und Rekonstruktion von Ikonen. Doch das sollte getrennt behandelt werden, denn wir betreten damit ein weites Feld: ein Feld an einem Fluss, in den man, anders als Heraklit gemutmaßt hat, schon mehrere Male stieg und - vieleicht - noch mehrere Male steigen wird.

 

Magda Potorska, November 2020

 

[1] Krystian Lupa (1943) ist einer der renommiertesten Theaterregisseure Polens. [Anm. d. Übers.]

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  • Pracownia Katarzyny Kincel-Ossolinskiej w Berlinie, 2020 r.

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  • Katarzyna Kincel-Ossolinski: koraliki, 2020 r.

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  • Katarzyna Kincel-Ossolinski: szklane paciorki, 2020 r.

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